Sag jetzt nichts, Liebling. Hanne-Vibeke Holst
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Название: Sag jetzt nichts, Liebling

Автор: Hanne-Vibeke Holst

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Therese-Trilogie

isbn: 9788726569582

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СКАЧАТЬ Ist es nicht unpassend, sich gerade jetzt einfach zum Frühstück hinzusetzen?

      Aber da erklingt lautes Lachen vom Flur. Türen schlagen. Ein Radio dringt leise durch die Wand. Die Sirene eines Krankenwagens wird draußen angestellt. Aus dem Nachbarzimmer ist eine WC-Spülung zu hören. Die Geräusche des Fahrstuhls klingen wie dumpfes Dröhnen. Die Welt hält nicht die Luft an. Die Welt ist ein einziger großer Organismus, der ißt und trinkt, scheißt und schläft, liebt und streitet. Immer. Und mein Vater ist wieder in sich versunken. Seine Hand ist schlaff unter meiner, sein Gesicht ist zur Ruhe gekommen. Der Puls pocht schnell unter der dünnen Haut seines Halses. Seine Atemzüge sind leicht und regelmäßig. Ich mache vorsichtig meine Hand frei, stehe auf, schenke mir Kaffee ein, setze mich in den Besucherstuhl und mümmle alle drei Scheiben mit Käse und Marmelade in mich hinein. Schwarzbrot und Weißbrot und noch mehr Kaffee. Ich denke über das Bizarre der Situation nach und werde noch mit vollem Mund erwischt, als ein Mann mittleren Alters in weißem Kittel eintritt. Oberarzt Niels Holmstrup kann ich auf seinem Schild lesen, bevor er sich selbst vorstellt, während ich verwirrt aufstehe und seine ausgestreckte Hand ergreife.

      »Sie sind also Skaarups älteste Tochter?« fragt er, und ich nicke und breite entschuldigend die Arme aus, weil ich immer noch nicht hinuntergeschluckt habe.

      »Therese, nicht wahr? Sie sind doch die aus dem Fernsehen, oder?«

      »Entschuldigung«, ich nicke in Richtung des leeren Tellers. »Ich bin die ganze Nacht gefahren.«

      »Keine Ursache«, sagt er freundlich. »Schließlich nützt es nichts, wenn Sie vor Hunger sterben, oder? Ihrem Vater geht es ja nicht so gut«, erklärt er dann und wendet sich dem Bett zu. Er umfaßt sanft den Fuß des Patienten; es wirkt wie ein aufmunterndes Streicheln. »Nun, ich weiß ja nicht, wie genau Sie vorher über die Krankheit Ihres Vaters im Bilde waren.«

      »Nicht sehr gut«, muß ich zugeben. »Er hat mir vor kurzem geschrieben, er hätte einige ›Zipperlein‹...«

      Der Oberarzt lächelt verschmitzt.

      »Typisch Skaarup«, sagt er. »Ja, wir sind nämlich zusammen zur Schule gegangen. Ins Gymnasium von Frederikshavn. Bis er alles hingeschmissen hat und nach Kopenhagen abgehauen ist. Er war Læsøs Enfant terrible. Er war es, der uns anderen den Dadaismus, den New Orleans Jazz, Karl Marx und französischen Rotwein nahegebracht hat. Ganz unglaublich, wenn man dabei seinen Hintergrund in Betracht zieht. Ich habe ihn grenzenlos bewundert. Ohne Skaarup wäre ich selbst nie rausgekommen.«

      Ich betrachte eingehend sein Profil. Ein gutaussehender Mann Ende Fünfzig, der gut auf sich aufgepaßt hat. Schlank, graue Schläfen, ein gesunder Teint – wahrscheinlich vom Golfplatz. Gute Karriere, schöne Frau, nette Kinder. Der richtige Cholesterinwert und geschmackvolles Design. Er ist für mich in jeder Beziehung eine massive Provokation, mit all dieser Schönheit, die ich seit meiner rebellischen Jugend verachte. Aber jetzt möchte ich nur soviel Information wie möglich von seinen Augen ablesen, seine Erinnerungen abzapfen, ihm all sein Wissen über diesen fremden Mann herauslocken, der hier liegt und der mein Vater ist. Niels Holmstrup steht in Gedanken versunken da, findet aber schnell wieder den sachlichen Ton.

      »Ihr Vater hat seit längerer Zeit an Magenkrebs gelitten, der allzu lange unbehandelt in seinem Körper wüten durfte. So konnte er nicht mehr gestoppt werden, als Ihr Vater endlich zum Arzt ging. In Frederikshavn haben sie ihn aufgeschnitten, konnten aber nichts mehr für ihn tun, und als dann noch dieser Blutsturz dazu kam, ist er hier eingeliefert worden. Das habe ich selbst veranlaßt – nicht, weil ich viel hätte ausrichten können. Aber nachdem er zurückgekommen ist, haben Ihr Vater und ich uns ab und zu mal wieder getroffen ...«

      »Haben Sie zusammen Schach gespielt?« werfe ich ein, denn plötzlich erinnere ich mich an den Namen Niels Holmstrup, höre den Namen, wie Vater ihn ausgesprochen hat, wie ein Wort aus seiner fernen Welt, wie Læsø, wie Klippfisch, wie wehender Sand, wie Innere Mission.

