Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов страница 7

СКАЧАТЬ Gegenstände nun emphatisch als Kulturwissenschaften verstanden, hat Harald Fricke auf Fragen nach dem Methodischen außerhalb der empirischen und experimentellen Wissenschaften reagiert.11 Er hat den Vorschlag gemacht, nicht mehr von ‚Methoden‘, sondern von Argumentationsweisen zu sprechen. Damit äußert er sich zwar in erster Linie für seine eigene Disziplin, die Literatur- und Textwissenschaft, argumentiert aber letztlich für die von Dilthey eingeführte Trennung zwischen erklärender Natur- und verstehender, also im weiten Sinne hermeneutisch-interpretierender Geisteswissenschaft:12 Naturwissenschaftliches Arbeiten mache auf dem Wege des Ineinandergreifens von Experiment und Modell, von Erkenntnisinteresse, Erkenntnisweg und Forschungsergebnis, Naturgeschehen nach Möglichkeit als von menschlichem Kulturhandeln unbeeinflusst beschreib- und damit – in pragmatischen Grenzen – auch vorhersagbar. Demgegenüber sei es Ziel und Aufgabe der Geisteswissenschaft, an der Multiperspektivität allgemeinen und speziellen Weltverständnisses zu arbeiten: Komplexität nicht zu reduzieren, sondern zu transformieren. Ein im strengen Sinne methodisches Vorgehen sei entsprechend genuin naturwissenschaftlich.13

      Schon mit den wissenschaftstheoretischen Überlegungen Karl Poppers und seiner falsifikationistischen Erkenntnistheorie,14 erst recht aber im Kontext aktueller Inter- respektive Transdisziplinaritätsparadigmen,15 verliert diese Differenzierung an Überzeugungskraft. Längst ist sich auch experimentelle Forschung darüber im Klaren, dass ihre Ergebnisse nicht für sich selbst sprechen, sondern interpretiert und vermittelt werden wollen; dass schon Beobachtung Naturgeschehen kulturell rahmt und modifiziert. Der Blick auf gängige quantitativ wie qualitativ-empirische sozialwissenschaftliche Arbeitsweisen lässt die überkommene Dichotomie vollends kollabieren – dass Interviews, Testungen und Statistiken wesentlich bestimmt sind durch das Erkenntnisinteresse ihrer Entwickler und zudem im Ergebnis der Interpretation bedürfen, liegt auf der Hand.16

      Auch für die kulturwissenschaftliche Forschung – und so auch für die Theaterwissenschaft – macht die klassische Dichotomie in der Praxis nur bedingt Sinn. Das wird schon angesichts des Spektrums, das die Beiträge des vorliegenden Bandes eröffnen, offensichtlich: Denn in der Theaterwissenschaft, aber nicht weniger in benachbarten Fächern spielen zunehmend auch experimentelle und empirische Methoden eine nennenswerte Rolle.17 Und dass solche Methoden in einem anderen Sinne methodisch sein können, wollen und sollen, als etwa eine von phänomenologischen Leitparadigmen her strukturierte Aufführungsanalyse, liegt auf der Hand. Die Theaterwissenschaft zeichnet sich zudem dadurch aus, dass sie Methoden auf der Objektebene als Forschungsmethoden ernst zu nehmen und in diesem Sinne in einen Dialog mit ihrem Gegenstand zu treten gelernt hat.18

      III. Doing Method

      Wissenschaft übersetzt die Komplexität ihrer Umwelt in eine andere, eine ihr eigene Komplexität (was in der Beobachtung als Komplexitätssteigerung erscheinen kann). Das tut sie, indem sie die Gegenstände des Erkenntnisinteresses ins Verhältnis zu einer Theorie oder einem Modell setzt. Dabei ergibt sich aus der Wahl eines theoretischen Paradigmas selbstredend noch keine Methode. Methodisches Vorgehen setzt vielmehr eine operative Grundhaltung voraus – etwa: Genaues Lesen (z.B. von historischen Quellentexten), systematisierende Bildbetrachtung, das achtsame Verfolgen einer Aufführung, auch Zählen, Messen, Wiegen – aber es erschöpft sich nicht in ihr. Denn auch die gebannte Leserin von Søren Kierkegaards Berichten über die Berliner Antigone-Aufführung von 1842 kann sicherlich viel über die Texte sagen, das macht sie aber noch nicht zum Theaterhistorikerin. Ein Besucher von Hans Neuenfels’ Münchner Antigone-Inszenierung hat vielleicht eine differenzierte Meinung, aber dadurch wird er noch nicht zum Aufführungswissenschaftler; und zwar auch dann nicht, wenn er seine Beobachtungen in strukturierter und intersubjektiv nachvollziehbarer Form kommuniziert.

