Ein Jahrhundert Leben. Wolfgang Paterno
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Название: Ein Jahrhundert Leben

Автор: Wolfgang Paterno

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

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isbn: 9783903217225

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СКАЧАТЬ nennt man Personen, die sich schon ein ganzes Jahrhundert auf diesem Planeten aufhalten. Die besondere Magie, die ein Alter im dreistelligen Bereich für viele ausstrahlt, können die Hundertjährigen, die nachstehend über Wohl und Wehe des Uraltseins sprechen, nicht teilen. »Was habe ich schon davon? Es ist doch nur eine Zahl«, bekennt der 103-jährige Franz Wallner. Der Geburtstagsblumenstrauß, ab bestimmter Altersklasse von Bürgermeistern gewohnheitsmäßig überreicht, ist die symbolische Bestätigung dafür, dass hohes Alter per se als Besonderheit gilt.

      Altwerden hat viele Gesichter. Manche Hundertjährige schmieden Pläne für die Zukunft, andere wünschen sich ein baldiges Ende, die Erlösung von Einsamkeit und körperlichem Weh. Die einen genießen ihren Nachmittagskaffee im Pflegeheim, andere sitzen isoliert in ihren Wohnungen, von Erinnerungsfotos umgeben, auf denen längst alle tot sind.

      Vier Fünftel der Hundertjährigen in Österreich sind Frauen. Die deutsche Journalistin Kerstin Schweighöfer schreibt in ihrem Buch 100 Jahre Leben über die Hochbetagten: »Die meisten von ihnen sind Frauen, was daran liegt, dass wir es mit einer Generation zu tun haben, in der Frauen nicht nur deshalb älter werden konnten, weil sie nicht auf den Schlachtfeldern Europas gefallen sind, sondern auch, weil ihnen männliche Laster wie Rauchen und Trinken noch fremd waren und sie sich auch in dieser Hinsicht noch nicht emanzipiert hatten.«

      Besonders gute Chancen, ein dreistelliges Alter zu erreichen, hat man, statistisch gesehen, in Bregenz, ganz im Westen Österreichs; in Wien feiert man am ehesten im 19. Gemeindebezirk hohe Geburtstage.

      Georg Graner, in der Zeit des Nationalsozialismus in ein polnisches Arbeitslager deportiert, hält seiner kranken Frau Traude nach 63 Ehejahren noch immer jede Nacht die Hand, bis sie eingeschlafen ist.

      Die heute 100-jährige Maria Brunner, deren Kindheit von harter Fron gezeichnet war, steigt im Alter von 80 Jahren im kalifornischen Disneyland zum ersten Mal in eine Achterbahn – und muss, zitternd vor Freude, derart lachen, dass ihre dritten Zähne beinahe in weitem Bogen davonfliegen.

      Als 1938 die deutsche Wehrmacht in Wien einfällt, schiebt der junge Soldat Alfred Nagl Wache vor dem Bundeskanzleramt. Mehr als 20 Jahre später wird er Leopold Figl aus nächster Nähe auf dem Balkon des Wiener Belvedere verkünden hören: »Österreich ist frei!«

      Weltweit gesehen sollen auf Sardinien, der japanischen Insel Okinawa und in Kalifornien die meisten Hundertjährigen leben. Lange Zeit galt Dominica, eine vom Atlantik umspülte Karibikinsel vor der Küste Venezuelas, als Altenparadies: In Dominica zählte man, prozentual zur Bevölkerungszahl, noch 2012 die meisten Hundertjährigen. Ma Pampo war mit sagenhaften 128 Jahren die angeblich älteste Frau der Welt. Bei einem Feuer, so die Legende, soll ihre Geburtsurkunde zerstört worden sein.

      Nach allgemeingültiger Lesart ist das bloße Erreichen des Greisendaseins eine Leistung an sich. Die Meldungen in Medien und Internet über die »Altersrekordler« überschlagen sich: »Sie war ein Jahrgang mit Ernest Hemingway und Alfred Hitchcock – und sie aß bis zuletzt jeden Tag zwei Eier. Nun ist Emma Morano gestorben. Sie war der letzte noch lebende Mensch, der im 19. Jahrhundert geboren wurde«, notierte das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel Mitte April 2017. »Bisher galt die Französin Jeanne Calment als älteste je lebende Person der Welt«, protokollierte die Illustrierte stern Ende 2016: »1875 geboren, hatte sie bis zu ihrem Tod 1997 ganze 122 Geburtstage gefeiert. Jetzt wurde von indonesischen Medien auf der Insel Java ein Mann aufgetrieben, der laut Behördenangaben noch einmal fünf Jahre vor Calment geboren wurde – und 19 Jahre nach ihrem Tod immer noch lebt.«

