„Ich habe achtzig mit Königen“, antwortete diese, die das Spiel begeisterte.
Und beide vertieften sich in eine endlose Partie.
Der Tisch war nicht abgeräumt worden. Ein trüber Dunst, der Geruch des Mittagessens und der Rauch der Zigaretten, erfüllte den Raum. Die Damen hatten sich wieder daran gemacht, in Kognak getauchte Zuckerstückchen zu essen. Seit zwanzig Minuten spielten sie nun und schlürften dabei, als Zoé bei einem dritten Anschlagen der Klingel jäh eintrat und sie wie ihresgleichen anrempelte.
„Hören Sie, es klingelt schon wieder . . . Sie können nicht hierbleiben. Wenn viele Leute kommen, brauche ich die ganze Wohnung . . . Also, los, los!“
Frau Maloir wollte die Partie zu Ende spielen, doch da Zoé so ausgesehen hatte, als wolle sie sich auf die Karten stürzen, entschloß sie sich, das Spiel aufzunehmen, ohne etwas durcheinanderzubringen, während Frau Lerat die Flasche Kognak, die Gläser und den Zucker mitnahm. Und alle beide liefen in die Küche, wo sie sich an einem Tischende zwischen den Wischlappen, die dort trockneten, und dem Abwaschbecken, das noch voller Spülwasser war, niederließen.
„Wir haben dreihundertvierzig angesagt . . . Sie sind dran.“
„Ich spiele Herz.“
Als Zoé zurückkam, fand sie sie von neuem vertieft.
Nach einem Schweigen, als Frau Lerat gerade die Karten mischte, fragte Frau Maloir:
„Wer ist es?“
„Ach, niemand“, antwortete das Mädchen nachlässig, „ein kleiner junger Mann . . . Ich wollte ihn wegschicken, aber er ist so hübsch mit seinen blauen Augen und seinem Mädchengesicht ohne jedes Barthaar, daß ich ihm schließlich gesagt habe, er solle warten . . . Er hat einen riesigen Blumenstrauß in den Händen, den er auf keinen Fall weggeben wollte . . . Backpfeifen sollte man ihm eigentlich langen, eine Rotznase, die noch aufs Gymnasium gehört!“
Frau Lerat holte eine Karaffe Wasser, um einen Grog zu machen; die Zuckerstücke mit Kognak hatten sie durstig gemacht. Zoé murmelte, sie könne ja immerhin auch einen trinken. Sie habe einen gallebitteren Geschmack im Munde, sagte sie.
„Und verstaut haben Sie ihn . . .?“ fing Frau Maloir wieder an.
„Na, im Hinterzimmer, in dem kleinen Raum, der nicht möbliert ist . . . Es ist gerade ein Koffer von Madame und ein Tisch drin. Da quartiere ich die Lümmel ein.“ Und sie süßte ihren Grog stark, als die elektrische Klingel sie auffahren ließ. Verdammt noch mal! Würde man sie denn nicht mal in Ruhe trinken lassen? Das konnte ja heiter werden, wenn das Gebimmel schon losging. Trotzdem lief sie öffnen. Dann sagte sie bei ihrer Rückkehr, als sie sah, daß Frau Maloir sie fragend anblickte: „Nichts weiter, ein Blumenstrauß.“
Alle drei stärkten sich, indem sie sich mit einem Kopfnicken zuprosteten. Schlag auf Schlag klingelte es noch zweimal, während Zoé endlich den Tisch abräumte und die Teller einzeln in den Ausguß zurückbrachte. Aber das alles sei nichts Ernstes. Sie würde die Küche auf dem laufenden halten; zweimal wiederholte sie ihren herablassenden Satz: „Nichts weiter, ein Blumenstrauß.“
Unterdessen lachten die Damen zwischen zwei Kartenstichen auf, als sie sie erzählen hörten, was für Gesichter die Gläubiger im Vorzimmer gemacht hätten, wenn die Blumen eintrafen. Madame würde ihre Blumensträuße auf ihrem Toilettentisch vorfinden. Schade, daß das so teuer war und daß man nicht einmal zehn Sous dafür kriegen konnte. Schließlich sei das allerhand herausgeschmissenes Geld.
