Название: Aufstieg der Schattendrachen
Автор: Liz Flanagan
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
Серия: Legenden der Lüfte
isbn: 9783968267012
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»Warte!«, rief Jo. »Bitte. Hat der Junge, der bei der Schlüpfzeremonie überrannt wurde, überlebt?«
Sie war bereits aufgebrochen und murmelte auf dem Weg durch den Gang: »Ja. Er hat überlebt. Und du musst das auch.«
Die Lampe erlosch. Unendlich erleichtert über diese Neuigkeit lag Jo einfach da. Es gab nichts, was er noch tun konnte – er saß in der Dunkelheit fest. Sein altes Leben war vorüber. Er hatte es spektakulär vermasselt, aber zu Ende war es nicht. Er durfte seinen Eltern nicht mehr wehtun. Das war der Neuanfang, nach dem er gesucht hatte. Er würde von vorn beginnen und lernen, seine Wut zu kontrollieren, damit er niemanden mehr verletzte.
Es war, wie der Nachtwächter Gabriel gesagt hatte: Für seine Eltern wäre es besser, wenn Jo tot war. Und das dachten sie nun. Das war sein Geschenk an sie. Er würde tot bleiben, bis er zu jemandem geworden war, auf den sie stolz sein konnten.
10. Kapitel
Jo und Winter entwickelten eine Art Rhythmus. Winter besorgte einfaches, aber gutes Essen: Käse, Brot, Sardinen, Birnen. Jo aß und schlief und kam langsam wieder zu Kräften. Manchmal war Winter schon da, wenn er aufwachte, dann wechselte sie die Verbände an seinen verbrannten Händen und hielt seine Kopfwunde sauber. Aber meistens war er allein. Er hatte keine Ahnung, wie viele Tage verstrichen: Im Innern der Höhle gab es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Immer wieder gingen ihm während seines unruhigen Schlafs große Zeitabschnitte verloren. Manchmal erwachte er schreiend und schlug auf sich ein, weil er zu brennen glaubte. Doch langsam, ganz langsam ließ er sein altes Leben los, um das er in Träumen und Albträumen trauerte.
Dann stellte er eines Tages fest, dass er wieder stehen konnte, ohne zu schwanken. Seine Schulter brauchte mehr Zeit zum Heilen. Winter fixierte seinen Arm in einer Schlinge, und Jo versuchte, ihn einfach zu vergessen. Fest entschlossen, gesund zu werden, konzentrierte er sich darauf, jeden Tag ein Stückchen weiter den Gang hineinzulaufen, um es schließlich sogar mit den Treppenstufen aufzunehmen: eine nach der anderen. Das obere Ende erschien ihm immer noch sehr weit weg.
Jo begriff, dass Winter nur ungern lange Gespräche führte. Wenn sie da war, brachte sie zwei, drei kurze Sätze zustande, ehe sie einen gehetzten Blick bekam und die Flucht ergriff.
In den einsamen Stunden kamen Jo immer mehr Fragen. Wenn er allein war, legte er sich seine Worte sorgfältig zurecht und polierte sie, bis sie wie Goldstücke glänzten, damit er auf Winters Rückkehr vorbereitet war.
»Kennst du alle Tunnel?«, fragte er.
»Noch nicht. Ich lasse mir Zeit beim Erkunden«, erklärte sie. »Ich will mich nicht verirren.«
»Wie weit reichen sie?«
»Weit.«
»Welchem Zweck dienen sie?«
Winter zuckte die Achseln. »Der Flucht.«
Bezog sich das auf sie beide oder jemand anderen? Jo wollte noch mehr fragen, aber Winter äugte bereits zum Durchgang und stand auf.
