Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte. Roy Jacobsen
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Название: Der Sommer in dem Linda schwimmen lernte

Автор: Roy Jacobsen

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711448991

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СКАЧАТЬ »Seemann« oder »Das Leben in Finnskogene« hören können, was es sonst nur im Wunschkonzert gab, und was war mit »Alles oder nichts«, was Essi mir als ein achtes Weltwunder beschrieben hatte?

      Aber als ich endlich vom Tisch aufstand und ganz einfach ins Wohnzimmer ging und auf den Knopf über dem Tandberg-Schildchen drückte, passierte rein gar nichts. Nicht ein Geräusch. Nicht ein Lichtfunke. Dann donnerte ein knisternder Schneesturm in mein Gesicht und Kristians Stimme erklang aus der Küche:

      »Wir müssen den zuerst anmelden. Und er braucht eine Antenne.«

      Er stand auf und ging ins Untermieterzimmer und wühlte in einem Kasten und kam mit etwas heraus, das er als Zimmerantenne bezeichnete, es ähnelte den galvanisierten Fühlhörnern eines Riesenkäfers und war Kristians Aussage nach nur Müll. Aber als er es montiert hatte, konnten wir immerhin Fische sehen, die hinter etwas Wogendem und Welligem herumschwammen, das aussah wie die Tapete bei Syversens.

      »Ich besorge eine richtige Antenne«, sagte Kristian und drehte an den Fühlhörnern, so dass die Wellen wuchsen und schwanden.

      Wir sahen die deformierten Fische an. Mutter saß auf der Sofakante, mit aneinandergepressten Schuhladenknien und schräger, abwartender Haltung, als warte sie auf den Bus; Kristian stand breitbeinig und mit übereinandergeschlagenen Armen mitten im Zimmer und schaute aus der Balkontür, wo vermutlich die richtige Antenne angebracht werden sollte. Er setzte sich erst, als Mutter ihn dazu aufforderte, und auch er setzte sich nur auf die Stuhlkante, die Ellbogen nachdenklich auf die Knie gestützt, das Kinn berührte die Fingerknöchel nur ganz leicht, so dass auch er etwas Vorläufiges hatte. Ich war als Einziger wirklich anwesend. Aber an diesem Abend wurde die erste Grundlage für etwas gelegt, das ich damals wohl als Freundschaft empfand.

      Es stellte sich nämlich heraus, dass Kristian ein Anhänger der Zahlen war, wie ich, Rundenzeiten, Jahreszahlen, Autonummern, wenn ich erst etwas gelernt hatte, dann saß es. Er wusste zum Beispiel, dass es in Norwegen über sechzigtausend Fernseher gab, also fast in jedem zehnten Haushalt einen, in den USA gab es schon Farbfernsehen, fast in jedem Haus. Er benutzte Wörter wie »intelligent« und »Entwicklung« und »sporadisch«, Begriffe, zu denen Mutter und ich nur ein sehr vages Verhältnis hatten. Nach den Fischen füllte ein großes asiatisches Gesicht den Bildschirm, das, wie sich herausstellte, dem Mann mit dem albernen Namen U Thant gehörte, über den wir herzlich gelacht hatten, wenn er im Radio erwähnt wurde, aber Kristian wusste, dass U Thant offenbar intelligent und weitsichtig war – so heißt es, fügte er hinzu. Und schon diese kleine Bemerkung sagte uns, dass U Thants mentale Ausrüstung nicht nur die Einschätzung eines einzelnen Untermieters sein konnte, sondern etwas in Richtung einer Mehrheitsentscheidung, eine Wahrheit, geboren aus dem gelinde gesagt spekulativen »heißt es« und »offenbar« – es lag eine schleichende und unwiderstehliche Logik in so gut wie jedem Satz, den er aussprach. Und obwohl er in den nächsten Minuten sowohl Arschloch sagte (einmal) und Hinkefuß und malochen und blaumachen, dachten wir wieder, er könnte vielleicht ein gebildeter Mann sein, und ich sah Mutter an, dass sie das vielleicht noch nervöser machte als das Vulgäre, ich meine, fluchen kann jeder, auch hier hatte es allerlei Ausdrücke gehagelt, als die Tür zu meinem alten Zimmer ausgebaut worden war. Es war wohl die Mischung, die sie umwarf, dass ein und derselbe Mensch Wörter wie Arschloch und sporadisch enthielt, als sei der Bursche eine Promenadenmischung, ein Mann ohne Heimat, und das ist, wie jeder weiß, ein Zigeuner, was wiederum falsch und unzuverlässig bedeutet, hatten wir uns also hier in unserer Idylle ein trojanisches Pferd aufstellen lassen?