„Ich“, meinte Frau Maloir, „wäre mit dem zufrieden, was die Männer in Paris täglich an Blumen für die Frauen ausgeben.“
„Das glaube ich gern, Sie stellen ja keine großen Ansprüche“, murmelte Frau Lerat. „Man hätte wenigstens das Geld für den Rachenputzer . . . Meine Liebe, sechzig mit Damen.“
Es war zehn Minuten vor vier. Zoé wunderte sich, sie verstehe nicht, daß Madame so lange wegbleibe. Wenn sich Madame gezwungen sehe, nachmittags auszugehen, so beschleunige sie das gewöhnlich, und zwar nachdrücklichst.
Frau Maloir jedoch erklärte, man erledige die Dinge nicht immer, wie man wolle.
Allerdings, es gäbe Hindernisse im Leben, sagte Frau Lerat. Das beste sei,zu warten; falls sich ihre Nichte verspäte, dann wohl, weil ihre Besorgungen sie aufhielten, nicht wahr?
Sonst machte man sich kaum Sorgen. In der Küche war es angenehm. Und da Frau Lerat kein Herz mehr hatte, warf sie Karo ab.
Die Klingel fing von neuem an. Als Zoé wieder erschien, war sie ganz aufgeregt.
„Kinder, der dicke Steiner!“ sagte sie noch in der Tür und senkte die Stimme. „Den habe ich im kleinen Salon verstaut.“
Darauf sprach Frau Maloir mit Frau Lerat, die diese Herren nicht kannte, über den Bankier. War er etwa im Begriff, Rose Mignon den Laufpaß zu geben?
Zoé schüttelte den Kopf, sie wisse Dinge . . . Aber wieder mußte sie öffnen gehen.
„Also, so ein Pech!“ murmelte sie, als sie zurückkam. „Es ist der Mulatte! Umsonst habe ich ihm wiederholt, daß Madame ausgegangen ist; er hat sich im Schlafzimmer niedergelassen . . . Wir erwarteten ihn erst heute abend.“
Um Viertel fünf war Nana immer noch nicht da. Was konnte sie bloß machen? Das war ganz gegen jeden gesunden Menschenverstand. Es wurden zwei weitere Blumensträuße gebracht. Gelangweilt sah Zoé nach, ob noch Kaffee übrig war. Ja, die Damen könnten den Kaffee gern austrinken; das würde sie wieder munter machen. Auf ihren Stühlen zusammengesackt, waren sie am Einschlafen, wie sie ständig mit derselben Bewegung Karten vom Stamm aufnahmen. Es schlug halb. Bestimmt habe man Madame etwas angetan. Sie tuschelten untereinander.
Plötzlich vergaß sich Frau Maloir und verkündete mit schallender Stimme:
„Ich habe fünfhundert! — Quintmajor in Trumpf!“
„Seien Sie doch ruhig!“ sagte Zoé zornig. „Was sollen denn all diese Herren denken?“
Und in das herrschende Schweigen, in das unterdrückte Gemurmel der beiden alten, sich streitenden Frauen, drang das Geräusch schneller Schritte vom Dienstbotenaufgang nach oben. Es war endlich Nana. Bevor sie die Tür geöffnet hatte, hörte man ihr Keuchen. Hochrot kam sie mit brüsker Bewegung herein. Ihr Rock, dessen Aufschürzbänder gerissen sein mußten, wischte über die Stufen, und die Volants waren gerade in eine Pfütze, in irgend etwas Fauliges getaucht, das aus dem ersten Stock heruntergeflossen war, wo das Dienstmädchen ein richtiger Dreckfink war.
„Da bist du ja! So ein Glück!“ meinte Frau Lerat mit verkniffenen Lippen, immer noch verärgert über die Fünfhundert von Frau Maloir. „Du kannst dir was darauf einbilden, die Leute unnütz warten zu lassen!“ „Madame ist wirklich unvernünftig!“ fügte Zoé hinzu.
Nana, die schon mißmutig war, wurde durch diese Vorwürfe aufgebracht. So empfing man sie also nach dem Ärger, den sie gerade gehabt hatte!
„Ach was, laßt mich in Ruhe!“ schrie sie.
„Pst, Madame! Es ist Besuch da“, sagte das Mädchen.
Jetzt senkte die junge Frau die Stimme und stammelte, schwer atmend:
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