      »Ja! Das stimmt!« Er strahlt. »Und das ist wohl das einzige, von dem ich behaupten kann, daß ich es ihn gelehrt habe! Schachspielen! Und er wurde natürlich in Windeseile ein souveräner Schachspieler. Die einzige Möglichkeit, gegen ihn zu gewinnen, war sein Temperament. Er regte sich immer viel zu schnell auf und war ein schlechter Verlierer!« Holmstrup schüttelt den Kopf und umfaßt wieder den Fuß unter der Decke.

      »Du hattest immer gegen dein Temperament zu kämpfen, Skaarup, damals jedenfalls. Du warst ein reichlich wilder Bursche. Sie können sich sicher nicht mehr daran erinnern«, sagt er dann zu mir gewandt, »aber da war dieses Feuer, das immer in ihm brodelte und flackerte. Immer am Rande des Vulkans.« Ich nicke. Doch, daran kann ich mich noch gut erinnern. Schwere Schritte die Treppe hinunter, der plötzlich aufflammende Wutausbruch, die zurückgeschobenen Stühle, die lautstarken Streitereien mit Mutter und ihre ebenso lautstarken Versöhnungen anschließend im Schlafzimmer, während Kiki und ich im Wohnzimmer saßen, die Finger in den Ohren.

      »Aber«, sagt Holmstrup und drückt den Fuß leicht, »so ist es in letzter Zeit ja nicht mehr gewesen. The Lion has lost his force.« Er seufzt, traurig, wie ich sehe. Eher als Freund denn als Arzt. Es rührt mich, daß er einen Freund gehabt hat. Daß es wenigstens noch einen Menschen gibt, dem er nicht gleichgültig ist. Daß es noch einen gibt, der ihn ohne Verdruß gekannt hat. »Gibt es eine Chance, daß er noch einmal die Augen aufmacht?« frage ich, nachdem ich mir fest auf die Lippen gebissen habe, um die Tränen zurückzuhalten.

      Holmstrup tut das gleiche wie die Krankenschwester, er prüft den Puls. Als wolle er die Antwort etwas hinauszögern, wie ich annehme.

      »Man soll nie nie sagen. Aber ich denke, Sie sollten sich darauf gefaßt machen, daß Ihr Vater bereits in die Phase eingetreten ist, in der er immer weiter von uns weggleitet.«

      Ich sehe das Schiff vom Kai ablegen und mich, die ich am Ufer stehe, außerstande, es zu erreichen, außerstande, zu verhindern, daß der Abstand zwischen uns immer größer wird, bis es zum Schluß nur noch ein schwarzer Punkt auf dem offenen Meer ist. Genau, ein Meer. Kein Fluß.

      »Wie lange wird es dauern?« frage ich, versinke in mir und höre selbst, wie dünn meine Stimme wird.

      »Das ist schwer zu sagen. Einige Stunden, denke ich. Sind noch andere Angehörige auf dem Weg? Ihre Schwester? Oder Ihr Mann?«

      Ich schüttle den Kopf. Außerstande, etwas zu erklären oder zu entschuldigen.

      »Dann sind Sie ganz allein?« fragt er und versteht vielleicht mehr, als ich geglaubt hatte. Und da ist auch noch so ein Unterton von Besorgnis in seiner Stimme, als wäre das hier nichts, was man allein durchstehen sollte.

      »Ja, ich bin ganz allein«, antworte ich und nehme mich zusammen. Großes Mädchen. Merkwürdigerweise ist es genau wie damals, als ich am Kreißsaal ankam, mir die gleiche Frage gestellt wurde und ich die gleiche toughe Antwort geben mußte.

      »Also«, sagt er, als sein Piepser sich in seiner Kitteltasche meldet, »ich muß jetzt zu einer Konferenz, aber ich komme anschließend wieder ...«

      Der Vormittag vergeht ohne Veränderungen. Holmstrup schaut ein paarmal herein, die Krankenschwester kommt mit Saft und meint, ich könnte gern zum Kiosk hinuntergehen. Sie würde dann solange bei ihm sitzen bleiben. Das soll wohl heißen, daß er nicht im nächsten Moment sterben wird. Ich vertraue ihrer Kompetenz, beeile mich aber trotzdem und habe das Gefühl, der Fahrstuhl sei viel zu langsam, als ich mit den Tageszeitungen, Zigaretten und ein paar blankpolierten Äpfeln wieder hochfahre. Als ich an einem Münztelefon vorbeikomme, überlege ich, ob ich zu Hause anrufen soll, lasse es dann aber doch. Das Risiko, einen beleidigten Paul am Telefon zu haben, ist zu groß. Dafür fällt mir ein, daß ich ja an meinem Arbeitsplatz СКАЧАТЬ