Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout. Ortwin Meiss
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      Puristen der eher »klassischen« systemischen Therapiekonzepte mögen zu diesem Buch kritisch anmerken, der »systemische« Teil sei im Vergleich zu den beschriebenen hypnotherapeutischen Interventionen relativ schmal. Dies hätte aus meiner Sicht nur Bestand, wenn man »systemisch« einseitig auf die Arbeit mit interaktionellen Systemen bezöge. Auch die wird hier aber in vielen Variationen sehr anschaulich und praxisrelevant beschrieben. Ortwin Meiss geht zudem von einem erweiterten, umfassenderen Systembegriff aus, der auch die Dynamik der internalen Systeme mit erfasst. Dies freut mich besonders. Ich hatte das Glück, Teil der sogenannten »Heidelberger Gruppe« um Helm Stierlin zu sein, die – unterstützt und angeregt von der Mailänder Gruppe – den systemischen Ansatz im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht hat. Aber schon seit meinen direkten Lernerfahrungen bei Milton Erickson 1980 und in den Jahren danach war es mir ein zentrales Anliegen, den Fokus der systemischen Arbeit nicht nur auf die interaktionellen Wechselwirkungen auszurichten, sondern diese Perspektive zu ergänzen um die systematische Arbeit mit den inneren Systemen (wobei immer die gleiche Herangehensweise beachtet wird, nämlich das Denken in zirkulären Mustern auf allen Systemebenen). Dies hat mich auch am meisten dazu veranlasst, den hypnosystemischen Integrationsansatz zu entwickeln. Ortwin Meiss zeigt sehr konsequent und anschaulich, wie man mit den inneren Systemen sehr effektiv arbeiten und dabei die interaktionellen Wechselwirkungen sehr wohl konstruktiv beachten kann. So berücksichtigt er eindrücklich auch die Interaktionen zwischen Therapeuten und Klienten, die oft mit dem Angebot depressiver Symptome einhergehen. Ich bin sicher, dass die entsprechenden Beispiele im Buch vielen Therapeuten helfen werden, besser zu beachten, wie und wie schnell man als Therapeut in eine gemeinsame »Problemtrance« geraten kann. Deshalb finde ich, dass der Titel des Buchs auch im Hinblick auf seinen systemischen Anteil sehr angemessen ist.

      Eine etwas wehmütige Bemerkung möchte ich in diesem Zusammenhang aber auch machen. Ortwin Meiss formuliert an einer Stelle: »Die Hypnotherapie betrachtet eine psychische Störung als eine aktive Leistung des Individuums«, ganz im Sinne dessen, was ich gerade dargelegt habe. Die Dynamik, die zur Entwicklung von Depressionen beiträgt, beschreibt er dabei sehr differenziert und treffend, aber eben erfreulicherweise nicht als Ausdruck von Inkompetenz und Defizit, sondern als selbstwirksam erbrachte Leistung (die natürlich – siehe oben – nicht absichtlich-bewusst, sondern unbewusst-unwillkürlich gestaltet wird).

      Dass der Autor unser Berufsfeld so optimistisch sieht, finde ich wunderbar. Ich wünschte mir sehr, dass er mit dieser Aussage Recht hätte. Aber als ich vor einigen Jahren einen Artikel zum hypnosystemischen Verständnis und der Therapie von Depressionen veröffentlichte, in dem ich genau diese Perspektive (Depression als aktive selbsthypnotische Leistung der Klienten) als Basis einbrachte, bekam ich von einem Teil des Herausgebergremiums die Rückmeldung, das sei eine oberflächliche, schönfärberische Verzerrung der schweren Pathologie und der Defizite der Klienten und widerspreche klinischen Erfahrungen. Und dies, obwohl ich in dem Artikel viele klinische Beispiele aus unserer Arbeit beschrieben hatte.

      Leider erlebe ich auch im Feld der Hypnotherapie – durchaus auch bei manchen Ericksonianern (da tut es mir besonders weh) –, dass verdinglichende Konzepte wie etwa »Die Klientin ist depressiv« noch immer wie selbstverständlich verwendet werden. Dem entsprechend werden die Symptome doch noch vor allem als Defizit gesehen, das es »wegzumachen« gilt, zum Beispiel durch kreative Trance-Induktionen, EMDR usw. Es wird dann zwar vorgeschlagen, man solle die Symptome mit strategischen Reframings usw. utilisieren, aber eine Defizit-Sichtweise bleibt erhalten, und die »psychische Störung« wird eben nicht als aktive Leistung gesehen und behandelt. Sieht man sie dagegen als Leistung, wird auch schnell verständlich, dass man mit Fragen vom Typ »Wie könnten Sie die Depression verstärken?« die Selbstwirksamkeit erhöhen kann.

      Ich habe leider schon des Öfteren beobachten müssen, dass Therapeuten solche Strategien als Technik ohne Mitgefühl angewendet haben. Das kann katastrophal entwertend wirken, Klienten können dies als zynisch wirkenden Vorwurf erleben. Ortwin Meiss zeigt dagegen in berührender Art und Weise, wie man so achtungsvoll und behutsam vorgehen kann, dass es würdigend und ermutigend ankommt und Menschen in ihrer Autonomie und ihrem Selbstverständnis von Kompetenz sehr wirksam unterstützt.