Eines Tages quälte ihn die Langweile, und sein Kopf juckte schrecklich. Er beschloss, auf Erkundungstour zu gehen, aber auf halbem Weg die nächstgelegene Steintreppe hinauf versagten ihm die Beine. Er kroch gerade in die Kammer zurück, als Winter eintraf. Er hätte schreien können vor Schmerzen und Frustration. Er schleppte sich in die Kammer zurück, sackte an der Wand zusammen und hielt sich mit beiden Händen den Mund zu, um seine Wut nicht herauszuschreien. Sie brannte wie Feuer. Und genau wie ein Feuer musste er sie in Schach halten und kontrollieren. Ansonsten würde sie ihn verschlingen und anderen Menschen schaden. Das hier war sein Neuanfang, den würde er nicht vermasseln. Er atmete tief ein und aus, bis er sicher war, dass der Schmerz ihn nicht überwältigte.
Winter stand einfach nur da und sah ihn auf ihre stille Art an.
Plötzlich verspürte er den Wunsch, mehr über sie zu erfahren. Was wollte sie? Was tat sie? An seinem Geburtstag hatte sie seinen schlimmsten Moment miterlebt, und trotzdem hatte sie ihm geholfen.
»Als ich dich neulich gesehen habe«, sagte Jo, »bei der Schlüpfzeremonie –« Es schoss aus ihm heraus, ehe er es verhindern konnte. Er wartete darauf, dass Winter sich zurückzog und ihm ihre Missbilligung zeigte.
»Ja?«, fragte sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Mit einem Fuß klopfte sie unruhig auf den Boden.
»Also, ich bin nicht so. Normalerweise. Ich habe einfach die Beherrschung verloren.« Er wappnete sich gegen ihre nächsten Worte. Gegen ihre Abweisung. »Ich wollte das alles nicht.«
Sie schwieg.
»Schau uns nur an, uns zwei Drachenlose.« Er bereute die Worte, sobald er sie ausgesprochen hatte. Wie konnte er sich nur mit ihr vergleichen? Sie hatte einen Drachen gehabt, der gestorben war, ihn hingegen hatte keiner gewählt.
Ein Schatten wanderte über Winters Gesicht, aber sie zuckte nicht mit der Wimper.
»Entschuldige! Tut mir leid, ich wollte damit nicht sagen, dass es uns gleich ergeht. Es ist bloß … Ich habe mich gefragt … Fast alle Drachenlosen haben die Insel verlassen. Nur du nicht … Warum bist du geblieben?«, fragte er so behutsam wie möglich.
Sie sah ihn an, ohne auch nur zu blinzeln.
Es war Jo, der als Erster den Blick abwandte. Seine Wangen brannten vor Verlegenheit über seinen unbeholfenen Kennenlernversuch. Er hätte sie nicht bedrängen sollen. Sie würde es ihm sagen, wenn sie so weit war.
Winter legte ihre Essenspakete ab und ging.
Ob sie wohl zurückkommen würde, fragte sich Jo. Es folgten lange, dunkle Stunden. Er holte sein Messer heraus und begann auf die Höhlenwand einzustechen, um seinen Frust abzulassen.
Wenn Winter nicht zurückkam – und warum sollte sie? –, hatte er die Wahl: Er konnte allein hier unten verhungern oder durch die langen Tunnel zurück ans Tageslicht kriechen, was am Ende womöglich auf das Gleiche hinauslief.
Er hackte weiter auf die Wand ein, um seine Hände zu beschäftigen, während seine Gedanken im Kreis jagten.
Warum hatte er das nur gesagt? Er wusste, dass sie um ihren Drachen trauerte. Man sah Winter an, wie verletzlich sie war. Aber gleichzeitig war sie auch sein Rettungsanker.
Er starrte auf das Loch, das er in die Höhlenwand gemeißelt hatte. Es ähnelte dem Umriss der riesigen Kammer, die er die unterirdische Drachenhalle genannt hatte. Das brachte ihn auf eine Idee. Er fügte einen Strich hinzu, der auf die Kammer zulief, und meißelte die kleine geschwungene Stelle ein, an der er in der ersten Nacht geschlafen hatte.
Als er einige Stunden später Schritte vernahm, rollte er sich erleichtert auf den Rücken und blieb einen Moment so liegen.
»Du bist wieder da! Oh, danke! Ich dachte, du würdest vielleicht СКАЧАТЬ