Von Pilzen und anderen Menschen. Cecily von Hundt
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Название: Von Pilzen und anderen Menschen

Автор: Cecily von Hundt

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783709939413

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СКАЧАТЬ durchschaut, er roch nach Ärger. Ich ahnte nichts Gutes für die Zukunft der Geschwister Fellow.

      Am nächsten Morgen, einem Samstag, machten sich die ersten Veränderungen bemerkbar. Ich kam die Treppe ins Eßzimmer hinunter, und niemand schien da zu sein. Der Frühstückstisch war reichlich gedeckt, ich war sechs Jahre alt, allein und konnte zum ersten Mal meine große Leidenschaft, die Freiheit riechen. Nachdem ich ausnahmslos alle Muffins aufgegessen hatte, kam Susan die Treppe herunter. Ihre Augen glänzten. „Er hat zum ersten Mal gegähnt, Miss Emma“, sagte sie, „aber er hat noch gar keine Zähne.“ „Braucht man die, um zu gähnen, Susan?“ „Nein, natürlich nicht, Dummerchen. Wie kommen die Würstchen in die Magnolien?“

      „Sie sind geflogen. Sie haben mir vorher nicht verraten, wo es hingehen würde. Stell dir vor, alle Dinge könnten auf einmal so anfangen zu fliegen. An einen Ort, an dem sie am allerliebsten sein möchten, was meinst du, wo wären wir dann jetzt?“

      „Ich weiß es nicht, Kind.“ Sie goß den Kaffee aus der Vase und pflückte die Würste aus den Blumen. „Deine Mama hat gesagt, du sollst nicht in die Nähe von deinem Bruder kommen, bis er nicht ein bißchen älter ist. Du bist ein Bazillenträger, hat sie gesagt. Laß ihn zufrieden. Und jetzt raus, Madame, spielen.“

      Ein Wunder war geschehen.

      Meine Abende hier sind herrlich ruhig. Ich sitze oft am Kamin unten im großen Salon. Er ist zusammen mit dem blauen Eßraum das einzige Zimmer im ganzen Gebäude, das nicht weiß ist. An den Wänden stehen Bücherregale mit schön eingebundenen Büchern, aber allesamt nur Schundliteratur. Als könnte man geistig angeschlagenen oder traumatisch berührten Patienten, wie wir genannt werden, keine anspruchsvolle Literatur zumuten. Der Raum gilt als Leseraum. Es gibt auch noch einen Fernsehraum, aber ich bevorzuge diesen, weil hier ruhig und leise gesprochen wird, und man sieht immer dieselben Gesichter. Wir sollen uns untereinander näher kommen, was ich kein bißchen anstrebe. Ich möchte mit niemandem etwas zu tun haben und versuche zu vermeiden, daß ich angesprochen werde. Insgesamt sind hier sechzig Personen untergebracht, inklusive der Köchin und einem Kind, die beide hier leben. Ob es ihres ist, weiß ich nicht, ich werde sie bei Gelegenheit einmal fragen, die Kleine müßte so alt wie June sein, vielleicht ein paar Jahre jünger, schätzungsweise neun oder zehn. Ich habe sie heute beim Spielen beobachtet, vom Fenster meines Zimmers aus. Sie hat einen Schneemann gebaut und ihn immer wieder mit kaltem Wasser übergossen, bis sein komisches kleines Gesicht wie in Eis gemeißelt aussah. Sein einer Mundwinkel hat gelacht, und der andere hat geweint, mit einer großen Träne unter dem linken Auge. Er rührte mich, als ich ihn sah. Wenn ich Schnee fühle oder betrachte, muß ich immer an zu Hause denken und einen Moment war es mir, als würde ich June beobachten, wie sie in ihrer ruhigen Art und mit ihren geschickten Fingern zusammen mit dem kleinen Mädchen mit den zotteligen, blonden Haaren dem Schneemann ein kleines Gesicht aus Kohlestückchen und einer Mohrrübe bastelt. Die Kleine sieht June ein wenig ähnlich mit ihren großen, aufmerksamen Augen, nur hat June dunklere Haare, meine kleine süße, schönste Schwester. Sie hat mir gestern einen Brief geschrieben und mir erzählt, daß sie gute, glänzende Maronen gekauft und sie über dem Feuer geröstet und gegessen hat. Sie beklagt sich nicht, daß sie ganz allein zu Hause ist, aber ich glaube, sie vermißt mich, und ich werde mir etwas überlegen müssen, wo wir Geld herbekommen.