      Der israelische Historiker Yuval Noah Harari schreibt in seinem Buch Homo Deus: »Im 21. Jahrhundert werden die Menschen wahrscheinlich einen ernsthaften Wurf in Richtung Unsterblichkeit machen.« An der Überwindung des Todes werde zwar geforscht, 115 Jahre scheinen gegenwärtig jedoch ein Limit zu sein, meldete die Tageszeitung Der Standard. Das Online-Lexikon Wikipedia hält fest, dass die Japanerin Miyako Chiyo »seit dem 21. April 2018 der älteste lebende Mensch« sei: »Laut einem Interview, das sie im Oktober 2015 mit 114 Jahren einem japanischen Anti-Aging-Magazin gab, sei ihr Geheimnis für Langlebigkeit, Aal zu essen, Wein zu trinken und nie zu rauchen.« Die größte Rolle für ein langes Leben spielen also schlangenähnliche Tiere, dosierter Alkoholkonsum und Nikotinabstinenz? Von Methusalem, dem ältesten Menschen der Bibel, der im Alter von beispiellosen 969 Jahren starb, sind dazu keine Hinweise überliefert.

      Die Hundertjährigen, die hier zu Wort kommen, haben keine Ratschläge für das Erreichen vieler Lebensjahrzehnte parat, weil sie wissen, dass es kein allgemein gültiges Rezept dafür gibt, weder für ein geglücktes, noch für ein langes Leben.

      Was kann man von Hundertjährigen dann lernen? Vielleicht dies: Wer das Leben mit offenen Armen empfängt, hat mehr davon. Freundschaft, Freiheit, Liebe und Lebensmut sind wichtig. Ein Schlüssel zum Glück liegt in der Balance zwischen Arbeit und Entspannung, Familie und Freunden, Alleinsein, Träumen, Lesen und Nachdenken. Wer noch Jahrzehnte später mit Ungerechtigkeiten und verpassten Chancen hadert, hat es schwer, sich von der Vergangenheit zu lösen.

      Ein Leben mit 100 Jahren: Wie fühlt sich das an? Wie sieht ein normaler Tagesablauf aus? Spielt der Tod eine Rolle im täglichen Leben?

      Als Gesprächspartner der Zentenare ist man darauf angewiesen, ihre Erinnerungen für bare Münze zu nehmen. Ein Mensch von 100 Jahren ist meist ein fragiles, durchscheinendes Wesen, nicht selten schwer zu Fuß, oft auf die Hilfe anderer angewiesen. Das Sehen lässt nach, das Hören fällt schwer, die Mobilität kommt langsam an ein Ende. Ihr Erinnern und Erzählen braucht Zeit und erfordert geduldiges Zuhören. Mit 100 Jahren purzeln einem Jahreszahlen, Orte und Namen manchmal durcheinander. Im Zweifelsfall für die Zentenare: Fakten und Tatsachen, die aufgrund ihrer langen Vergangenheit nicht überprüfbar waren, bleiben ausgespart, ebenso jene Zusammenhänge, bei denen offensichtlich Erinnerungslücken mit Erfundenem ausgetauscht wurden. Den ganz persönlichen Lebenserinnerungen der Hundertjährigen darf man andererseits gern und ohne Vorbehalt folgen. Über die Zeit des Nationalsozialismus reden, wie viele der noch lebenden Zeitzeugen, auch Hundertjährige nicht gern.

      Der Ausgangspunkt für Ein Jahrhundert Leben war ein Artikel im Wiener Nachrichtenmagazin profil, aus dem hier zehn Gespräche vom Sommer 2017 erneut publiziert werden. Die Hundertjährigen sind Zeugen. Man sollte nicht verabsäumen, sie gründlich auszufragen. Ihr Witz und Wissen, ihre Geschichte und Geschichten dürfen nicht verloren gehen.

      Das heimliche Motto dieser Lebenserzählungen könnte von dem 2017 verstorbenen russischen Poeten Jewgeni Jewtuschenko stammen: »Uninteressante Menschen gibt es nicht«, überschrieb der Schriftsteller eines seiner Gedichte:

      Jeder hat seine Geschichte, sein Gesicht,

      das nur ihm gehört. Ein jeder ein Planet:

      So reich, und keiner, der ihm gleicht. (…)

      Am Lebensende stürben nicht Menschen: Welten hörten auf.

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      Hilda Gamper

      *1914, Lustenau, Vorarlberg

       Meine Schwester Ella schickte mir aus Amerika oft die modernsten Dinge nach Lustenau. Einmal bekam ich von ihr falsche Wimpern. Ich klebte sie mir im Fasching verkehrt herum an. Alle lachten!

      Auf den Fotos an der Wand sind meine Toten. Meine Mama und mein Papa. Da ist Hans, mein Bruder, der im Krieg fiel. Meine Schwester Ella. Sie flüchtete bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nach Kalifornien. Eine ganze СКАЧАТЬ