George Orwell: 1984. George Orwell
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Название: George Orwell: 1984

Автор: George Orwell

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

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isbn: 9783868208955

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СКАЧАТЬ zu haben. Er konnte sich jetzt nicht mehr erinnern, ob er O’Brien vor oder nach dem Traum zum ersten Mal gesehen hatte, und er konnte sich auch nicht mehr erinnern, wann er die Stimme zum ersten Mal als die von O’Brien identifiziert hatte. Aber auf jeden Fall war diese Identifikation erfolgt. Es war O’Brien, der aus der Dunkelheit zu ihm gesprochen hatte.

      Winston hatte nie sicher sein können – auch nach dem flüchtigen Blickkontakt von heute Morgen konnte er dessen nicht sicher sein –, ob O’Brien ein Freund oder ein Feind war. Das schien nicht einmal allzu wichtig zu sein. Zwischen ihnen herrschte ein Einverständnis, das wichtiger war als Zuneigung oder Parteizugehörigkeit. »Wir werden uns an dem Ort treffen, wo keine Dunkelheit herrscht«, hatte er gesagt. Winston wusste nicht, was das bedeutete, nur, dass es auf die eine oder andere Weise wahr werden würde.

      Die Stimme aus dem Teleschirm brach ab. Ein Trompetensignal schmetterte klar und schön in die stille Luft. Die Stimme fuhr krächzend fort:

       Achtung! Wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit! Soeben hat uns eine Sondermeldung von der Malabar-Front erreicht. Unsere Streitkräfte in Südindien haben einen glorreichen Sieg errungen. Ich bin befugt zu berichten, dass durch diese militärische Operation das Kriegsende sehr wahrscheinlich in greifbare Nähe rückt. Es folgt die Sondermeldung –

      Da muss noch irgendwas Schlechtes nachkommen, dachte Winston. Und in der Tat folgte auf eine blutrünstige Schilderung der vollständigen Vernichtung einer eurasischen Armee, bei der riesige Zahlen von Toten und Gefangenen genannt wurden, die Ankündigung, dass ab nächster Woche die Schokoladenration von dreißig auf zwanzig Gramm reduziert werden würde.

      Winston rülpste erneut. Der Gin verlor an Wirkung und hinterließ ein hohles Gefühl. Der Teleschirm spielte nun lauthals »Ozeanien, du allein« – vielleicht um den Sieg zu feiern, vielleicht um die Erinnerung an die Schokoladenkürzung zu übertünchen. Es wurde von einem erwartet, dass man dabei die Habachtstellung einnahm. Aber an seinem derzeitigen Platz war Winston unsichtbar.

      »Ozeanien, du allein« wich einer leichteren Musik. Winston ging zum Fenster hinüber, mit dem Rücken zum Teleschirm. Der Tag war immer noch kalt und klar. Irgendwo in der Ferne detonierte eine Raketenbombe mit einem dumpfen, widerhallenden Dröhnen. Zurzeit fielen etwa zwanzig oder dreißig von ihnen wöchentlich auf London.

      Unten auf der Straße flatterte das zerrissene Plakat im Wind hin und her, und das Wort ENGSOZ wurde abwechselnd verdeckt und enthüllt. Engsoz. Die heiligen Prinzipien des Engsoz. Neusprech, Zwiedenk, die Veränderlichkeit der Vergangenheit. Er fühlte sich, als irre er in den Wäldern auf dem Meeresgrund umher, verloren in einer monströsen Welt, in der er selbst das Monster war. Er war allein. Die Vergangenheit war tot, die Zukunft war unvorstellbar. Welche Gewissheit hatte er, dass auch nur ein einziger lebender Mensch auf seiner Seite war? Und woher sollte er wissen, ob die Herrschaft der Partei nicht auf EWIG Bestand haben würde? Wie zur Antwort fielen ihm die drei Parolen auf der weißen Front des Ministeriums für Wahrheit ein:

      KRIEG IST FRIEDEN

      FREIHEIT IST SKLAVEREI

      UNWISSENHEIT IST STÄRKE

      Er nahm ein Fünfundzwanzig-Cent-Stück aus seiner Tasche. Auch dort waren in winziger, klarer Schrift dieselben Parolen eingraviert, und auf der anderen Seite der Münze prangte der Kopf des Großen Bruders. Selbst von der Münze aus verfolgten einen die Augen. Von Münzen, Briefmarken, Bucheinbänden, Bannern, Plakaten und Zigarettenschachteln – von überall verfolgten sie einen. Überall waren diese Augen, die einen beobachteten, und die Stimme, die einen umgab. Ob im Schlafen oder Wachen, beim Arbeiten oder Essen, drinnen oder draußen, im Bad oder im Bett – es gab kein Entkommen. Nichts gehörte einem außer den wenigen Kubikzentimetern im eigenen Schädel.