      Bewertet man die Symptomentwicklung als Leistung, kann sofort gefragt werden: Als Leistung wofür? Damit können wir den Fokus auf die Bedürfnisse ausrichten, für die die Symptome auf unbewusster Ebene unwillkürlich »produziert« werden, und dann können die Symptome endlich in ganzheitlich würdigender Weise utilisiert werden als das, was ich gerne »wichtige kompetente Botschafter für Bedürfnisse« nenne. In vielen Vorträgen, Seminaren und Artikeln plädiere ich unter der Überschrift »Burnout als Kompetenz« seit vielen Jahren dafür zu berücksichtigen, welche beziehungsgestaltenden Auswirkungen mit dem Symptomerleben einhergehen, und etwa Loyalitätsleistungen, die sich in den Symptomen zeigen, zu beachten und zu utilisieren. Mit solchem Vorgehen kann nicht nur gezeigt werden, dass die Kompetenzen, die für hilfreiche Lösungen benötigt werden, so gut wie immer schon im Erfahrungsrepertoire der Betroffenen gespeichert sind und dass die Symptomatik keineswegs durch einen grundsätzlichen Mangel an Kompetenz begründet ist. Es zeigt sich auch, dass es auf unbewusster Ebene oft Befürchtungen gibt, es könnten sich ungewünschte Auswirkungen ergeben, wenn man dauerhaft wirksam seine Kompetenzen für hilfreiche Lösungen aktivieren und nutzen würde. Diese Befürchtungen beziehen sich meistens nicht darauf, dass man selbst belastet werden könnte, sondern dass andere durch die Lösung Probleme erleiden könnten. Die Symptomatik lässt sich also auch als unbewusste Loyalitätsleistung verstehen und würdigen. Und das bisherige Nichtnutzen der Lösungskompetenzen kann als Ausdruck unbewusster Zielkonflikte verstanden werden.

      Dann wiederum wird verständlich, dass Widerstand gegen Besserung oder massive Ambivalenz auch geachtet und genutzt werden muss und dass dies keine »strategische Trickserei« darstellt, sondern Ausdruck eines ganzheitlich würdigenden Vorgehens im Dienste von tragfähigen, ausbalancierten Lösungen ist. Ortwin Meiss zeigt hier in vielen Beispielen sehr schön und überzeugend, wie sich das gestalten lässt. Hilfreich finde ich, dass er dabei Symptome wie zum Beispiel Suchtverhalten als Quasi-Beziehungspartner utilisiert. Die beziehungsgestaltenden Wirkungen können so noch anschaulicher erlebt und verstanden werden. Auch hier vertrete ich ähnliche Positionen und habe in vielen Arbeiten dargelegt, wie aus systemischer Sicht Symptome wie »Familienmitglieder« wirken und dementsprechend genutzt werden können. So lassen sich Symptome sogar zu hilfreichen Ratgebern transformieren. In unserer Arbeit in der sysTelios-Klinik berichten sehr viele Klienten, dass gerade diese Perspektive ihnen sehr nutzt und sie in ihrer Autonomie unterstützt.

      Ein weiterer Umstand, den Ortwin Meiss anschaulich und treffsicher beschreibt, ist die Gefahr einer entwürdigenden Oben-unten-Beziehung zwischen Therapeuten und Klienten, die häufig mit einer Pathologie-Sichtweise einhergeht. Dem stellt er überzeugende Argumente für eine Gestaltung der Beziehung auf Augenhöhe entgegen, gerade bei Klienten mit Depressionen. Dafür übrigens halte ich es für unerlässlich, dass man den Klienten transparente Erklärungen über das eigene Vorgehen anbietet – ich nenne das »Produktinformationen« – und jedes Interventionsangebot verknüpft mit der Bitte um Rückmeldungen dazu, wie die Intervention ankommt und wirkt. So wird jede Reaktion, jede Rückmeldung des Klienten zur wertvollen Anleitung dafür, die therapeutischen Angebote danach auszurichten und die Interventionen an diese Rückmeldungen anzupassen. Damit wird auch deutlich, dass es nicht passend wäre, von »Pacing und Leading« zu sprechen, wenn damit gemeint sein soll, dass der Therapeut in der Kooperation führen würde. Wenn jemand führt, dann ist es der Klient mit seinen Rückmeldungen, denn Bedeutung und Wirkung einer Botschaft bestimmt ja nicht der Sender (z. B. der Therapeut mit seiner Intervention), sondern der Empfänger, also der autonom reagierende Klient. So wird Kooperation auf Augenhöhe erst kongruent wirksam.

      In ähnliche Richtung gehen auch die Ideen von Ortwin Meiss, zu Beginn der Kooperation, aber ebenso im weiteren Verlauf der Therapie, auch im niederdrückenden (»depressiven«) Erleben einfach mal so sein zu dürfen, dies nicht gleich ändern zu müssen. Klienten sind (in der Terminologie von »Anteilen« oder »Seiten der Person« gesprochen) zunächst am meisten in Kontakt mit dem Ich, СКАЧАТЬ