Название: Gefangen im russischen Winter
Автор: Roland Kaltenegger
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Zeitzeugen
isbn: 9783475543029
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2) Wer nicht zu seinem Arbeitsplatz zurückkehrt oder wer seine Arbeit niederlegt, wird als Saboteur erschossen.
3) Sämtliche russischen Soldaten und politischen Funktionäre, die sich noch im Stadtgebiet befinden, melden sich innerhalb von 6 Stunden im Zentralen G.P.U.-Gefängnis (Ecke Ul. Kadecka – Ul. Pelczynska). Nach dieser Zeit Aufgegriffene werden strengstens bestraft; Personen, die russischen Soldaten und politischen Funktionären Unterschlupf gewähren, werden erschossen.
4) Sämtliche Schusswaffen, Munition aller Art und Zündmittel sind innerhalb 12 Stunden nach Erscheinen dieses Aufrufs bei der Miliz abzuliefern. Auf Verstöße steht die Todesstrafe.
5) Der gesamten Zivilbevölkerung wird das Betreten der Straßen von 21.00 Uhr bis 07.00 Uhr verboten. Personen, die zur Ausübung ihres Dienstes auch während der Nachtzeit die Straßen betreten müssen (Ärzte, Hebammen, Arbeiter versorgungstechnischer Betriebe), erhalten durch die Ortskommandantur auf Antrag entsprechenden Ausweis.
6) Der Ausschank alkoholischer Getränke jeglicher Art an Zivilpersonen wird verboten.
7) Sämtliche Radio-, Sende- und Empfangsgeräte sind sofort nach Erscheinen dieses Aufrufs bei der Miliz abzuliefern.
8) Ansammlungen, Demonstrationen, Umzüge und Versammlungen werden mit Waffengewalt unterdrückt.
Doch zurück zu den Pogromen von Lemberg. Über sie berichtete General Picker: »Ferner sah ich in einem kleinen Nebenhof, abseits von den aus dem Gebäude kommenden Leichen, schätzungsweise 15 Leichen, die offenbar Juden waren und, wie im Hofe erzählt wurde, erst nach dem fast kampflosen Abmarsch der Russen aus Lemberg von der ortsansässigen Zivilbevölkerung zur Vergeltung getötet worden sein sollen. Beim Verlassen des Gefängnisses sah ich in zwei oder drei Fällen, dass Juden von mit Armbinden versehenen ortsansässigen Zivilisten zum Gefängnis geführt wurden, in einem Fall unter Prügeln mit einem Stock. Ich ging daraufhin noch am gleichen Tage zu dem obersten militärischen Führer der Stadt, General der Gebirgstruppen Kübler, um ihm das Geschehene zu melden und Abstellung zu veranlassen. Er teilte mir mit, dass er diese Tatsachen bereits wisse und Befehle gegeben habe, diese Ausschreitungen der Zivilbevölkerung gegen die Juden sofort zu verhindern.«64
Generalmajor Hans Kreppel erinnerte sich hierzu am 29. Juni 1945: »Ich erkläre an Eides statt, dass ich als Abteilungskommandeur im Geb.Art.Regiment 79 in den ersten Stunden nach der Einnahme von Lemberg persönlich in der Stadt Hunderte von Leichen ermordeter Ukrainer liegen sah […] Mir ist damals ferner ein Befehl des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps bekannt geworden, der die Verfolgung der Juden durch die ukrainische Zivilbevölkerung verbot.«
Soweit die erschütternden Dokumente über Lemberg im Nürnberger Prozess.
Nach der Eroberung Lembergs wurde eine ukrainische Regierung unter dem Nationalistenführer Stetsko gebildet, der der Bandera-Gruppe der »Organisation Ukrainischer Nationalisten« angehörte. Stetsko wurde jedoch bereits am 12. Juli 1941 verhaftet und zusammen mit Bandera in ein deutsches Gefängnis geworfen.
6.
Gefechtslärm in der Ukraine
Unterdessen zog das XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps an Lemberg vorbei in Richtung Südosten. Die 4. Gebirgs-Division war dazu ausersehen, mit der 97. leichten Infanterie-Division die Verfolgung von etwa zwei zurückweichenden russischen Rest-Divisionen aufzunehmen.
