Название: Die Frauen von Janowka
Автор: Helmut Exner
Издательство: Автор
Жанр: Биографии и Мемуары
isbn: 9783943403077
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»Schlamm ist gesund«, meinte Friedrich und bepackte sich noch zusätzlich damit, bis nur noch die Augen aus der grau-braunen Pampe hervorlugten. Gottlieb tat es ihm gleich. »So müsste Serafine uns sehen. Das wär´ doch mal eine Sache. Stell dir vor, sie kommt ins Haus und wir stürzen brüllend die Treppe runter«, meinte Friedrich.
Die beiden konnten sich kaum halten vor Lachen und schritten zur Tat. Als sie das Haus erreichten, war der Schlamm auf ihren Körpern bereits eingetrocknet. Da Serafine gleich vom Singen nach Hause kommen musste, versteckten die beiden Männer sich oben. Es dauerte nicht lang, bis sie hörten, dass jemand die Haustür öffnete. Langsam und mit furchterregend animalischen Geräuschen kamen erst Friedrich und dann Gottlieb die Treppe herunter. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie merkten, dass in der Küche neben Serafine auch Mutter Christine sowie die Frau des Küsters standen und nicht glaubten, was sie sahen. Zuerst fing die Küstersfrau hysterisch zu schreien an, dann zog Serafine nach. Christine war die erste, die merkte, dass es sich nicht um Ungeheuer handelte, sondern um ihre Söhne.
»Ihr Wahnsinnigen!« rief sie.
Serafines Schreien ging in ein glucksendes Lachen über, während die Küstersfrau rief: »Ihr verflixten Kerle! Man sollte euch verprügeln. Ich wäre fast gestorben. Und außerdem, nackt vor Frauen herumzulaufen. Schämt euch!«
»Aber wir haben doch Schlammanzüge an«, prustete Friedrich, der vor Lachen kaum atmen konnte.
»Raus mit euch; geht euch waschen und zieht euch an!« meldete sich Christine in einer Mischung aus Entrüstung und Lachkrampf zu Wort. »Ich werde eurem Vater sagen, dass er euch verdreschen soll.«
»Das wird er wohl kaum tun. Wenn er gewusst hätte, was wir hier für Spaß haben, hätte er bestimmt mitgemacht,« rief Gottlieb, während er zur Hintertür rauslief.
Und so war es. Als Christine und Gottlieb ihm später von der Aktion berichteten, meinte Karl zu seinem Sohn: »Warum habt ihr mir nicht Bescheid gesagt, was ihr vorhabt? Ich hätte etwas dafür gegeben, das dumme Pferdegesicht der Küsterin zu sehen.«
»Sie ist so eine nette Frau«, sagte Christine.
»Ich behaupte ja nicht, dass sie keine nette Frau ist. Aber sie hat ein Gesicht wie eine Stute beim Decken.«
»Karl, oh Karl, du wirst dich in deinem Leben nicht mehr ändern. Es ist völlig klar, woher deine Söhne diese Verrücktheiten haben. Als ob es nicht reichen würde, mit so einem Mann gestraft zu sein, muss ich auch gleich noch zwei Söhne bekommen, die dein exaktes Ebenbild sind.«
Und da Karl immer das letzte Wort haben musste, antwortete er: »Ja, den seinen gibt´s der Herr im Schlaf.« Und nach einen kurzen Pause: »Manchmal auch im Beischlaf.«
Nun verschlug es Christine die Sprache, während Gottlieb in sich hinein gluckste.
- Kapitel 7 -
Später, als das junge Ehepaar im Bett lag, kicherte Serafine immer noch, und Friedrich brach ab und zu in schallendes Gelächter aus.
