Von Pilzen und anderen Menschen. Cecily von Hundt
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Von Pilzen und anderen Menschen - Cecily von Hundt страница 3

Название: Von Pilzen und anderen Menschen

Автор: Cecily von Hundt

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783709939413

isbn:

СКАЧАТЬ und vor Mama, die wie eine Drohne drohend auf der Terrasse saß und uns beide durch die Anlagen hetzte. Erwischte sie mich, wurde ich auf den alten Speicher gesperrt, auf den ich alleine nicht gehen durfte, da meine Eltern Angst hatten, ich könnte mich an den rostigen Nägeln und alten, blinden Spiegeln verletzen. Mit der Angst um meine Person war es nicht mehr weit her, wenn es darum ging, daß ich von der Bildfläche verschwinden sollte. Ich freute mich, denn ich liebte diesen Ort mit den großen, alten Schränken, vollgestopft mit verbogenen Schuhen, mottenzerfressenen Kleidern, alten Büchern und Lampenschirmen. Im Winter war es warm und trocken, und im Sommer kletterte ich durch eine kleine Luke auf das Dach und konnte die Sterne beobachten.

      Soweit ließ es sich leben. Mühsam wurde es erst, wenn ich nicht schnell genug begriff, wenn sie einen ihrer guten Tage hatte. Sie bestellte mich dann, sich an ihre mütterlichen Pflichten erinnernd, in ihr Zimmer und ich mußte ihr vorführen, wie weit meine Gesangstalente gediehen waren, die mir beim besten Willen nicht angedeihen wollten. Sie war entschieden anderer Meinung, denn sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ein Stimmwunder in die Welt gesetzt zu haben. Und so stand ich vor ihr, sang mit zitternden Knien und rotem Kopf die Partituren herauf und herunter und haßte sie aus ganzer Seele. Wir hangelten uns wöchentlich von Drama zu Drama. Ihre üble Laune verschlechterte sich zusehends, und man konnte es ihr förmlich ansehen, daß sie nicht wußte, was sie mit mir anfangen sollte. Ich konnte verdammt noch einmal nicht singen, war nicht hübsch genug, um mich in kleine, rosa Kleidchen stecken zu können und hatte kein Interesse an den Puppen, die sie mir schenkte. Und so langweilte ich sie, und sie langweilte mich.

      Wenn sie mich aus ihrem, nach schwerem Parfum duftenden Zimmer entließ, rutschte ich leichten Herzens das Treppengeländer hinunter, froh darüber, ihr entkommen zu sein. Während ich immer schneller und schneller wurde, stellte ich mir vor, mir wüchsen Flügel, und das hellbraune Holz quietschte leicht unter meinen Beinen, die in weichen Wollstrumpfhosen steckten, und ich vergaß nie den Treppenabsatz genau zu treffen, an guten Tagen gelang es mir sogar mit geschlossenen Augen. Wenn ich unten angekommen war, lief ich in Windeseile in den freundlichen Garten, weit, weit fort von ihr.

      Kinder waren für sie ganz und gar nicht das, was sie sich darunter vorgestellt hatte.

      Bis der liebste Byron schließlich auf den Plan trat.

      Ich habe die ersten fünf Tage, nachdem ich hierher gekommen bin, nur geschlafen. Tief und fest geschlafen. Die ganze Sache hat mich wohl doch mehr mitgenommen, als ich dachte. Aber vielleicht ist das ja ein gutes Zeichen, und ich habe sie alle überwunden und einfach vergessen, ausgelöscht, verdaut.

      Ich sitze am Fenster und rauche eine Zigarette. Ich sauge den Rauch hungrig und gierig ein und freue mich wie ein Kind. Es ist meine erste Zigarette seit einem Jahr. Es hat mal einen Mann gegeben, dem zuliebe ich aufgehört habe zu rauchen. Einfach so, von einem Tag auf den anderen. Ich würde sagen, im Rückblick betrachtet, hat sich das Opfer nicht gelohnt. Man sollte sich in seinem Leben gut überlegen, für wen man das Rauchen aufgibt, man sollte diese Person wirklich sehr lieben, sonst nimmt man es ihr irgendwann einmal sehr übel.

      Jetzt genieße ich meine Zigarette. Ich schließe die Augen, inhaliere und spüre, wie der Rauch bis tief in die Lungen gleitet. Er sorgt für ein wohliges Gefühl, das sich in meinem Kopf und in meinem Magen ausbreitet, und daß meine Hände aufhören zu zittern.

