Название: Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst
Автор: Aristoteles
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788075834157
isbn:
Ebenso hat es keinen Sinn, daß wer ungerecht handelt nicht den Willen ungerecht zu sein, und wer Ausschweifungen begeht, nicht den Willen ausschweifend zu sein haben soll. Ist es aber so, daß einer die Handlungen, durch die er ein ungerechter Mensch wird, nicht ohne sein Bewußtsein vollbringt, so ist es doch wohl auch Sache seines freien Willens, daß er ein ungerechter Mensch ist; andererseits wird er nicht gleich sobald er es nur will imstande sein seine Ungerechtigkeit abzulegen und dafür die Eigenschaft der Gerechtigkeit anzunehmen. Es ist damit wie bei einem Kranken. Der Kranke wird auch nicht flugs gesund, wenn er es will, auch wenn er, was ganz wohl der Fall sein kann, durch seinen freien Willen, durch ein unenthaltsames Leben und durch Ungehorsam gegen den Arzt sich die Krankheit zugezogen hat. Damals also hätte es noch bei ihm gestanden, nicht krank zu werden; später, als er seine Gesundheit schon vergeudet hatte, nicht mehr; geradeso wenig wie es demjenigen, der einen Stein geschleudert hat, möglich ist ihn wieder zurückzuholen. Und doch stand es bei ihm, den Stein zu schleudern oder ihn ruhen zu lassen; denn der Ursprung der Bewegung lag in ihm. Geradeso stand es auch dem Ungerechten und dem Ausschweifenden ursprünglich frei diese Eigenschaften nicht anzunehmen, und darum sind sie was sie sind durch ihren freien Willen; nachdem sie aber einmal so geworden sind, steht es ihnen nicht mehr frei, nicht so zu sein.
Es sind aber nicht bloß die Fehler geistiger Art, die aus dem freien Wollen stammen; es kommt auch bei leiblichen Uebeln vor, und dann machen wir sie in der Tat den Menschen zum Vorwurf. Entstellungen, die die Natur verursacht, wirft man niemand vor, wohl aber solche, die aus der Unterlassung körperlicher Übung und aus Vernachlässigung stammen; und das gleiche gilt von Krankheit und Gebrechen. Niemand wird einem seine Blindheit vorhalten, wenn sie durch die Natur veranlaßt ist, etwa als Folge einer Krankheit oder einer Verwundung; in solchem Falle gewährt man vielmehr sein Bedauern. Hat sich dagegen einer die Blindheit durch Trunksucht oder durch sonstige Ausschweifungen zugezogen, so rechnet es ihm jedermann zum Vorwurf an. Also auch was körperliche Gebrechen anbetrifft, hält man uns diejenigen vor, an denen wir schuld sind, aber nicht diejenigen, an denen wir keine Schuld tragen. Ist dem aber so, so wird auch sonst die Umkehrung gelten, daß diejenigen Fehler, die man uns zum Vorwurf macht, von uns verschuldet sind.
Nun könnte wohl eingewandt werden: gewiß, jeder mann strebt nach dem, was ihm gut scheint: aber man hat eben keine Macht darüber, was einem als gut erscheint; sondern jedem stellt sich das Ziel dar je nach der Beschaffenheit, die er nun einmal hat. Darauf ist zu erwidern: Ist jeder der Urheber der gesamten geistigen Haltung, die er angenommen hat, so ist er eben auch der Urheber der Vorstellungen, die in ihm leben. Oder nehmen wir einmal an, es wäre nicht so, und es trüge keiner die Schuld an seinen schlechten Handlungen sondern wenn er dergleichen begeht, so geschähe es, weiter über den Zweck eine falsche Vorstellung hegte; er lebte eben in dem Glauben, daß ihm dadurch der schönste Preis zuteil werden würde; das Ziel des Strebens aber wäre nicht frei gewählt, sondern angeboren, wie der Gesichtssinn es ist, durch den man zum richtigen Urteil und zur Wahl des wahrhaft Guten befähigt ist; es wäre also die günstige Naturausstattung, durch die jemand diese Gabe erlangte; denn das Größte und Herrlichste, das was man von keinem empfangen noch lernen kann, das könnte man dann nur so besitzen, wie man es von Natur bekommen hat, und daß einem dies von Natur in hervorragender Trefflichkeit