Название: Schreiben und Lesen im Altisländischen
Автор: Kevin Müller
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Beiträge zur nordischen Philologie
isbn: 9783772001116
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Barsalou geht das Konzept somit von der Inhaltsseite, Fillmore von der Ausdrucksseite her an. Diese Zugänge widerspiegeln sich auch in den Modellen, welche jeweils auf der einen Seite ihre Stärken haben. Wie das Beispiel des Kaufframes gezeigt hat, lassen sich aber beide Modelle verbinden und ihre Qualitäten nutzen, Fillmores Beziehungen von Frame und Valenz einerseits und Barsalous Beziehungen innerhalb des Frames andererseits. Fillmores Rollen bzw. Stellen stimmen mit Barsalous Attributen überein. Dies soll hier wieder auf das Beispiel schreiben übertragen werden: Das Attribut HAND hat drei Werte links, rechts oder beide, das Attribut SCHREIBWERKZEUG zahlreiche Werte wie Bleistift, Kreide, Computertastatur, genauso das Attribut SCHREIBMATERIAL mit Werten wie Papier, Schiefertafel, Computerbildschirm. Zwischen den Attributen bestehen folgende strukturelle Invarianten: Die HAND führt das SCHREIBWERKZEUG, welches das SCHREIBMATERIAL beschreibt. Die strukturellen Invarianten wiedergeben zudem die verschiedenen Konzepte des Schreibens wie das Bilden von Schriftzeichen, das Auftragen von Schriftzeichen auf einen Schriftträger, das Konzipieren eines Textes.
Weiter lassen sich diverse Constraints feststellen: Wenn der MENSCH Linkshänder ist, hat das Attribut HAND den Wert links. Wenn das Attribut SCHREIBWERKZEUG den Wert Bleistift hat, ist ein Wert Papier für das Attribut SCHREIBMATERIAL zu erwarten.
Die bisher besprochenen Modelle beschreiben die syntagmatischen Relationen auf verschiedenen Ebenen und aus verschiedenen Perspektiven. Sie setzen diese auch zu einem gewissen Grad mit dem Konzept in Beziehung. Dennoch schafft es keines die konzeptuellen und syntaktischen Strukturen gesamthaft zu betrachten. Dies soll nun im Folgenden herausgearbeitet werden. Den Weg gibt das semiotische Fünfeck vor (vgl. Glessgen 2011: 422–426): Die erste Ecke in einer historischen Sprachstufe ist die graphische Form des Zeichens. Die zweite Ecke umfasst die lexikalische Form und ist eng mit der dritten, mit dem signifié, verbunden. Entscheidend für diese enge Verbindung ist neben den diasystematischen Markern und der morphologischen Struktur der syntagmatische Kontext. Dies demonstrieren die Analysen der Lexeme risk und crawl von Fillmore/Atkins (1992 und 2000). Fillmores Framemodell zeigt zudem, dass die Valenz die Strukturen des Frames widerspiegelt. Hiermit kommt die vierte Ecke mit dem Konzept ins Spiel. Fillmores Modell stösst hier zwar an seine Grenzen, Barsalous Frame kann hingegen die Strukturen sehr gut beschreiben. Die fünfte Ecke kommt kaum zum Zuge, weil die Referenten in den seltensten Fällen noch erhalten sind.
Dieser Weg soll in dieser Arbeit ebenfalls gegangen werden, um den Wortschatz des Schreibens und Lesens im Altisländischen zu analysieren. Den Ausgangspunkt bildet die Belegstelle mit dem jeweiligen Lexem und seinem Kontext. Dies setzt ein Korpus voraus, welches im folgenden Kapitel (I.3.) beschrieben wird. Da es sich bei den hier untersuchten Lexemen ausschliesslich um Verben handelt, geht es in erster Linie darum, ihre Valenz zu analysieren, und ihre Ergänzungen möglichen Attributen im Frame zuzuordnen. Dazu gehören alle direkt vom Verb abhängigen Konstituenten: Subjekt, Akkusativ-, Dativ- und Genitivobjekt, Präpositionalobjekte und Adverbien. Es wird keine Grenze zwischen (obligatorischer) Ergänzung und (fakultativer) Angabe gezogen, weil diese nicht bekannt und für die Analyse wahrscheinlich auch nicht relevant ist. Da je nach Diathese gewisse thematische Rollen unterschiedlich realisiert werden, werden abhängig davon die Konstituenten nach diesen als Agens, Patiens, Thema oder Causer benannt.
