Название: Geliebte Welt
Автор: Roland Hardmeier
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
Серия: Edition IGW
isbn: 9783862567591
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Die Welt ist zwar unter der Macht des Bösen, aber sie ist dem Machtbereich der Liebe Gottes nicht entzogen. Jesus spricht seinen Jüngern Trost zu, denn er hat die Welt überwunden (Joh 16,33). Dieses „überwunden“ ist nicht gleichbedeutend mit der Verwerfung der Welt. Genauso wenig wie die Verlorenheit der Welt (Joh 3,16) ihre Verwerfung bedeutet. Im Kreuzesgeschehen zeigt sich auch die Liebe des Vaters. Der Vater verlässt den Sohn und „erleidet den Tod des Sohnes im unendlichen Schmerz der Liebe … Der Schmerz des Vaters ist dabei von gleichem Gewicht wie der Tod des Sohnes“ (Moltmann 2002, 230). Diese schmerzliche Hingabe geschieht um der Liebe zum Kosmos willen! In seinem Sohn richtet Gott die Welt nicht (Joh 3,17), sondern nimmt ihre Sünden weg (Joh 1,29). Die Welt ist nicht verworfen, sondern wird durch Liebe überwunden (Joh 16,33).
Das ist im Einklang mit Paulus. Im Zentrum seiner Kreuzestheologie steht die Aussage: „Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen“ (Kol 1,19–20). Und noch dramatischer: „Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versöhnung (zur Verkündigung) anvertraute. Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen“ (2Kor 5,19–20). Die Liebe zum Kosmos treibt Gott so weit, seinen Sohn hinzugeben, damit die Welt mit ihm versöhnt werden kann. Wo immer Menschen zu Christus finden und in ihm bleiben, werden sie zu einer neuen Schöpfung (2Kor 5,17–18) und so verwirklicht sich Gottes Versöhnung mit der Welt. Es ist nicht die Versöhnung der Welt mit Gott, sondern Gottes Versöhnung mit der Welt, denn von ihm geht sie aus. Die Hingabe seines Sohnes ist ein dramatischer Akt, in welchem der Schöpfer seine von Anfang an durchgehaltene Liebe zur Welt unter Beweis stellt.
Wir können nun den Ertrag unserer Untersuchung über den neutestamentlichen Kosmos-Begriff festhalten:
Das Neue Testament enthält eine deutlich formulierte Theologie der Weltzugewandtheit. Diese hat Auswirkungen auf eine biblische Missionstheologie: Wenn Gott seine Liebe zur im Widerspruch zu ihm befindenden Menschheit durchhält, indem er die Welt noch nicht richtet, sondern mit sich versöhnt, und wenn die seufzende Schöpfung zur Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit werden wird, dann ist es die Aufgabe der Kirche, sich dem Gott anzugleichen, den sie bekennt, und diese Welt und ihre Menschen ebenso zu lieben. Die Welt ist dann nicht mehr die verworfene Welt, gegen die evangelisiert wird, und das Evangelium wird zu einer guten Nachricht für die Welt. Die Welt rückt in das Zentrum der Heilsabsichten Gottes und die Kirche existiert um der Welt willen. Sie ist beauftragt, die Botschaft der Liebe Gottes zum Kosmos zu verkünden und in ihrem Mikrokosmos praktisch zu demonstrieren. Sie ist im besten Sinn des Wortes ein von Gott erneuerter Mikrokosmos, denn in ihr ist die zukünftige befreite Welt schon in den alten Äon hereingebrochen. Und das bedeutet in letzter Konsequenz: Kirche ist nur Kirche, wenn sie Kirche für die Welt ist.
Die Welt des 21. Jahrhunderts verstehen
Die Kirche braucht ein Verständnis der komplexen Welt, in welche sie gesandt ist. Sie muss die Welt als Schöpfung kennen und die Menschen mit ihren Bedürfnissen, die in ihr leben. Und sie braucht ein Verständnis davon, wie menschliche Kulturen funktionieren. Die Kirche kann nur dann einen Beitrag zur Transformation (Umwandlung in Gottes Willen) der Welt leisten, wenn sie ein grundlegendes Verständnis des sozialen Gefüges hat, in dem sie sich bewegt. Das gilt auch für die Kirche selbst. Reimer (2009, 33) formuliert es so: „Gemeinde ist nicht nur eine spirituelle Größe. Sie ist immer auch eine konkrete soziale Gestalt. Somit ist es nur konsequent, die neutestamentliche Gemeinde auch soziologisch zu untersuchen. Die Rolle von Frauen und Männern, Familienaufbau, Beziehungen zu Reich und Arm, Vertretern verschiedener Kulturen, Organisationsstrukturen, Wege der Kommunikation etc. – all das sind Fragestellungen der modernen Sozialwissenschaften. Sie bei der Analyse der neutestamentlichen Gemeindemodelle zu missachten wäre fatal.“
Ein beträchtlicher Teil der Evangelikalen hat während langer Zeit eine Theologie der Welt nicht für nötig erachtet. Die Kirche sah ihre Mission nicht darin, einen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten. Im Zentrum ihrer Mission stand der einzelne Mensch mit seinem Bedürfnis nach ewigem Leben. Die Umwelt des Menschen, die Gesellschaft, die Schöpfung – das waren vernachlässigbare Größen. Wo dennoch ein Beitrag zu einer besseren Welt geleistet wurde, ergab sich dieser in der Regel als Nebenprodukt der Evangelisation. Tätige Nächstenliebe und soziale Aktion (persönliche Hilfeleistung und gesellschaftliches Engagement) wurden als Brücke zur eigentlichen Aufgabe der Evangelisation willkommen geheißen. Sie erhielten ihren Wert dadurch, dass sie der Kirche Möglichkeiten bot, das Evangelium zu verkünden. Ein selbständiger Wert wurde der sozialen Aktion in der Regel aber nicht zugemessen.
Wie sieht die Welt des 21. Jahrhunderts aus, in welche die Kirche gesandt ist? Was zeichnet diese Welt aus? Man wird nicht umhin können, eine Antwort auf diese Frage zumindest zu skizzieren. Das soll im Folgenden geschehen.
Moderne
Die Welt des 21. Jahrhunderts ist die Welt der Postmoderne, deren augenfälligstes Merkmal die Lossage von den ethischen Werten ist, die in der Moderne einen gesellschaftlichen Konsens bildeten. Dies gilt zumindest für die westliche Welt. Die Postmoderne bildet den großen kulturellen Rahmen des 21. Jahrhunderts.
Die Postmoderne kann nur auf dem Hintergrund der Moderne verstanden werden, aus der sie hervorgeht. Mit dem Begriff der Moderne bezeichnen wir die Neuzeit, die aus dem mittelalterlichen Weltbild hervorging und sich in allen Lebensbereichen radikal davon unterschied. Geisteswissenschaftlich gesehen setzte die Moderne mit der Renaissance des 14. Jahrhunderts ein. Bis zu jenem Zeitpunkt war Europa von der mittelalterlichen Denkweise geprägt. Kirche und Könige teilten sich die Macht. Die katholische Tradition mit ihren Dogmen prägte die Gesellschaft und die Kirche wachte über deren Einhaltung. Die soziale Schichtung wurde als von Gott gegeben hingenommen. Der Mensch lebte eingebunden in einen sozialen Zusammenhang und verstand sich mehr als Teil eines Ganzen denn als autonomes Individuum. Wissenschaftliches СКАЧАТЬ