      Die Sonne war weitergerückt, und die unzähligen Fenster des Ministeriums für Wahrheit, auf die das Licht nun nicht mehr schien, sahen so düster aus wie die Schießscharten einer Festung. Sein Mut verzagte angesichts dieses gewaltigen pyramidenartigen Baus. Er war zu mächtig, er konnte nicht gestürmt werden. Tausend Raketenbomben würden ihn nicht zertrümmern können. Er fragte sich wieder, für wen er das Tagebuch überhaupt schrieb. Für die Zukunft, für die Vergangenheit – für ein vielleicht nur imaginäres Zeitalter. Und vor ihm lag nicht der Tod, sondern die Auslöschung. Das Tagebuch würde zu Asche und er selbst zu bloßem Rauch zerfallen. Nur die Gedankenpolizei würde lesen, was er geschrieben hatte, bevor sie es aus der Welt und aus der Erinnerung tilgte. Wie konnte man an die Zukunft appellieren, wenn keine Spur von einem, nicht einmal ein anonymes, auf ein Blatt Papier gekritzeltes Wort, physisch fortbestehen konnte?

      Der Teleschirm schlug vierzehn. In zehn Minuten musste er aufbrechen. Er musste um vierzehn Uhr dreißig wieder bei der Arbeit sein.

      Seltsamerweise schien das Läuten der Stunde ihn mit neuem Mut erfüllt zu haben. Er war eine einsame Spukgestalt, die eine Wahrheit verkündete, die niemand jemals hören würde. Aber solange er sie ausdrückte, war auf eine unergründliche Weise die Kontinuität nicht unterbrochen. Nicht indem man sich Gehör verschaffte, sondern indem man bei Verstand blieb, führte man das Erbe der Menschheit fort. Er ging zurück zum Tisch, tauchte seine Feder ein und schrieb:

       An die Zukunft oder die Vergangenheit, an eine Zeit, in der die Gedanken frei sind, in der sich die Menschen voneinander unterscheiden und nicht allein leben – eine Zeit, in der die Wahrheit existiert und das Geschehene nicht ungeschehen gemacht werden kann: Grüße aus dem Zeitalter der Uniformität, aus dem Zeitalter der Einsamkeit, aus dem Zeitalter des Großen Bruders, aus dem Zeitalter des Zwiedenkens!

      Er war bereits tot, überlegte er. Es schien ihm, dass er erst jetzt, wo er damit begonnen hatte, seine Gedanken zu formulieren, den entscheidenden Schritt getan hatte. Die Folgen jeder Handlung sind bereits in der Handlung selbst enthalten. Er schrieb:

       Gedankenverbrechen hat nicht den Tod zur Folge: Gedankenverbrechen IST der Tod.

      Jetzt, da er sich als Toten erkannt hatte, wurde es wichtig, so lange wie möglich am Leben zu bleiben. Zwei Finger seiner rechten Hand waren mit Tinte beschmiert. Durch genau solche Kleinigkeiten konnte man sich verraten. Irgendein herumschnüffelnder Fanatiker im Ministerium (wahrscheinlich eine Frau: jemand wie die kleine, rotblonde Frau oder das schwarzhaarige Mädchen aus der Romanabteilung) könnte sich fragen, warum er während der Mittagspause geschrieben hatte, warum er einen altmodischen Federhalter benutzt hatte, WAS er geschrieben hatte – um dann an zuständiger Stelle einen Wink zu geben. Er ging ins Bad und schrubbte die Tinte sorgfältig mit der grobkörnigen dunkelbraunen Seife ab, die einem die Hand wie Schmirgelpapier aufscheuerte und daher für diesen Zweck bestens geeignet war.

      Er legte das Tagebuch in die Schublade. Der Gedanke, es zu verstecken, war vollkommen sinnlos, aber er konnte zumindest sicherstellen zu bemerken, ob seine Existenz entdeckt worden war oder nicht. Ein quer über die Seitenenden gelegtes Haar war zu offensichtlich. Mit der Fingerspitze tupfte er ein kaum erkennbares weißliches Staubkörnchen auf und legte es auf die Ecke des Einbandes, wo es herunterfallen musste, wenn jemand das Buch berührte.

       KAPITEL 3

      Winston träumte von seiner Mutter.

      Er musste, so dachte er, zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, als seine Mutter verschwunden war. Sie war eine große, stattliche, recht stille Frau mit langsamen Bewegungen und glänzendem blondem Haar gewesen. An seinen Vater erinnerte er sich nur noch undeutlich als dunkelhaarig und dünn, stets in adrette dunkle Anzüge gekleidet (Winston entsann sich besonders der hauchdünnen Schuhsohlen seines Vaters) und bebrillt. Die beiden mussten offenbar einer der ersten großen Säuberungsaktionen der Fünfzigerjahre zum Opfer gefallen sein.

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