Название: Maigret und der Mann auf der Bank
Автор: Georges Simenon
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Georges Simenon
isbn: 9783311701934
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»Was wollen Sie?«
»Ich muss Sie sprechen.«
»Was beweist mir, dass Sie von der Polizei sind?«
Es war reiner Zufall, dass Maigret seine Marke in der Tasche hatte. Meistens ließ er sie zu Hause. Er hielt sie ins Licht.
»Gut. Scheint echt zu sein.«
Sie durften eintreten. Der Flur war eng, die Wände weiß gestrichen, Leisten und Türen aus lackiertem Holz. Die Küchentür stand noch offen. Die Frau führte sie in ein angrenzendes Zimmer und schaltete das Licht ein.
Sie war etwa so alt wie ihr Mann, aber stattlicher als er, ohne dick zu wirken. Sie war kräftig gebaut und hatte straffe Haut. Das graue Kleid mit Schürze, die sie mechanisch abnahm, ließ sie nicht milder wirken.
Es war ein rustikal eingerichtetes Esszimmer, das wohl auch als Wohnraum diente. Die Möbel waren aufgestellt wie in einem Schaufenster oder im Lager eines Möbelhändlers. Nichts lag herum, keine Pfeife, keine Zigarettenschachtel, keine Handarbeit, keine Zeitung. Nichts ließ darauf schließen, dass hier Menschen einen Teil ihres Lebens verbrachten. Die Frau bot ihnen nicht an, sich zu setzen. Stattdessen sah sie auf die Schuhe der beiden Männer, als wollte sie prüfen, ob sie das Linoleum beschmutzten.
»Ich höre.«
»Ihr Mann heißt Louis Thouret?«
Mit zusammengezogenen Brauen versuchte sie den Sinn des Besuchs zu erraten und nickte stumm.
»Er arbeitet in Paris?«
»Er ist stellvertretender Direktor bei Kaplan & Zanin in der Rue de Bondy.«
»War er je als Lagerverwalter tätig?«
»Früher einmal, ja.«
»Ist das lange her?«
»Einige Jahre. Schon damals hat eigentlich er die Firma geführt.«
»Haben Sie vielleicht ein Foto von ihm?«
»Wofür?«
»Ich möchte mich vergewissern …«
»In welcher Hinsicht vergewissern?«
Ihr Argwohn wuchs.
»Ist Louis etwas zugestoßen?«
Unwillkürlich warf sie einen Blick auf die Uhr in der Küche nebenan, als überlegte sie, wo er zu dieser Stunde sein konnte.
»Ich möchte mich vergewissern, ob es sich wirklich um seine Person handelt.«
»Auf dem Buffet«, sagte sie.
Fünf oder sechs Fotos in Metallrahmen standen dort. Eines zeigte ein junges Mädchen und ein anderes den erstochenen Mann in der Sackgasse. Er war darauf viel jünger und schwarz gekleidet.
»Ist Ihnen bekannt, ob Ihr Mann Feinde hat?«
»Warum sollte er Feinde haben?«
Sie ging kurz in die Küche und drehte das Gas ab, denn auf dem Herd köchelte irgendetwas.
»Wann kommt er gewöhnlich von seiner Arbeit zurück?«
»Er nimmt immer denselben Zug an der Gare de Lyon, um sechs Uhr zweiundzwanzig. Unsere Tochter kommt mit dem späteren Zug. Sie arbeitet etwas länger, sie hat eine Vertrauensstellung und …«
»Ich muss Sie leider bitten, uns nach Paris zu begleiten.«
»Ist Louis tot?«
Sie sah die beiden Männer fest an, mit dem Blick einer Frau, die nicht erträgt, dass man sie belügt.
»Sagen Sie mir die Wahrheit.«
»Er ist heute Nachmittag ermordet worden.«
»Wo?«
»In einer Sackgasse am Boulevard Saint-Martin.«
»Was hat er da gemacht?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wann war das?«
»Vermutlich um kurz nach halb fünf.«
»Um halb fünf ist er bei Kaplan. Haben Sie mit denen gesprochen?«
»Dazu war noch keine Zeit. Wir wussten im Übrigen nicht, wo er gearbeitet hat.«
»Wer hat ihn ermordet?«
»Das versuchen wir herauszufinden.«
»War er allein?«
Maigret wurde ungeduldig.
»Es wäre besser, Sie ziehen sich an und kommen mit uns.«
»Was hat man mit ihm gemacht?«
»Er wird mittlerweile in die Gerichtsmedizin gebracht worden sein.«
»Ist das die Leichenhalle?«
Was sollte er darauf antworten?
»Wie kann ich meiner Tochter Bescheid sagen?«
»Sie könnten ihr eine Nachricht hinterlassen.«
Sie dachte einen Augenblick nach.
»Nein«, sagte sie dann, »wir fahren bei meiner Schwester vorbei, und ich gebe ihr den Schlüssel. Sie soll dann herkommen und hier auf Monique warten. Müssen Sie meine Tochter auch sprechen?«
»Das empfiehlt sich.«
»Wo soll sie uns treffen?«
»In meinem Büro am Quai des Orfèvres, das ist am einfachsten. Wie alt ist sie?«
»Zweiundzwanzig.«
»Können Sie Ihre Tochter nicht anrufen?«
»Wir haben kein Telefon. Außerdem ist sie jetzt nicht mehr im Büro, sondern schon unterwegs zum Bahnhof. Warten Sie bitte einen Augenblick.«
Sie ging die Treppe hinauf. Die Stufen knarrten, allerdings nicht, weil das Holz alt, sondern weil es zu dünn war.
Das ganze Haus machte den Eindruck, aus billigem Material erbaut zu sein, das vermutlich nicht sehr haltbar war.
Die beiden Männer sahen einander an, während sie die Frau über ihren Köpfen hin und her gehen hörten. Bestimmt zog sie sich ein schwarzes Kleid an, und wahrscheinlich frisierte sie sich noch einmal. Als sie wieder herunterkam, wechselten sie erneut einen Blick: Sie hatten recht gehabt. Sie trug bereits Trauer und duftete nach Eau de Cologne.
»Ich muss noch das СКАЧАТЬ