      „Meine Liebe, Sie sehen so trübsinnig aus. Das dürfen Sie nicht, Sie sind noch viel zu jung dafür. Trinken Sie lieber noch einen Schluck mit mir, und was es auch sein mag, was Sie bedrückt, Sie werden sehen, es verfliegt.“

      Mrs. Winterbottom hat mich vom ersten Tag an für sich beansprucht. Sie ist seit zwei Monaten hier und hat etwas wirklich Schreckliches erlebt. Ihr Mann hatte beim Essen plötzlich einen Erstickungsanfall, und sie hatte sich so sehr erschrocken, daß sie in Ohnmacht gefallen war und den Arzt nicht hatte rufen können.

      Sie teilt meine Leidenschaft für guten, gereiften Cognac und jede andere Art Alkoholika.

      „Danke.“

      Ich bekomme ein volles Glas mit der würzigen, goldbraunen Flüssigkeit.

      „Woran denken Sie?“

      „Ich denke an dieses Haus und seine weißen Wände.“ „Scheußlich, nicht wahr?“

      „Ja. Wo haben Sie denn den Cognac aufgetan?“

      Sie lächelt verschwörerisch.

      „Ich habe ihn unter meinem Bett in meinem Koffer versteckt. Ich komme mir vor wie in meiner Mädchenzeit im Pensionat. Wir hatten da immer unsere Vorräte, bis sie irgendwann entdeckt wurden, weil Jo-Ann den Rotwein nicht vertragen hatte und sich die ganze Nacht übergeben mußte, dieses einfältige Mädchen, so war sie immer gewesen. Fünf von uns wurden der Schule verwiesen, unter anderem ich.“

      Sie unterbricht sich und mustert mich neugierig.

      „Sie sehen immer noch traurig aus!“

      „Ich habe eine kleine Schwester, die ganz allein ist, und das macht mir Sorgen. Sie kann nachts nicht gut schlafen, weil sie glaubt, daß jemand ums Haus schleichen könnte, aber sie ist klug, ich weiß, daß ich mir keine Sorgen machen müßte, außerdem ist sie auch schon zwölf.“

      „Das ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Ich war mit zwölf schon sehr erwachsen.“ Sie kichert und die dunklen Augen in ihrem kleinen Koboldgesicht glänzen. Ich bin mir sicher, sie würde June gefallen.

      „Sie müssen uns mal besuchen, Mrs. Winterbottom.“ Ich mag sie beinahe, erstaunlicherweise.

      „Das tue ich, meine Liebe, das tue ich und jetzt trinken Sie mit mir. Auf Ihr Wohl, und auf das Ihrer Familie!“

      An dem Tag, an dem Byron unser Haus in Beschlag nahm, brach für mich eine wundervolle Zeit an.

      Einmal hörte ich Mama und Susan streiten.

      „Er darf nicht mehr gestillt werden, Madame, er ist zu alt.“

      „Du dumme Person, sag mir nicht, wie ich mit meinen Kindern umgehen soll. Ich habe eine Tochter groß gezogen, ich weiß, was ich tue, misch dich nicht ein.“ So ging es in einem fort, Susan war beleidigt und ich erstaunt über die Mutterliebe, die sich bei Mama breitmachte. Diese Eigenschaft hatte ich bei ihr bisher noch nicht feststellen können. Um Arien singen zu können, war mein übelriechender Bruder zu klein, und abgesehen davon, daß ich nicht unparteiisch war, konnte sich kein noch so liebendes Mutterherz der Tatsache verschließen, daß er ein ziemlich unansehnliches Baby war. Aber sie liebte ihn, das war offensichtlich.

      Sein Geschrei tönte den ganzen Tag durchs Haus, neben nervösen Stimmbändern besaß er einen nervösen Magen und eine überaus nervöse Mutter, aber ich konnte entfliehen, wann immer ich wollte. Mama lag die meiste Zeit mit Migräne im Bett und er daneben. Aline war abbestellt, um sich um das leibliche Wohlergehen des jungen Erben zu kümmern. Sie fütterte ihn, sang ihm Schlaflieder vor, bestätigte Mama wieder und wieder, was für ein hübsches Kerlchen er sei, aber als sie sich einen Moment unbeobachtet fühlte, sah ich, wie sie den faltigen, mageren Säugling mit festem Griff kräftig in die Oberschenkel kniff. Das alles interessierte mich wenig. Wer mir fehlte, war Papa. Er war ständig unterwegs, und ich sah ihn noch weniger als früher. Wenn er nach Hause kam, hatte er eine Fahne und war der reizendste Vater der Welt. Jeden Abend wartete ich am Fuß der Treppe und verhielt mich mucksmäuschenstill, damit Aline mich nicht fand und ins Bett brachte. Einige Stunden konnte ich so sitzen und frieren, bis er kam.

      „Komm in meine Arme, Prinzessin, laß dich anschauen.“

      „Ich СКАЧАТЬ