Die Frauen von Janowka. Helmut Exner
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Frauen von Janowka - Helmut Exner страница 6

Название: Die Frauen von Janowka

Автор: Helmut Exner

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

Серия:

isbn: 9783943403077

isbn:

СКАЧАТЬ der russischen Verwaltung, es gibt deutsche Offiziere in der Armee des Zaren. Wir sorgen dafür, dass es keine Hungersnot gibt – aus welchem Grund sollte der Zar uns hier rausekeln wollen?«

      Karl redete sich in Rage, während Christine sich wieder an den Tisch gesetzt hatte und zu beschwichtigen versuchte: »Ist ja richtig, Karl. Aber bitte etwas leiser.«

      Karl war ein grantiger Mann, der seine Meinung stets lautstark vertrat und durch abrupte Gesten unterstrich. Manchmal haute er auf den Tisch, dass die Teller hüpften. Wer ihn nicht kannte, konnte es da schon mal mit der Angst bekommen. Für seine Familie und die Nachbarn war dieses Verhalten ganz normal. Das war halt der Karl, den sie kannten. Wenn er sich über seine Söhne ärgerte, weil sie etwas angestellt hatten, drohte er ihnen lautstark an, was ihnen blühe, sobald er ihrer habhaft würde. Er brüllte ihnen dann manchmal hinterher, dass sie sich den Hintern lieber mit einer Speckschwarte einreiben sollten, schnitt eine Rute vom Haselnussstrauch und fuchtelte drohend damit herum. Wenn sie dann nach einiger Zeit tatsächlich wieder in seine Nähe kamen, war der ganze Ärger schon wieder verpufft, und es passierte nichts. Allenfalls zog er ihnen am Ohr und sagte: »Wenn ihr das noch mal macht, dann gnade euch der Allmächtige!« Vermutlich hatte er selbst so viel auf dem Kerbholz, dass es ihm unnatürlich erschienen wäre, wenn seine Söhne anders gewesen wären. Gefährlich wurde es nur, wenn er leise wurde. Aber das kam selten vor. Karl hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor, je drastischer, desto besser. Er scheute auch nicht davor zurück, Respektspersonen wie den Lehrer zum Mittelpunkt eines deftigen Witzes zu machen. Als der Pastor diesen anlässlich seines Besuches in einer Versammlung in höchsten Tönen für seine gute Arbeit lobte, streckte dieser vor Stolz die Brust vor. Karls lautstarker Kommentar: »Richard, jetzt brauchst du dir nur noch einen Federbusch in den Arsch zu stecken, dann gehst du glatt als Pfau durch.« Christine hätte im Boden versinken können. Aber die Gemeinde prustete vor Lachen und der Pastor sagte mit seiner lauten Stimme: »Das ist der Karl, wie wir ihn kennen. Ohne seine Kommentare wären wir ärmer.« Und niemand nahm es ihm übel, weil jeder wusste, dass er sozusagen eine Seele von Mensch war. Wenn irgenwo Hilfe gebraucht wurde, war er da. Er packte mit seinen kräftigen Händen zu, ohne zu fragen. Wie alle in der Familie, war er nicht sehr groß gewachsen, im Laufe der Jahre dafür aber umso mehr in die Breite gegangen. Er konnte noch immer einen Balken allein schleppen, den seine Söhne nur gemeinsam zu transportieren im Stande waren.

      Christine war das genaue Gegenteil ihres Mannes, ein Vernunftsmensch. Was sie sagte, war gut durchdacht und galt. Die Kinder erledigten, was sie ihnen auftrug. Und Karl war überzeugt, dass seine Frau mit besonderem Verstand gesegnet war. Wenn sie ihn bat, dies oder jenes zu tun, rief er manchmal: »Zu Befehl, General.« Wenn jemand aus dem Freundeskreis ironisch bemerkte, dass Christine alles gut im Griff zu haben scheine, gab er zur Antwort: »Ich bin der Herr im Haus. Was meine Frau sagt, wird gemacht.« Wenigstens einer in der Familie muss ja vernünftig sein, dachte Christine. Wenn schon der Mann sein kindliches Gemüt nicht ablegen konnte, war es halt an der Frau, für Ordnung zu sorgen. Aber sie liebte ihn einfach, wie er war. Um nichts in der Welt wollte sie einen Griesgram oder einen Tyrannen im Hause haben. Bei Karl wusste man immer, woran man war. Er sagte frei heraus, was er dachte.

      Heute allerdings war Karl doch etwas nachdenklich geworden und sinnierte über das nach, was sein Sohn Friedrich ihm berichtet hatte. Die Arbeit war für diesen Tag geschafft, und er saß im Garten hinter dem Haus.

      Himmel, Arsch und Wolkenbruch, dachte er, es können doch nicht alle weggehen. Seit Jahren geht das nun so. Ich bleibe. In meinem Alter kann ich doch nicht alles aufgeben und irgendwo anders, in Deutschland oder in Kanada oder sonstwo, völlig neu anfangen. Mit nichts.

