Methoden der Theaterwissenschaft. Группа авторов
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СКАЧАТЬ einer empirisch-quantitativen Theaterforschung“, zumindest teilweise auf das Aufkommen des Kulturmanagements seit den 2000er Jahren zurück. Deren Leitideologie der Betriebsoptimierung setzt fundierte Erkenntnisse über die ‚Kulturnutzer*innen‘, sprich Zuschauer*innen, voraus. Dieses Erkenntnisinteresse ließe sich allerdings teilweise von Marktforschung nicht unterscheiden. Dennoch gibt es eine zunehmende Zahl an Befragungen von Theaterbesucher*innen aber auch von Nichtbesucher*innen, die versuchen, demographische Daten und Präferenzen zu erheben. Davon kann die Theaterwissenschaft profitieren.2

      Renz kritisiert zurecht, dass diese Form der Publikumsforschung selten qualitative Methoden zulässt. Jedoch ist für die aktuelle empirische Theaterforschung gerade die Verbindung von qualitativen und quantitativen Methoden kennzeichnend. In dieser Forschungspraxis werden quantitative Daten mit subjektiven Äußerungen ausgewählter Interviewpartner ‚trianguliert‘, d.h. kombiniert und abgeglichen. Dies wird auch als mixed methods approach bezeichnet. Für die qualitative Forschung hat sich das leitfadengestütze Experteninterview als bevorzugte Methode herausgestellt. ‚Expert*innen‘ können sowohl versierte Theaterzuschauer*innen als auch professionelle Theatermacher*innen (Intendant*innen, Dramaturg*innen, Regisseur*innen usw.) oder andere Stakeholder (Kulturpolitiker*innen) sein. Hier wird eine Reihe von definierten, aber offenen Fragen in einer Gesprächssituation gestellt. Erkenntnisleitend ist die Forschungsfrage der Untersuchung.3 Die Ergebnisse der Interviews werden in einem zweiten Schritt durch eine sogenannte ‚Inhaltsanalyse‘ abgeglichen und ausgewertet. Die Antworten werden nach Begriffen, Argumentationsfiguren, und programmatischen Statements abgesucht und geordnet. Hierdurch können diskursive Cluster gebildet werden, die eventuell über eine höhere und verbindlichere Aussagekraft als einzelne Äußerungen verfügen. Einen Einblick in diese qualitative Methode, die innerhalb der Theaterwissenschaft immer mehr Verbreitung findet, gibt uns im vorliegenden Band Mara Käser: Anhand leitfadengestützer Experteninterviews hat sie eine Untersuchung des Intendanzwechsels von Dieter Dorn zu Frank Baumbauer an den Münchner Kammerspielen vorgenommen.

      Das Interesse an sozialwissenschaftlichen Methoden ist nicht nur durch Publikumsforschung bestimmt, sondern zeugt von einer Auseinandersetzung mit institutionellen Fragen. In seinem Beitrag plädiert Friedemann Kreuder für „eine Erweiterung des theaterwissenschaftlichen Methodenrepertoires um eine soziologisch ausgerichtete Differenzierungsforschung.“ Dies betreffe vor allem die infrastrukturell-institutionelle Dimension des Theaters, die als „Praxiskomplex“ definiert wird und in seinem Fall die Ausbildung, Auswahl und Positionierung von Schauspieler*innen in diesem Komplex untersucht. Die soziologische Ausrichtung sieht man daran, dass „insbesondere die organisations- und institutionentheoretische Perspektivierung des Praxiskomplexes als ‚organisationales Feld‘ als [disziplinär anschlussfähig]“ anerkannt wird. Der aus der Organisationssoziologie entlehnte Begriff des ‚organisationales Felds‘ nimmt nicht die einzelne Einrichtung, sondern die Bildung von komplexeren ‚Feldern‘ in den Blick, wobei sich einzelne Organisationen immer mehr angleichen (Isomorphismus) und dadurch institutionelle Macht erlangen.4 Auch wenn institutionelle oder organisationssoziologische Untersuchungen innerhalb der Theaterwissenschaft immer noch Seltenheitswert haben, gibt es gegenwärtig Bestrebungen, die auf eine Annäherung hinweisen. Neben Kreuders eigenem Projekt, das Teil einer DFG-Forschungsgruppe zum Thema „Humandifferenzierung“ bildet, 5 gibt es an der LMU München eine ortsverteilte Forschungsgruppe, die sich mit institutionellen Transformationsdynamiken in den darstellenden Künsten der Gegenwart beschäftigt (FOR 2734), und in der sozialwissenschaftliche Methoden eine zentrale Rolle spielen.6