      Der Abend endete mit einem kurzen Befehl von Seiten meiner Mutter.

      »Ja, nein, jetzt ist wohl Schlafenszeit.«

      Sie stand auf und zog ihren Rocksaum nach unten. Nun sprang auch Kristian auf, wie auf frischer Tat ertappt.

      »Ja, doch, morgen ist ja auch noch ein Tag. Gute Nacht.«

      Er ging in sein Zimmer, kam aber wieder heraus und sagte, »danke für das Essen, das habe ich wohl vergessen«, und legte ein schwarzes Fünf-Öre-Stück auf den Fernseher, damit ich es mir nehmen könnte, ein Fünf-Öre-Stück aus Kriegszeiten, er erzählte, er habe selbst einmal Münzen gesammelt, ich machte das sicher auch.

      Mutter und ich konnten endlich ins Badezimmer gehen, zur Abendtoilette, die umfassender geworden war, seit wir den Untermieter hatten, denn sie musste bis zum letzten Moment damit warten, ihre Schuhladenschminke zu entfernen, während ich mit der Zahnbürste in der einen und dem Fünf-Öre-Stück in der anderen Hand auf der Badewannenkante saß.

      »Was sagst du?«, fragte sie und schaute mich im Spiegel an.

      »In Ordnung«, sagte ich, über den Fernseher, auch wenn der – wegen des Programmprofils vermutlich – meinen Erwartungen nicht ganz entsprochen hatte, aber das wäre auch nicht so leicht gewesen und ich würde am nächsten Tag in der Schule immerhin etwas zu erzählen haben.

      »Seltsam«, sagte sie.

      »Was denn?«

      »Ich hoffe bloß, wir haben keine Dummheit begangen.«

      »Hä?«

      »Hast du die Hände nicht gesehen, nie im Leben arbeitet der auf dem Bau.«

      »Wie meinst du das?«

      »Du hast doch die Hände von Frank gesehen ... äh, von Herrn Syversen.«

      Ich begriff nicht, worauf sie hinauswollte, aber ich schaute auf meine linke Hand, die mit dem Fünf-Öre-Stück, daran war nichts auszusetzen.

      »Hoffentlich ist der kein Snob«, sagte Mutter.

      Ich wusste nicht, was ein Snob war, und fand auch nicht, dass dieses Wort sonderlich gut zu Kristian passte, nachdem sie es erklärt hatte.

      An den folgenden Tagen stellte es sich heraus, dass der neue Untermieter allerlei Dinge hatte, die jeder sich hätte denken können, ein Bajonett aus seiner Soldatenzeit, ein Mikroskop in einem mit Messing beschlagenen Holzbehälter, einen Lederbeutel mit achtundzwanzig Stahlkugeln, die in den Kugellagern von gelben Baggern gesteckt hatten und die man als Klicker nehmen oder einfach in der Hand halten konnte – was für unvergleichlich herrliche Gegenstände zum In-der-Hand-Halten. In einem weiteren Holzkasten hatte er einen kleinen Kreisel aus Messing, mit einem aufgemalten grünen Spiralmuster, von dem einem beim Hinsehen schon schwindlig wurde. Dazu kam noch ein Schachspiel mit Stahlfiguren, das er angeblich selbst hergestellt hatte, wie auch den Kreisel, er sei nämlich gelernter Werkzeugmacher. Aber er habe sich als Werkzeugmacher nicht wohlgefühlt, aus Ursachen, die er erklärte, von denen ich aber nichts verstand. Dann war er also Seemann geworden, und das hatte ihm gut gefallen, bis sein Schiff westlich von Irland untergegangen war. Dann hatte er nicht mehr zur See fahren wollen und war zu seinem alten Beruf zurückgekehrt, der sich inzwischen aber nicht verändert hatte, und deshalb war er schließlich auf dem Bau gelandet.

      Wir kamen also nicht weiter mit dieser Unternehmung, die Mutter zufolge nicht zu seinen Händen passte, bis sie ihn eines Abends ganz offen fragte, nachdem er – pünktlich – die Miete für den ersten Monat bezahlt hatte.

      »Ich bin vor allem mit Gewerkschaftsarbeit beschäftigt«, sagte er kurz und ging auf sein Zimmer, und Mutter und ich blieben stehen und sahen einander fragend an.

      »Himmel«, sagte meine Mutter.

      Damit wurde dieses Mysterium von einem anderen abgelöst. Warum konnte Kristian nicht so wie wir die Karten auf den Tisch legen, wo er schon bei uns wohnte und auf eine Weise sympathisch wirkte, die uns dazu brachte, ihn zu mögen?

      Jetzt war es Mutter, СКАЧАТЬ