      Nach einer Weile kam Christine aus dem Haus, tätschelte ihrem Mann die Schulter und sagte: »Mach dir keine allzu großen Sorgen. Es gibt immer einen Weg. Am besten, du kommst jetzt erst mal rein und schläfst dich aus. Morgen früh sieht alles schon wieder ganz anders aus. Wir müssen sehr früh aufstehen.«

      »Wie jeden Tag«, antwortete Karl.

      - Kapitel 4 -

      In fast allen Familien gibt es eine Häufung bestimmter Körpermerkmale. Haarfarbe, Körpergröße oder Körperhaltung, markante Nasen, dunkle oder helle Haut, Sommersprossen, große oder kleine Füße, dicke oder schlanke Typen, je nach genetischer Veranlagung. Natürlich spielen dabei auch die Launen der Natur eine Rolle, welcher Elternteil sich bei welchem Kind durchsetzt. Aber es geht nicht nur um das äußere Erscheinungsbild bei der Feststellung verwandtschaftlicher Gemeinsamkeiten. Es gibt auch Charakterzüge, Eigenschaften, Vorlieben und Apathien, die in vielen Familien gehäuft vorkommen. Man sagt zwar: »Der hat die Liebe zu Pferden im Blut«, oder »das gute Kochen liegt in der Familie«, aber solche Eigenschaften basieren höchstwahrscheinlich auf traditionellen Lebensweisen und Erziehung innerhalb einer Familie. Dennoch ist es frappierend, wenn man über einen Zeitraum von hundert Jahren trotz Trennung der Familie über Kontinente hinweg immer wieder auf ebendiese Charaktereigenschaften, Vorlieben und Apathien stößt.

      Genauso ist es mir ergangen, als ich zum ersten Mal die Nachkommen meiner Familie traf, die vor vielen Jahren ausgewandert waren. In meiner Familie väterlicherseits sind die Menschen eher klein. Dunkles Haar, grau-grün-braune Augen und ein dunkler Teint sind untrügliche Kennzeichen der Zugehörigkeit. Bei nicht wenigen ist über Generationen hinweg der kleine Finger der rechten Hand kleiner als der an der linken. Beim ersten Kennenlernen von Familienmitgliedern ist es stets ein Anlass zum Lachen, wenn man erfährt, dass auch diese oder jene Cousine davon betroffen ist. Viele Frauen in der Familie sind von so zierlicher Statur, dass man ihnen die Zähigkeit und Kraft gar nicht zutraut, mit der sie all die vielen Kinder großziehen, ein Pferdegespann übers Feld führen, ihre Eltern oder Großeltern pflegen und sich, wenn es nötig ist, gegen alle Männer durchsetzen. Diese Familie lebte und überlebte über einen langen Zeitraum durch die Kraft dieser kleinen, unscheinbaren, dünnen, zähen Frauen.

      Ich hatte mit Tante Frieda einige Briefe gewechselt und ein paar Mal telefoniert. Sie spricht perfekt Englisch, aber nur leidlich das osteuropäische Deutsch ihrer Eltern. Ihre älteste Tochter und ihren jüngsten Sohn kannte ich schon von ihrem ersten Deutschlandbesuch her. Es war mir auf Anhieb sympathisch, dass beide klein gebaut und dunkeläugig sind. Und natürlich hatte Cousine Darlene auch diesen magischen kleinen Finger. Aber viel sympathischer war mir, dass beide trotz moderner, akademischer Berufe dem ländlichen Leben verbunden sind, Pferde, Hunde und Katzen um sich haben, Tomaten und Kartoffeln anbauen und sich in einer großen Familie mit Geschwistern, Oma, Eltern, Enkelkindern und einer unübersichtlichen Schar von Cousins und Cousinen wohlfühlen. Genau diese Lebensart kannte ich von meinem Vater, das ist es, was für mich Familie ausmacht.

      Und nun die erste Begegnung mit Frieda in Manitoba, Kanada. Klein, und obwohl mit 78 Jahren natürlich graues Haar, ist sie unverkennbar ein dunkler Typ, laut, energisch und von großer Herzlichkeit. Die Umarmung ist lang und fest. Frieda, eine Tochter der kleinen Mathilde, die im Jahr 1904 in Wolhynien ihren großen Bruder, meinen Großvater, vom Fluss nach Hause geholt hat, damit er die Butter zum Juden Salomon bringt.

      - Kapitel 5 -

      Das Dorf Janowka bestand im Jahr 1910 aus etwa sechzig Häusern, die sich größtenteils an der zum Fluss gewandten Seite der Straße reihten, so dass der Blick über die Felder bis zum Horizont reichte. Vor den Häusern gab es Blumengärten. Hinter den Häusern hatten die Leute ihre Ställe und Scheunen und natürlich große Hausgärten. Ein Stück entfernt strömte der Fluß Slusz sanft dahin. Nur im Frühjahr führte er schon mal Hochwasser. Mit einer kleinen Fähre, die von einem Franzosen betrieben wurde, konnte man übersetzen, СКАЧАТЬ