      Erst wenn die operative Grundhaltung durch eine spezifische, begrifflich präzisierte (oder zumindest als präzisierbar gedachte) Beobachtungseinstellung konturiert wird, sind die Voraussetzungen für methodisches Arbeiten im engeren, wissenschaftlichen Sinne gegeben. Dann wird etwas als etwas beobachtbar: etwa Theater als sozialer Prozess, eine Aufführung als ein Netz unabschließbarer Mediatisierungsprozesse, der Prozess des Zuschauens als Prozess des Erprobens und Verwerfens kognitiver Konstrukte eines Geschehens, oder Kierkegaards Berichte als Quellen für hegelianisch grundierte Antigone-Lektüren des mittleren 19. Jahrhunderts. Zentral dafür ist, dass Schlussfolgerungen vor einem als plausibel angenommenen und explizierbar gedachten (im besten Fall auch explizierten) Hintergrund begründet werden. Methodisches Vorgehen entsteht demnach im ständigen Messen von Beobachtungseinstellung, operativer Grundhaltung und Objektbereich aneinander und ist eher konstellativ denn linear zu denken: Linearität, die Annahme eines abzuschreitenden Wegs zum Ziel also, so eine erste Hypothese, ist in diesem Sinne eben nicht die Voraussetzung für Methodik.1

      Methodisches Vorgehen reduziert so die unvorhersehbare, unabschließbare Komplexität des Gegenstandes und ersetzt sie durch die anders geartete Komplexität wissenschaftlichen Ausdrucks. Systemtheoretisch formuliert hieße das: Komplexitätssteigerung ermöglicht Komplexitätsbewältigung. Und das könnte man das Ziel des wissenschaftlichen Methodos nennen – ein Ziel freilich, das selbst wieder zum Ausgangspunkt wird. Dabei soll nicht etwa etwas wie eine generative Transformationsgrammatik der Methoden angestrebt werden: Was etwa als eine operative Grundhaltung zu identifizieren sei, ist Gegenstand der disziplinären Aushandlung und des Dialogs – und ist seinerseits (fach-)historischem Wandel unterworfen.

      IV. Methode im Plural

      Wenn ich von Methode im Plural spreche, so ist das natürlich einerseits eine Anspielung auf den Titel, den der vorliegende Band trägt, andererseits aber auch eine Selbstverständlichkeit: Wahrscheinlich mit allen Fächern, die gegenwärtig im Kanon europäischer Universitäten vertreten sind, teilt die Theaterwissenschaft die Annahme, dass es zur wissenschaftlichen Komplexitätsbewältigung nicht eine methodos ariste, nicht einen Königsweg gebe, unter anderem auch deswegen, weil das ,Wesen‘ oder der zentrale Gegenstand eines Fachs nicht mehr so eindeutig bestimmbar scheint, wie vor 100 Jahren: „Will die Theatergeschichte eine Wissenschaft werden, so muss sie ihre eigene Methode erhalten“,1 schrieb Max Herrmann zu Beginn des 20. Jahrhunderts, an der Wiege einer akademischen Disziplin – und er schlug aus Gründen, die verschiedentlich erörtert worden sind, die Methode der „Rekonstruktion des verpassten Ereignisses“ vor.2 Noch bis in die 1940er Jahre konnte Artur Kutscher der Überzeugung sein, dass die Methode sich aus dem Gegenstand des Fachs zu definieren und dessen Ort im Kanon der akademischen Disziplinen zu bestimmen habe.3

      Heute hält sich die Theaterwissenschaft ein breites und heterogenes Spektrum an Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Dass nicht mehr von einer Methode auszugehen ist, die ein fachliches Selbstverständnis oder eine akademische Disziplin konstituiere, hat seine Gründe sicherlich auch in einem Wissenschaftsverständnis, das spätestens mit Paul Feyerabends schon in ihrem Erscheinungsjahr 1970 vielbeachteter Streitschrift Against Method4 nicht nur die Methode in den Plural setzte, sondern das Primat des Methodischen als Voraussetzung von Wissenschaftlichkeit ganz generell zur Disposition stellte. Andererseits hat sie mit einer Debatte um den Gegenstand, seine mediale Spezifik und seine mediale Hybridität zu tun, die zur Diskussion um die Pluralität im Methodischen komplexe Beziehungen unterhält.

      In der Theaterwissenschaft ist nicht allein eine Pluralität der Methoden, sondern auch eine Pluralität der Verständnisse von ‚Methode‘ zu beobachten. Der Begriff wird auf unterschiedlichen Ebenen zur Charakterisierung wissenschaftlicher Arbeitsweisen eingesetzt: Neben Methoden strukturaler Analyse stehen praxeologische Ansätze, phänomenologische Verfahren der Beobachtungseinstellung oder Formen digital gestützter Quellenerschließung – und alle heißen ‚Methode‘ mit jeweils gutem Grund. Entsprechend impliziert das vorgeschlagene rudimentäre und dabei integrativ gedachte Konzept des Methodischen nicht die festgelegte Reihenfolge von Analyseschritten, sondern geht, eben im Sinne eines dynamischen doing method, von der gegenseitigen Konturierung von operativer Grundhaltung, Beobachtungseinstellung und Gegenstand im Sinne eines Fließgleichgewichts aus.

      Aus einer Vielfalt СКАЧАТЬ