zuteil geworden wäre, darin bestände die vollkommene und wahrhafte Gunst der Naturausstattung. Also angenommen es verhielte sich in Wahrheit so: wie könnte dann die Sittlichkeit irgend in höherem Grade Sache des freien Wollens sein als die Unsittlichkeit? Steht doch beiden, dem Guten wie dem Schlechten, gleichmäßig das Ziel von Natur oder sonst auf irgendeine Weise fest und ist ihm gegeben, und man handelt so oder anders, indem man das übrige danach einrichtet. Ganz gleich also, ob sich einem das Ziel nicht von Natur in irgendwelcher bestimmten Beschaffenheit darstellt, sondern zum Teil in des Menschen Wollen liegt, oder ob es wirklich von Natur gegeben und sittliches Handeln nur insofern Sache des freien Willens ist, als der sittlich Gebildete das übrige frei wollend tut: in beiden Fällen wird ein schlechter Charakter genau ebenso aus dem freien Wollen stammen wie ein sittlicher Charakter. Denn der Schlechte hat genau ebenso die Gewalt, in seinen Handlungen sich selbst zu entscheiden, auch wenn er solche Gewalt in bezug auf das Ziel nicht besitzt. Ist nun, wie man doch annimmt, die Sittlichkeit Sache des freien Wollens, / denn von der befestigten Beschaffenheit, die wir besitzen, sind wir selber in gewissem Sinne die Miturheber, und weil wir diese bestimmte Beschaffenheit haben, darum setzen wir uns dieses so beschaffene Ziel, / so würde also auch die Unsittlichkeit Sache des freien Wollens sein; denn das Verhältnis ist beide Male ganz das gleiche.
Indessen, ganz dieselbe ist bei unseren Handlungen die Macht der freien Willensentscheidung doch nicht wie bei unseren Willensrichtungen. Denn über unsere Handlungen sind wir Herren vom Anfang bis zum Ende, sofern wir nur die Einzelheiten der Situation kennen; über unsere Willensrichtungen aber sind wir es nur im Anfang, während die weitere Fortbildung sich durch unsere einzelnen Handlungen ganz unmerklich vollzieht, ganz ähnlich wie es bei Erkrankungen der Fall ist. Nur sofern es an unserer Macht stand so oder nicht so zu verfahren, sind aus diesem Grunde auch sie Sache des freien Wollens.
III. Die einzelnen Arten der sittlichen Betätigung
Wir haben von den sittlichen Willensbeschaffenheiten ganz im allgemeinen gehandelt und ihren Gattungscharakter in aller Kürze dahin bezeichnet, daß sie die Mitte zwischen Extremen innehalten und fest gewordene Willensrichtungen sind. Wir haben ferner dargelegt, woraus sie entstehen, sowie daß sie ihrem Wesen nach in eben dem Kreise von Handlungen sich tätig bewähren, durch die sie sich bilden, ferner daß sie in unserer Macht stehen und Sache unseres freien Wollens sind, und daß sie dem entsprechen, was ein richtig urteilendes Denken gebietet.
Wir nehmen jetzt den Gegenstand wieder von vorne an auf und wollen nunmehr über jede einzelne der Willensbeschaffenheiten handeln, über ihr Wesen, über die Art ihrer Gegenstände und über die Weise ihrer Betätigung. Dabei wird zugleich auch ihre Anzahl klar hervortreten.
Wir haben von den sittlichen Willensbeschaffenheiten ganz im allgemeinen gehandelt und ihren Gattungscharakter in aller Kürze dahin bezeichnet, daß sie die Mitte zwischen Extremen innehalten und fest gewordene Willensrichtungen sind. Wir haben ferner dargelegt, woraus sie entstehen, sowie daß sie ihrem Wesen nach in eben dem Kreise von Handlungen sich tätig bewähren, durch die sie sich bilden, ferner daß sie in unserer Macht stehen und Sache unseres freien Wollens sind, und daß sie dem entsprechen, was ein richtig urteilendes Denken gebietet.
Wir nehmen jetzt den Gegenstand wieder von vorne an auf und wollen nunmehr über jede einzelne der Willensbeschaffenheiten handeln, über ihr Wesen, über die Art ihrer Gegenstände und über die Weise ihrer Betätigung. Dabei wird zugleich auch ihre Anzahl klar hervortreten.
1. Willensstärke gegenüber dem Trieb
2. Das Verhalten zu den äußeren Gütern