Название: Ellenbogenfreiheit
Автор: Daniel C. Dennett
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: eva taschenbuch
isbn: 9783863935276
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Die Wissenschaft führt uns ins Innere der Dinge, und es ist nicht wahrscheinlich, daß die detaillierte, innere Ansicht unserer Gehirne, die uns die Wissenschaft liefert, irgendeine wiedererkennbare Version dessen enthüllt, was Descartes die res cogitans oder das denkende Ding nannte, das wir „aus Introspektion“ so gut kennen. Wenn wir aber den Blick auf unser Selbst verlieren, sobald wir an wissenschaftlicher Objektivität gewinnen, was wird dann mit Liebe und Dankbarkeit (und Haß und Groll) geschehen?
„Was soll ich aber tun, wenn ich nicht einmal Bosheit habe? Infolge dieser verwünschten Gesetze der Erkenntnis unterwirft sich nämlich auch meine Bosheit der chemischen Zersetzung. Man sieht: das Ding hebt sich auf, die Vernunftgründe verdunsten, der Schuldige ist nicht zu finden, die Beleidigung bleibt nicht Beleidigung, sondern wird zum Fatum, zu einer Art Zahnschmerz, an dem niemand schuld ist, …“ (Dostojewski, Aufzeichnungen aus dem Untergrund, Darmstadt 1974, S. 448).
Das schreckliche Geheimnis: Die Wissenschaft scheint oft nahe daran zu sein, uns zu viel zu sagen, Pandoras Büchse zu öffnen und das eine oder andere schreckliche Geheimnis zu offenbaren; sobald wir es hören, lähmt es uns. Es lähmt uns, indem es eine Illusion zerschlägt, die für unser Weiterleben als Handelnde absolut notwendig ist. Unsere eigene Rationalität wird uns zugrunderichten, weil, haben wir erst einmal die Wahrheit gesehen, wir unfähig sein werden, uns selbst länger zu betrügen. Es ist leicht einzusehen, wie das schreckliche Geheimnis selbst vermutlich die Lähmung schafft, denn es geschieht wieder einmal in Analogie zu etwas, das oft passiert und das in der Tat lähmend und oft erschütternd sein kann. Angenommen etwa, wir verbringen den Tag in Oxford damit, über die entsprechenden Vorzüge der Restaurants in London zu debattieren und versuchen dann zu entscheiden, welches wir am Abend ausprobieren wollen. Dann erfahren wir, daß die Züge nicht fahren oder daß alle Restaurants an diesem Tag geschlossen sind oder daß wir in dem Raum in Oxford eingeschlossen sind oder daß es einfach zu spät ist, um nach London zu kommen. Wir haben gerade erfahren, daß dieses besondere Bemühen um Entscheidungsfindung äußerst zwecklos war. Es gab keine wirkliche Gelegenheit für uns zum Handeln; es gab keine wirklichen Alternativen, zwischen denen man entscheiden konnte. Wenn also die Wissenschaft uns zeigen könnte, daß es niemals wirklich irgendwelche Gelegenheiten gibt, würde uns das nicht – sollte uns das nicht – dazu bringen, Entscheidungen ganz und gar aufzugeben?
Wie Tolstoi in der letzten Zeile von „Krieg und Frieden“ schreibt, „(Es ist) unumgänglich, sich von der ebenso vom Bewußtsein empfundenen Freiheit loszusagen und die von uns nicht wahrgenommene Abhängigkeit zu erkennen.“ Aber das wäre schrecklich, so scheint es, denn würde es nicht zu wahrhaft schlimmer und selbstzerstörerischer Resignation und Apathie führen? Denken wir zum Beispiel an die widerliche Resignation derjenigen, die den Nuklearkrieg als vollkommen unausweichlich betrachten und es folglich als nicht der Mühe wert erachten, daß man versucht, ihn zu verhindern. Sollten wir nicht die Verbreitung jeder Behauptung beklagen (selbst wenn sie wahr wäre – vielleicht besonders dann, wenn sie wahr ist), die diese Art von Einstellung bestärkt?