      Neben der Organisationssoziologie ist vermutlich die Ethnologie bzw. Ethnografie dasjenige sozialwissenschaftliche Fach, das besonders in den letzten Jahren von der Theaterwissenschaft intensiv rezipiert wurde. In seinem Beitrag, „Die Ethnografie als Methode der Theaterwissenschaft?“ differenziert der bekennende Sozialanthropologe Jonas Tinius, der an der Universität Cambridge über das Theater an der Ruhr in Mülheim promovierte, zwischen den verschiedenen in der Anthropologie gängigen Methoden. Dabei ist die Ethnografie, die häufig mit Feldforschung und teilnehmender Beobachtung gleichgesetzt wird, nur eine bestimmte Phase innerhalb eines anthropologischen Forschungsdesigns. Ethnografie bedeutet für Tinius daher „eine Phase und Art anthropologischer Praxis, die sich dem Widmen und Beschreiben von Feldforschung widmet. Es bedeutet eben auch einfach: Schreiben über Menschen.“ Dies setzt aber eine Beschäftigung mit „diesen Menschen“ über einen längeren Zeitraum voraus, der landläufig unter dem Begriff der teilnehmenden Beobachtung firmiert. Auch wenn zwischen Ethnografie und Performance Studies ein enger fachgeschichtlicher Konnex besteht, nicht zuletzt wegen der bereits erwähnten Gründer Richard Schechner und Dwight Conquergood, und weil Erika Fischer-Lichtes Ästhetik des Performativen einige Anleihen bei Victor Turners Theorie der Liminalität macht, bleiben diese Beziehungen oft auf der Ebene der metaphorischen Begrifflichkeit und selten in einem echten Dialog über gemeinsame Methoden und Gegenstände. Da sich Ethnografie nicht auf eine Methode verkürzen lasse, so Tinius, könne man nicht mit einem fertigen methodischen Werkzeugkasten ins Feld ziehen. Im Gegenteil: Das Feld und seine Erfordernisse bestimmen die Methode(n) und nicht umgekehrt. Letztlich setzt ethnografische Forschung eine lang andauernde, sich meistens über Monate erstreckende Beobachtung und Begleitung des Forschungsgegenstands, sei es Probenprozesse,7 die prekäre Projektarbeit in der Freien Szene8 oder die komplexe institutionelle Verfasstheit einer einzelnen Theaterorganisation, voraus.9

      Methode im Plural. Eine Methodologie des Heuristischen für die Theaterwissenschaft?

      Julia Stenzel

      I. Methode: Weg oder Ziel?

      Jenseits des Systems Wissenschaft bereitet die Definition von ‚Methode‘ scheinbar wenig Probleme. „Eine Methode ist der Weg zum Ziel“ – diese ebenso selbstbewusste wie schlichte Begriffsbestimmung nimmt ein online-Ratgeber für sich in Anspruch, der seinen Leser*innen in 5 Schritten zu mehr Ordnung im Büro verhelfen möchte. Allerdings suggeriert der unmittelbare Kontext eine spezifische Betonung des Satzes, die jene dann doch enttäuschen muss, die nach einer einigermaßen eindeutigen Definition suchen: Denn „Eine Methode ist der Weg zum Ziel“, so muss es heißen; und das im Titel des Bandes formulierte Ziel ist ein Schreibtisch ohne Bücher- und Dokumentenmassive. Was aber eine Methode ist, das wird als selbsterklärend vorausgesetzt und einem allgemeinsprachlichen Ungefähren überlassen. Es ist dem Verfasser eben nicht darum zu tun, einen Begriff ‚Methode‘ zu definieren, sondern eine spezifische, nämlich die für mehr Ordnung im Büro, anwendbar zu machen.

      Diese Beobachtung an einem Text, der vieles für sich beanspruchen kann, sicherlich aber nicht Wissenschaftlichkeit, ist symptomatisch. Aber selbst wo es in Texten mit wissenschaftlichem Anspruch um Methoden geht, wird die Frage danach, was denn eine solche eigentlich sei, oft geflissentlich übergangen: Nicht was eine Methode, sondern was die hier angewandte Methode ist, ist dann die erste Frage.

      Auf dem Weg zur Methode den Umweg über methodologische Fragen zu gehen, soll hier vorgeschlagen werden; und die folgenden Überlegungen setzen es sich zum Ziel, dafür einen möglichen Rahmen zu skizzieren. Ich mache es mir also zur Aufgabe, noch diesseits des Methodischen über methodologische Fragen nachzudenken. Es soll und kann mir im Folgenden entsprechend auch nicht um die Frage gehen, was eine Methode ist. Der Versuch einer normativen Bestimmung mit den unvermeidlichen Inklusions- und Exklusionsmechanismen wäre nicht nur vermessen, sondern auch wenig produktiv. Ich möchte stattdessen versuchen zu rekonstruieren, welche Aspekte dazu führen können, dass geistes- oder kulturwissenschaftliches Arbeiten als methodisch geleitet und kontrolliert beschreibbar wird. Unter welchen Bedingungen wird das Umgehen1 mit Aufführungen, Texten, Bildern, Räumen, Inszenierungen, Situationen; unter welchen Voraussetzungen wird der Blick auf ihre Dokumentationen, Reenactments, journalistischen oder ganz anderen Verhandlungen wissenschaftlich? Und: Ist Wissenschaftlichkeit an Methodik gekoppelt? Um diese Fragen stellen zu können, ist jedoch zunächst zu klären, unter welchen Prämissen ich in diesem Zusammenhang von ‚Methoden‘ sprechen werde – ich will explizit keinen Begriff etablieren, sondern eine methodologische Argumentationsweise vorschlagen.

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