Das Dorf der Wunder. Roy Jacobsen
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Название: Das Dorf der Wunder

Автор: Roy Jacobsen

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711449646

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СКАЧАТЬ alles andere, woran das nun liegen mochte, und die, wie ich erst jetzt entdeckte, vielleicht das schönste Bauwerk im ganzen Ort war, dort war ich getauft und konfirmiert worden, und ich hatte auch geglaubt, irgendwann dort begraben zu werden, wie meine Eltern – zuerst sah das Flammenmeer aus wie ein riesiger zerfetzter Stern, der seine wilden Arme durch die ganze Stadt ausstreckte, dann wie eine zischende Schlange, dann wie ein Sack mit vielen Unwetterwolken, die in diesem wahnwitzigen windlosen Sturm hin und her wogten, aufwärts zu einer Klimax, die plötzlich da war und wieder verschwand, in einer rauchenden Lawine, so fällt ein Berg in sich zusammen, dachte ich, das war eine Lawine.

      Ich musste bis tief in die Nacht hinein im Wald bleiben. Der Schnee schmolz von den Bäumen, Wassertropfen fielen durch den schneidenden Frost und wurden zu Hagel und weißen Steinchen, ehe sie auf den rußschwarzen Erdboden auftrafen, mit einem Geräusch wie dann, wenn ein Pferd gebrandmarkt wird, alle Grundmauern schwelten, nackter Boden war überall zum Vorschein gekommen, bedeckt von Ruß und Lehm, wie mit offenen Wunden, kaltem Brand, ehe der Frost abermals alles versteinerte und hauslose Straßen und Gassen in grauen, öden Beton verwandelte. Aber als es wieder Morgen geworden war, soweit es nach einer solchen Nacht Morgen werden kann, war seltsamerweise die Stimmung nicht so unwirklich wie vorher in der Stille, als die Häuser noch dort standen und zitterten wie wehrlose Kinder. Eine verbrannte Stadt hat so auszusehen wie ein fauliger Krater in weißer Haut, das erwartet man von einer verbrannten Stadt, es ist entsetzlich und es ist unvorstellbar, aber dann ist es doch genau so, wie es sein soll.

      Aber ich entdeckte also, dass an die zwanzig Gebäude noch standen, wenn ich große und kleine mitzählte, versengte und halb versengte, und dazu gehörten nicht nur Anttis Laden, sondern auch die Hütte von Luukas und Tante Roosa, die ich sicherheitshalber nicht abgeschlossen hatte. Dort waren nur Windfang und ein Stück Vordergiebel weggebrannt, so dass ich durch die grün angestrichene Küchentür schauen und feststellen konnte, dass noch immer die Fotografien der Söhne und der Familienmitglieder aus Raatevaara dort hingen, und ich wusste sofort, dass ich hier wohnen würde und nicht im leeren und von Rauch beschädigten Laden von Antti, hier bei Roosa und Luukas hatte ich alles, Stühle und Tische und Betten, Teller und Besteck, abgesehen von Essen, aber ich hatte das Schwein im Baum und das wenige, was ich hatte einstecken können, als wir Anttis Schlitten beladen hatten.

      In der Speisekammer fand ich außerdem einen Krug voll Schmalz, einen Eimer voller gefrorener Milch und einen Sack voll grobem Salz. Der Stall war abgebrannt, aber nicht bis auf den Grund. Ich machte mich daran, die verrußten Reste abzureißen und sie zu Brennholz zu zerhacken, die Wände waren aus Baumstämmen gewesen, trockene Tanne, und als der Abend kam, hatte ich einen hübschen Stapel Holz, der mindestens für vier Wochen reichen würde.

      Ich ging zurück in den Wald, holte das Schwein, salzte die Hälfte des Fleisches ein und ließ den Rest in der eiskalten Speisekammer hängen. Dann kochte ich, als ob ich dort wohnte, und aß, und ich dachte, wenn ich auch noch Kaffee gehabt hätte, hätte ich es fast gut gehabt. Und bei diesem Gedanken schlief ich ein – mit dem Kopf zwischen den Krümeln auf der Tischplatte, und ich träumte, ich stünde vor einer verschlossenen Tür und könnte meinen Namen nicht finden, ich würde aber nur eingelassen werden, wenn ich meinen Namen fände, doch wo war der? Ich rieb mir die Augen, bis ich nichts mehr sehen konnte, und noch immer hatte ich keinen Namen gefunden – ich erwachte erst, als ich vollkommen aufgegeben hatte, und da war ich so erschöpft wie vorher.

      In einem Spiegel an der Wand über dem Ausgussbecken sah ich, dass meine Augen rot waren wie zerquetschte Preiselbeeren, sie waren bis zum Rand gefüllt mit Rauch und Wasser, Augenbrauen und Haare waren weggesengt, meine Wangen flammendrot und die Haut auf der Nase dünn wie Fliegenflügel. Aber mir blieb nichts anderes übrig, als mich anzuziehen und hinauszugehen und die Stadt genauer in Augenschein zu nehmen, daran führte kein Weg vorbei, und ich bin oft gefragt worden, ob ich keine Reue verspürte, nicht einmal in diesem Moment, weil ich geblieben war, aber die Antwort ist noch immer Nein, und sie hat auch niemals anders gelautet.