Was soll das schreckliche Geheimnis sein? Vielleicht ist es die Tatsache des Determinismus. (Oder die Tatsache des Indeterminismus!) Auf jeden Fall sollten wir es schleunigst an die Öffentlichkeit bringen, denn es impliziert, daß Freiheit eine Illusion ist. Zu beachten ist, daß wir nicht die Angst haben, eine bestimmte Aussage sei wahr, sondern daß sie – wahr oder falsch – geglaubt werden könnte. Wenn der Determinismus jetzt wahr ist, dann war es schließlich immer wahr. Während das Leben vieler Menschen in der Vergangenheit ziemlich furchtbar gewesen ist, haben viele andere ein Leben geführt, das lebenswert war – trotz der Tatsache, daß sie in einer deterministischen Welt gelebt haben. Die moderne Wissenschaft macht den Determinismus nicht wahr, selbst wenn sie diese Tatsache entdeckt; die Dinge werden also nicht zwangsläufig schlechter, außer daß der Glaube an den Determinismus eher als der Determinismus selbst die Katastrophe schafft.7
Könnte die Entdeckung des Determinismus nicht nur unser eigenes Leben zerstören, sondern auch im nachhinein offenbaren, daß jedes frühere gute Leben nicht das war, was es für die, die es führten, zu sein schien? Manche Bilder in der philosophischen Literatur spielen mit dieser quälenden Vorstellung. Anscombe (1957, S. 6) erzählt uns von einer Vorlesung, in der Wittgenstein seine Zuhörer einlud, herabfallende Herbstblätter zu betrachten, die zu sich selbst sagen: „Nun fliege ich dorthin … nun fliege ich dahin“. Hobbes dachte sich eine ähnliche Phantasiegeschichte aus:
„Ein hölzerner Kreisel, der von den Burschen gepeitscht wird und manchmal an die eine Wand, manchmal an eine andere Wand gerät, sich manchmal dreht, manchmal Leuten gegen das Schienbein stößt, würde, wenn er gegenüber seiner eigenen Bewegung sensibel wäre, denken, er käme aus eigenem Willen voran, außer er fühlte, was ihn peitscht. Und ist ein Mensch irgendwie weiser, wenn er zu der einen Stelle um eine Wohltat, zu einer anderen um eine Abmachung rennt und die Welt damit belästigt, Irrtümer aufzuschreiben und Antworten zu verlangen, weil er glaubt, er täte es ohne einen anderen Grund als aus seinem eigenen Willen, und der nicht sieht, worin die Peitschenhiebe bestehen, die seinen Willen verursachen?“ (Hobbes, Werke, hrsg. von Molesworth, Vol V., S. 55).
Manche Illusionen sind fast unwiderstehlich. Der Golfspieler sieht seinen Ball, wie er langsam auf das Loch zurollt. Er krümmt und verrenkt und bückt sich, als ob er den Ball dazu bringen wollte, seinen Kurs zu ändern, als ob seine Verrenkungen tatsächlich eine Veränderung bewirken könnten. Aber es ist natürlich zu spät. Es gibt einen Ausdruck für solche Possen: „body English“8. „Body English“ ist immer nutzlos, manchmal komisch, manchmal ergreifend und oft unwiderstehlich. Womit die Wissenschaft uns droht, ist zu zeigen, daß all unser Streben letztlich nichts anderes als „body English“ ist. Wäre es nicht furchtbar, wenn unsere ganze mentale Gymnastik, unsere Überlegungen und Bestrebungen und Entscheidungen und Kämpfe letztlich nichts anderes als „body English“ wären? Sie wären es, wenn sie (wie unwiderstehlich auch immer) völlig unfähig wären, irgendeinen wirklichen Unterschied für die Resultate der Ereignisse, auf die es uns ankommt, nach sich zu ziehen. Dieses Schreckgespenst nimmt breiten Raum in den Diskussionen über den Fatalismus ein, aber das ist nicht sein einziger Jagdgrund. Für den Augenblick könnte es nützlich sein, „body English“ etwas ganz Ähnlichem gegenüberzustellen, denn das könnte uns helfen, uns vor einer Angst zu retten.
Betrachten wir das Durchschwingen9. Dem Golfspieler wurde vom Golfprofi gesagt, er solle seinen Kopf gebeugt lassen, bis er seinen Schwung beendet hat. Doch wie kann das ein guter Rat sein? Der Ball verläßt das Ende des Schlagholzes mitten im Schwung, und nachdem er seine Reise begonnen hat, kann nichts mehr, was an der Abschlagstelle geschieht, diese Bahn verändern. Ist nicht die Aufmerksamkeit auf Details des Schwunges, die eintreten, nachdem der Ball das Schlagholz verlassen hat, bloß so etwas wie „body English“? Nicht unbedingt. Denn vielleicht ist dies die einzige Art und Weise, das Richtige bis zum Moment des Abschlages geschehen zu lassen: nach vorne zu schauen und ein entfernteres Ziel ins Auge zu fassen und sich auf seine Anstrengungen verlassen, das Ziel zu erreichen, um dadurch Körperbewegungen hervorzubringen, die genau die richtige Distanz mit genau der richtigen Geschwindigkeit überwinden lassen. Man wäre wirklich dumm, den Rat des Profis nicht zu beachten, bloß aufgrund des Argumentes, das oben gegeben wurde, daß es keinen Unterschied machen könnte. Es könnte den entscheidenden Unterschied machen. Manchmal besteht die einzige Möglichkeit, etwas zu erreichen, was man wirklich will, darin, daß man versucht, etwas anderes zu tun. (Diese Andeutungen werden im fünften und siebten Kapitel ausgebaut.)
Ich werde also Feuer mit Feuer bekämpfen. Der Angstmacher ruft das alltägliche Bild des „body English“ hervor und bringt uns dazu, den Schauder der Verwirrung СКАЧАТЬ