      Heute morgen haben sie mich das erste Mal zu meinem Arzt Dr. Evans gebracht. Er hat mich freundlich begrüßt und betont, wie sehr er sich freuen würde mich zu sehen. Er hat viel von der neutralen Beziehung zwischen Arzt und Patient gesprochen und mir dabei unentwegt in den Ausschnitt gestarrt. Er ist alt und häßlich und behandelt mich gönnerhaft und denkt, er könne alles von mir erfahren, was er will. Er wolle mir helfen, ging es weiter, und wir müßten einen Konsens finden, damit wir zu einem befriedigenden Ergebnis kämen. Ich habe ihm gesagt, ich würde mich nach keinem Ergebnis sehnen, und ich würde mir nichts inniger wünschen als hier wieder herauszukommen. Damit ich nach Hause gehen könne. Ich habe sein Mißtrauen genau gespürt. Vielleicht ist er in mein Zimmer gekommen, während der Tage, die ich mehr schlafend als wach verbracht habe, und hat mich beobachtet. Vielleicht hat er sich auch an mein Bett gesetzt und hat mir beim Schlafen zugeschaut und darauf gewartet, daß ich anfangen würde zu reden. Egal was, irgend etwas, was seinen Verdacht bestätigt hätte, aber ich habe ihm nichts geliefert, das weiß ich genau. Ich bin so rein und weiß wie der Schnee auf der Spitze des Kilimandscharo, und im Schlaf geredet habe ich noch nie.

      Die Tür von seinem Arbeitszimmer war angelehnt, und ich konnte den Rücken eines jungen Arztes sehen, der im Nebenraum am Schreibtisch saß. Ich gehe davon aus, daß er jung ist, zumindest hat er noch alle Haare auf dem Kopf, im Gegensatz zu meinem eifrigen Professor. Und obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, strahlte er so etwas ungemein Beruhigendes aus, und ich hätte mich so gerne an diesen breiten Rücken geschmiegt, so wie ich es früher immer getan habe, wenn ich an der Treppe auf meinen Vater gewartet und ihn ins Bett gebracht habe.

      Der Rücken ist der einzige Lichtblick in diesem Irrenhaus. Er hat nichts getan, außer einfach nur so da zu sitzen, und die Tür war so weit auf, daß ich ihn riechen konnte.

      Er roch verdammt gut.

      Auf dem Tauffoto, das kurz nach Byrons Geburt gemacht wurde, habe ich lange, zottelig blonde Haare. Ich halte den Kopf schief und sehe so aus, als hätte ich Zahnschmerzen. Wir sind nur zu dritt auf dem Bild, Mama, Byron und ich. Papa hat das Foto gemacht, und wenn man mich betrachtet, kann man deutlich sehen, daß dies nicht gerade der glücklichste Tag meines jungen Lebens war. „Emma“, sagte mein Vater in den Wochen vor der Geburt, „Emma, du bist mein großes Prachtstück, aber laß uns zusammen in die Kirche gehen, ich möchte dafür beten, daß es ein Junge wird.“ Wir gingen nicht in die Kirche, sondern in den Pub im Ort. Papa betrank sich hemmungslos, ich schlief auf seinem Schoß ein, und wir kamen erst spät in der Nacht nach Hause, was niemand außer Aline bemerkte, die wortlos erst mich und dann Papa ins Bett brachte, wie immer in dieser Reihenfolge.

      Mein Bruder Byron wurde in der Nacht geboren, genau um viertel nach drei. Es war eine von den Nächten, in denen Papa nicht beten gegangen war, er war bei der Geburt seines Sohnes dabei und ausnahmsweise nüchtern. Aline und ich standen vor der großen schweren Eichentür des Schlafzimmers, und obwohl ich erst sechs Jahre alt war, erinnere ich mich noch genau, wie erstaunt Mr. Wired, der Arzt aus dem Dorf, mich anblickte, als er das Schlafzimmer verließ. „Schon spät, kleine Lady“, murmelte er und steckte mir einen Butterfinger zu.

      „Das macht mir nichts aus, Mr. Wired, meine Eltern sind nachts immer sehr beschäftigt, ich soll nicht stören.“

      „Hm! Na, dann nimm erst einmal eine kleine Stärkung, damit du hier nicht verhungerst.“ Ich mochte keine Butterfinger, aber der kleine hutzelige Mann gefiel mir, so knickste ich höflich und nahm ihn an.

      Byron brachte sich durch eine schnelle und unproblematische Geburt reibungslos in das Familienleben ein. Mamas Gesicht drückte eine zärtliche, hingebungsvolle Mutterliebe und einen bewundernden Stolz aus, als ich meinen Bruder frisch gewaschen und in hellblaue Seide gehüllt in ihrem Arm betrachten durfte. Es ist möglich, daß ich es mir nur einbildete, aber ich glaubte, in seinen kleinen Fischaugen so etwas wie Triumph zu entdecken. Schon in seinen ersten Lebensminuten lief seine Nase, und er strömte einen unangenehmen Geruch aus. Als ich älter wurde, entdeckte ich, daß man die Menschen in meiner Familie an ihren Augen und an ihrem Geruch erkennen kann. Sie haben zwei Arten von Augen. Sanfte dunkelgrüne, wie mein Vater, oder kalte, hellblaue, wächserne wie meine Mutter. Mein Vater roch wie ein guter, alter Holzofen, der im Winter bullernde Wärme und Behaglichkeit ausströmt, meine Mutter roch immer ganz leicht nach jungen Krabben.

      Byron war eindeutig nach meiner Mutter geraten, er hatte kalte Glasaugen und stank nach Fisch. Ich war erstaunt darüber, jemand hatte mir mal erzählt, kleine Kinder röchen nach warmer СКАЧАТЬ