Häufig sahen die Landser bei ihrem Vormarsch, dass die ukrainische Bevölkerung, die sich von einem ungeheuren Druck befreit fühlte, Triumphpforten für die deutschen Truppen errichtet hatte. Auf ihnen waren sogar Hakenkreuzfahnen und Inschriften wie »Heil dem Führer« oder »Wir begrüßen die Befreier« angebracht worden. Das war kein Wunder, denn das bolschewistische Terrorregime hatte innerhalb von 15 Jahren »über 60 Millionen Menschen vom Leben zum Tode befördert«.65 Daher war es nicht allzu überraschend, dass die Zivilbevölkerung die Deutschen zum Teil begrüßte: »Vielfach bestand eine Bereitschaft, Deutschland nicht unbedingt als Feind anzusehen, was nach der langen Herrschaft der bolschewistischen Partei kaum für möglich gehalten worden war. Die erst kürzlich angeschlossenen Gebiete, die baltischen Staaten, Ostpolen, vor allem Ostgalizien und Bessarabien, waren noch in keiner Weise assimiliert. Aber auch in den ursprünglichen Gebieten der Union, so in der Ukraine, der Krim, bei den Völkern des Kaukasus, der Wolga und Turkestans, war ein Wiederaufleben antirussischer oder antibolschewistischer Tendenzen zu konstatieren«, bemerkte der deutsche Diplomat Erich Kordt.66
»Leider«, bemerkte der bekannte Panzergeneral Heinz Guderian später in seinen Memoiren, »hielt diese günstige Stimmung der Bevölkerung gegenüber den Deutschen nur so lange an, wie die wohlwollende Militärverwaltung regierte. Die sogenannten Reichskommissare haben dann in kurzer Zeit verstanden, jede Sympathie für die Deutschen abzutöten und damit dem Partisanenunwesen den Boden zu bereiten.«67 Damit war die große Chance leichtfertig verspielt worden, »durch schnelle und weit reichende politische Entschlüsse die russischen Völker zu unterstützen […] Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wäre für beide Teile von größtem Nutzen gewesen.«68 Dass der Ostfeldzug 1941 anders hätte verlaufen können und die UdSSR schon ein halbes Jahrhundert früher hätte auseinanderbrechen können, wenn die Deutschen als Befreier und nicht als Unterdrücker einmarschiert wären, das bewies 50 Jahre später der plötzliche Zusammenbruch von Stalins Imperium, das auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung mehr als einhundert Völker in zwölf Zeitzonen umfasste. Doch es kam 1941 anders. Das lag unter anderem auch an der antibolschewistischen Ideologie der Nationalsozialisten, die die Sowjetrussen als »Untermenschen« betrachteten. Schlimmer noch: Hitler beschloss nach dem Konzept eines »Weltblitzkrieges«69 einen »Ausrottungskrieg«, denn er »erklärte alle Einwohner der UdSSR zu Untermenschen«70. Nicht umsonst brandmarkten mutige Männer wie Bruno Brehm im Jahre 1942 öffentlich die verfehlte Politik der Nationalsozialisten in der Ukraine:
»Die Untermenschen-Theorie gegenüber den Ostvölkern, vor allem gegenüber den Russen, ist durch die Praxis widerlegt«, schrieb Frau Wiedemann am 25. Mai 1943 an Himmler. »Sie schlagen sich gut, sie opfern alles für ihr Vaterland, sie bauen z. T. Waffen, die mindestens so gut sind wie unsere […] Für den Einsatz von Millionenmassen von Ostarbeitern im Reich und morgen von Millionenheeren von Osttruppen an den Fronten ist also das Verschwinden der Untermenschentheorie aus unserer Propaganda absolut erforderlich.« Am 5. Oktober 1943 heißt es dann: »Unsere Untermenschen-Parole hat Stalin zum nationalen Krieg verholfen. Der Hass gegen uns ist furchtbar […] Demgegenüber steht absolut fest, dass die ganze russische Bauernschaft, der größte Teil der Intelligenz und das gesamte mittlere, höhere und höchste Führerkorps der Roten Armee Feinde des Bolschewismus und speziell Stalins sind. Aber diese Menschen haben wir durch unsere Politik in die tragische Entscheidung hineingezwungen: entweder für Stalin zu kämpfen oder ihr eigenes Volk und damit sich selbst dem Schicksal eines auszurottenden, auszuplündernden Kolonialbereichs auszuliefern, dessen Einwohner, in Wahrheit eines der begabtesten Völker der weißen Rasse, zu Untermenschen proklamiert und zu Generationen langer Sklavenarbeit deklassiert werden sollen.«71
Doch damit nicht genug: Hinzu kam »die Kaste der arroganten ›Herrenmenschen‹ – Angehörige von Stäben und Spezialeinheiten aller Art, Heeresverwaltungsbeamte, Kommissare, Sonderführer – neun von ihnen kamen auf einen kämpfenden Soldaten, denn kämpfen war nicht ihre Sache. Sie waren zuständig für Befehle, СКАЧАТЬ