»Bring mich bloß nicht mehr derart zum Lachen, Friedrich. Das ist nicht gut in meinem Zustand. Mir tut der Bauch immer noch weh.«
Jetzt war es raus. Friedrich sprang aus dem Bett und brüllte: »Was?«
»Ich glaube, ich bin schwanger. Meine Blutung ist schon zum zweiten Mal ausgeblieben. Und meine Mutter hat mir auf den Kopf zugesagt, dass ich schwanger bin.«
»Das ist ja wunderbar. Ich werde Vater.«
»Ja, Vater einer Tochter.«
»Ich habe nichts gegen Töchter. Vor allem, wenn sie so sind wie du.«
»Oh, du willst schon wieder Süßholz raspeln.«
»Natürlich. Allerdings hätte ich auch nichts gegen einen Sohn einzuwenden. Aber wir sind ja erst am Anfang unserer Bemühungen. Wir können noch jede Menge Kinder haben. Das Schönste bei der ganzen Sache ist wahrscheinlich ohnehin der Versuch, welche zu machen.«
»Heute brauchen wir es allerdings nicht mehr zu versuchen. Es hat ja schon geklappt. Am besten, wir versuchen jetzt, zu schlafen.«
»Schade. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag – und eine Nacht.«
Serafine hatte keine gute Nacht. Mehrmals wurde sie von schlechten Träumen aus dem Schlaf gerissen. Sie konnte sich zwar nicht recht erinnern, aber es drehte sich alles um ihre Schwester.
Der nächste Tag wurde wieder heiß. Serafine und Friedrich waren auf dem Feld und wendeten das Heu. Auf dem Nachbarfeld waren Gottlieb und seine Mutter mit der gleichen Arbeit beschäftigt.
»Ich hoffe, morgen kommen die Ukrainer, damit wir das Heu einfahren können«, sagte Friedrich.
Jedes Jahr kamen ukrainische Landarbeiter ins Dorf, um den Bauern zu helfen, die ihre Arbeit, besonders zur Erntezeit und beim Heumachen nicht allein bewältigen konnten.
»Die werden schon kommen. Aljoscha hat zugesagt, dass er mit seinen beiden Jungen kommt. Seine Frau kann ja nicht mehr in ihrem Zustand.«
Es war noch nicht Mittag. Die Hitze flimmerte, der Schweiß rann in Strömen. Kein Wölkchen am Himmel, kein Lüftchen regte sich. Dann ein Donnerschlag, der Serafine das Blut in den Adern stocken ließ. Danach ein langanhaltendes Grollen. Friedrich und Serafine sahen sich an. Das konnte doch kein Donner sein! Nicht bei diesem Wetter. Kanonen? War etwa Krieg ausgebrochen, ohne dass es jemand gemerkt hatte? Nein. Wo sollten denn diese Kanonen sein? Man konnte bis zum Horizont schauen. Da waren keine Kanonen. Dann begann Musik zu spielen. Da musste eine große Kapelle in der Nähe sein, die spielte und spielte. Christine und Gottlieb kamen fassungslos vom Nachbarfeld herüber.
»Was ist das, wo kommt die Musik her?«, fragte Christine, und Gottlieb sagte: »Habt ihr diesen Donner gehört? Das gibt es doch gar nicht.«
»Doch, das gibt es«, antwortete Serafine. Sie wusste Bescheid.
Deutschland 1962
- Kapitel 8 -
Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die... – ja was? Nicht erklärbar sind? Aus der Welt des Übersinnlichen kommen? Die man nur als verrückt bezeichnen kann? Die es nach den Gesetzen der Naturwissenschaften und der Logik gar nicht geben kann? Aber trotzdem gibt es sie. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde war ein Spruch, den ich oft gehört habe. Denn in meiner Familie traten diese Dinge über Generationen hinweg immer wieder auf.
Im Jahr 1962 war ich ein neunjähriges Kind. An einem Tag, an dem ich eigentlich in der Schule hätte sein sollen, lag ich auf dem Sofa, weil ich krank war oder keine Lust hatte, zur Schule zu gehen. Vor unserem Haus hielt ein Auto. Meine Mutter, die aus dem Fenster schaute, um zu sehen, wer ausstieg, nahm einen trancehaften Gesichtsausdruck an. Nach langen Sekunden sagte sie dann ganz langsam: »Ich glaube, da kommt Tante Natalie.«
Ich glaube, da kommt Tante Natalie. Wenn sie gesagt hätte: »Ich glaube, da kommt der Mann vom Mond«, wäre das kein Unterschied für mich gewesen. Tante Natalie war für mich eine Art Mythos. СКАЧАТЬ