      Im Laufe dieser, ich weiß nicht, wie vielen Stunden, in denen ich geschlafen hatte, hatte es geschneit, und die Stille war tiefer als in meiner Erinnerung, nicht einmal Schüsse waren in den Wäldern zu hören, nur ein Winter, durch und durch tot, im Himmel und auf Erden.

      In den schwelenden Ruinen war nicht viel zu finden, abgesehen von wirbelndem Ruß und einer Menge blauem Metallschrott, den ich mit einer Eisenstange herauswühlte und dann einsammelte, nachdem er im Schnee abgekühlt war, abermals ohne darüber nachzudenken, warum, so ist das, wenn man Chaos sieht, man versucht, Ordnung zu schaffen, vor allem unter Dingen, die man mag, und ich hatte immer schon eine Vorliebe für Werkzeug und Geräte; ich fand Spatenblätter und schaftlose Forken, Brecheisen, Sägeblätter, Kettenreste, Zaumzeug und Werkzeug ohne Leder und Handgriffe, amputierte Glieder, ich brauchte fast den ganzen Tag, um sie einzusammeln und vor dem Haus von Luukas und Roosa auf einen Haufen zu legen. Es fing an als mechanisches Manöver, aber nach und nach ähnelte es eher einem Spiel, und ich dachte, es müsste schon möglich sein, es wieder zusammenzusetzen, neue Schäfte für diese ganze Ausrüstung zu schmieden, die einmal so wertvoll und nötig dafür gewesen war, dass die Stadt so hatte werden können, wie sie geworden war, Schraubenzieher, Hammerköpfe, Bohrer, Stemmeisen, Wendehaken, Eisenkeile, Autos, Hufeisen, Kinderwagenrahmen, Wasserpumpen, Steigeisen, Petroleumlampen, Fensterhaspeln und Fahrradräder ... mehrere Gegenstände ließen sich kaum identifizieren, die Eingeweide einer Uhr, verkohlte Reste eines Absatzeisens, eine Hundeleine, etwas, das sicher einmal ein Schmuckkasten gewesen war, Beerenpflücker, Türklinken und eine Handvoll Schreibfedern – die fand ich in den Ruinen der Schule –, das Stativ eines Globus, die verkrümmten Skelette eines Haufens von Jalousien, und Kabelenden, die aussahen wie versteinerte Insekten.

      Im Keller unter der Flößerhütte, der nicht abgebrannt war, sondern Dach und Wände bekommen hatte, als die Hütte in die Luft gegangen war, fand ich außerdem eine fast halbvolle Zweikilodose Kaffee, und unter der schwelenden Kellerluke des Nachbarhauses verbargen sich ein Sack mit braunversengtem Mehl und ein Korb mit schwarzen hartgekochten Eiern; in einem anderen Keller standen vier Glas Rhabarbermarmelade, die noch einmal gekocht worden war, sowie eine Kanne mit warmem Wodka, fünf ausgebeulte Konservendosen ohne Etikett und einige Kilo rußiger Graupen.

      Von diesem allem aufgemuntert fing ich an, die restlichen Häuser durchzusehen, aber in denen war es so unheimlich, wie es vor dem Brand auf den Straßen gewesen war, ich wanderte zwischen nackten Menschen einher, die nicht atmen konnten, ich berührte nur wenig, ich sah mich um und musste immer wieder enttäuscht nicken, wenn ich eine leere Speisekammer vorfand.

      Aber dann machte ich zwei Entdeckungen: Zum einen war nicht alles Lebende aus der Stadt verschwunden, die Katzen waren noch da, einzelne von ihnen sah ich mit eigenen Augen, von anderen sah ich nur die Spuren, und es wurden immer mehr Spuren, kreuz und quer durch den Schnee, der sich jetzt wie funkelnd weißes Mehl über dem vielen Schwarz ausbreitete.

      Dann fand ich einen Brief, auf dem Küchentisch in dem Haus hinter der Schule, das einer alten Frau gehörte, die von uns Pabscho genannt wurde, obwohl sie ebenso finnisch war wie wir anderen, aber sie war schon, so weit irgendjemand von uns sich zurückerinnern konnte, krumm und grau wie altes Holz gewesen. Sie hatte ihr Heim in dem gleichen frischgeputzten und ordentlichen Zustand hinterlassen wie Luukas und Roosa. Und das kam mir jetzt langsam rätselhaft vor, weshalb ich den Brief öffnete und ihn las.

      Die alte Frau hatte eine schwierige Schrift, aber ich bin ein guter Leser, und auf dem Bogen hatte sie zuerst mit einem wackeligen Lineal Zeilen gezogen, dann hatte sie mit einem ebenso wackeligen Bleistift geschrieben, die Soldaten könnten ruhig alles niederbrennen und brauchten sich nicht zu schämen, sie habe geputzt und sich alle Mühe gegeben, um Finnland ein Geschenk machen zu können, das sich sehen lassen durfte.

      Aber nun stand das Haus ja unverbrannt hier.

      Nun entdeckte ich, dass der Brief noch einmal zugeklebt worden war, er war von schmutzigen und ungeduldigen Fingern aufgerissen und vermutlich gelesen worden, ehe ich gekommen СКАЧАТЬ