Die Nomenklatur der Attribute muss im Laufe der Analyse kontinuierlich angepasst werden, weil das Konzept nicht a priori bekannt ist. So beginnt auch Braun (2016) mit einem postulierten Frame und revidiert diesen nach der Analyse der jeweiligen Texte. In der vorliegenden Arbeit werden mögliche Attribute in den Einleitungskapiteln zu den beiden Analyseteilen reflektiert und im Laufe der Analyse angepasst. Die in den Ergänzungen enthaltenen Lexeme werden bei der Analyse als Werte gesammelt. Auf die Wertkonzepte kann nur anhand der vorliegenden Belege eingegangen werden, was zwangsläufig ein unvollständiges Bild des Wertkonzepts ergibt. Der Analyse muss jedoch, wie auch von Barsalou (s.o.) konstatiert wurde, eine Grenze gesetzt werden, weil jeder Wert wieder ein eigenes Konzept hat, welches wiederum für sich analysiert werden müsste, was bei Dutzenden von Werten nicht möglich ist. Da die Wertkonzepte nicht genau bekannt sind, sind auch Aussagen über Constraints nur begrenzt möglich.
3. Korpus
3.1. Korpusbildung
Die bisherige Forschung zum Wortschatz des Schreibens und Lesens im Altnordischen hat vor allem mit einzelnen Textstellen und Wörterbüchern gearbeitet (vgl. Kap. II.1., III.1.). Häufig zitiert werden die Prologe, welche hauptsächlich das Schreiben, aber weniger das Lesen reflektieren, und äusserst heterogen in der Überlieferung sind: Sie gehören zu unterschiedlichen Texten, so dass diese in die Analyse miteinbezogen werden müssen, und sind in unterschiedlichen, teils neuzeitlichen Handschriften erhalten. Meine Lizentiatsarbeit hat sich einem längeren Text gewidmet, der Sturlunga saga, die trotz ihres Umfangs einen limitierten Wortschatz enthält. Gewisse Lexeme sind nur vereinzelt belegt, was eine Analyse erschwert (vgl. Müller 2018). Spurkland (1994) verwendet als einziger ein umfangreicheres Korpus norwegischer Runeninschriften, das er aber rein quantitativ nutzt, um die Anzahl der Lexeme nachzuweisen.
Diese selektive Vorgehensweise kann kaum ein geschlossenes Bild der Lexik und Semantik des Schreibens und Lesens im Altnordischen geben. Selbst eine Berücksichtigung aller überlieferten Texte könnte dies nicht geben, weil sie die altnordische Sprache nur fragmentarisch abbilden. Heringer (1993) kritisiert die fehlenden Methoden und Reflexionen der historischen Semantik, besonders was die Belegmenge und die Repräsentativität der untersuchten Texte sowie die Festigkeit der Bedeutung betrifft. Diese Kritik hat an Aktualität nichts eingebüsst. Mit diesem Problem sieht sich auch die vorliegende Arbeit konfrontiert. Allein schon die bis heute erhaltenen handschriftlich überlieferten Texte stellen eine Selektion dar. Für diese Arbeit muss wegen des Umfangs eine noch engere Auswahl vorgenommen werden, die im Folgenden dargelegt wird. Die Ergebnisse sind somit nicht repräsentativ für die altisländische Sprache und das mittelalterliche Island, sondern nur für die in diesem Korpus enthaltenen Texte, können aber der weiteren Erforschung als Grundlage dienen.
Bei der Textauswahl stellt sich die Frage, welche Texte sich für ein Korpus zum altisländischen Wortschatz des Schreibens und Lesens besonders eignen. Die lateinische Schrift kam mit der Christianisierung um das Jahr 1000 nach Island. Die ältesten erhaltenen Handschriften stammen allerdings erst aus dem 12. Jahrhundert. Von da an nimmt die Zahl überlieferter Handschriften bis ins 14. Jahrhundert kontinuierlich zu. Die wichtigsten historischen Quellen, welche diese Zeit und diesen Raum abdecken sind die Sturlunga saga und die Bischofssagas (biskupasǫgur) (vgl. Bragason 2005: 428, Grímsdóttir 2003: XXX, Tómasson 2002: 793–801, Uecker 2004: 19–23, 93, 112).
Der beste Weg wäre also, diese Texte in einem elektronischen Korpus nach Belegen zu durchsuchen. Dieser Methode sind in der Altisländischen Sprache jedoch Grenzen gesetzt. Obwohl es mehrere elektronische Korpora mit altisländischen Texten gibt, kommen die Bischofssagas darin kaum vor. Die Zusammensetzung der Korpora erlaubt aber auch mit anderen Texten eine seriöse Arbeit nur in sehr eingeschränktem Ausmass. Das isländische Korpus Málföng (malfong.is) umfasst auch mittelalterliche Texte (fornritin) (http://mim.arnastofnun.is/index.php?corpus=for). Darunter befinden sich folgende Gattungen und Werke: Isländersagas (Íslendinga sögur), Sturlunga saga, Heimskringla СКАЧАТЬ