Belgische Finsternis. Stephan Haas
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Название: Belgische Finsternis

Автор: Stephan Haas

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783960416487

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СКАЧАТЬ war. Was, wenn sie nichts wusste? Wenn sie nichts zu sagen hatte? Ich ballte die Fäuste in meinen Hosentaschen. Immer fester drückten meine Finger zu.

      Wie naiv warst du, hierherzukommen? Und dafür Liv wieder einmal zu vernachlässigen?

      Lechat schien von meinen Zweifeln nichts mitzubekommen. »Vor einigen Jahren, es müssen sieben oder acht sein, ging bei uns die Meldung einer alten Frau ein. Sie berichtete, ein Junge hätte vor ihr gestanden und behauptet, er wäre seit Jahren vermisst. Sie sollte ihm helfen, hatte er gebeten, war dann aber seltsamerweise losgelaufen. Die Frau sagte, sie hätte noch ›Halt!‹ geschrien, doch der Junge ging weiter. Die alte Frau, die einen Rollator benötigte, blieb hilflos zurück. Ehe sie weitere Fragen stellen konnte, war der Junge bereits um die nächste Ecke und für immer von dannen.«

      »Felix«, sagte ich hoffnungsvoll.

      »Wir ließen ein Phantombild anfertigen, das aber nicht aussagekräftig war. Die Alte war sich unsicher. Das Bild, das dabei rauskam, ähnelte eher Frankenstein als dem vermissten Felix.« Lechat lächelte zaghaft.

      »Aber er könnte es doch trotzdem gewesen sein?«

      »Nein.« Lechat überlegte lange, ehe er fortfuhr. »Vanderhagen ging damals der Spur nach und hielt es für eine gute Idee, die Presse in den Fall zu involvieren. So erhielten wir mehrere Hinweise. Dumm nur, dass der Junge bezahlt worden war, und zwar von der ›Klick‹. Die hatte ihre helle Freude, das können Sie mir glauben! Der Junge gestand letztendlich seine Schauspieleinlage und erhielt eine Verwarnung – das war’s. Davon hatte die Oma leider nichts mehr. Sie starb einige Wochen nach dem Zwischenfall. Nachdem ein Dutzend Presseteams sie über mehrere Tage hinweg tyrannisiert hatten.«

      Lechat fuhr sich durch sein graues trockenes Haar, als gäbe er sich selbst die Schuld an dem Verlauf der Geschichte.

      »Das heißt, Felix Riegen wurde nach seinem Verschwinden nie mehr gesehen«, resümierte ich.

      »Richtig.«

      Wir waren an einem Kiosk angekommen, der mit Graffiti von hässlichen schreienden Gesichtern besprüht war. Er wirkte etwas deplatziert direkt vor dem Eingang eines Spielplatzes. Lechat wollte gerade die Bestellung aufgeben, als er plötzlich erschrocken zur Seite trat. Ein schneeweißer Husky suchte etwas zwischen seinen Schuhen. Die Leine verhedderte sich dabei in Lechats Beinen. Ein hübsches braunhaariges Mädchen, ungefähr zwölf Jahre alt, eilte herbei.

      »Zeno, sitz!«

      Sie stampfte mit einem Fuß auf den Teerboden.

      Lechat versuchte währenddessen umständlich, sich zu befreien.

      »Was machst du hier, Kleine? Kannst du deinen Hund nicht an der Leine halten?«

      Das Mädchen blinzelte gegen die Sonne zu uns herauf. »Ich bin nicht klein«, bemerkte sie und machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr. »Ich dressiere Zeno und warte auf meine Mutter.«

      »Na gut, dann nimm den Hund mal wieder mit.«

      Lechats Blick richtete sich sehnsüchtig auf den Kiosk, wo seine Zigaretten auf ihn warteten.

      »Kann man dich denn keine zwei Minuten aus den Augen lassen? Lass den Kommissar arbeiten. Der hat einen schweren Fall zu lösen.«

      Die Stimme kam vom Spielplatz und klang fürchterlich schrill. Sie gehörte einer kleinen braun gebrannten Frau, deren Lieblingsfarbe unverkennbar Pink war. Als sie uns erreicht hatte, zog sie ihre Tochter ruckartig zu sich. Gestenreich entschuldigte sie sich und verabschiedete sich dann.

      Als ich mich von der Frau abwandte, stand Lechat bereits am Kiosk. »Das meinte ich.« Verärgert knallte er ein paar Euromünzen auf den Tresen.

      »Ich verstehe nicht ganz?«

      »Na, Pia Lehnens blöde Anspielungen auf den Fall.«

      »Na ja, so dramatisch fand ich das jetzt nicht. Aber woher kennt sie Sie überhaupt?«, fragte ich.

      »Weil Nadja, die Kleine von gerade eben …«, begann Lechat, bevor er zwei Päckchen der blauen Gauloises bestellte und sich dann wieder mir zuwandte, »… den Schülerkalender des Jungen gefunden hat.«

      »Die Kleine mit dem Hund?«, fragte ich erstaunt.

      »Ja, sag ich doch. Nadja Lehnen.«

      »Solange die beiden die Angelegenheit diskret behandeln, ist doch alles gut. Ich denke, wir sollten das Ganze nicht überbewerten«, versuchte ich ihn zu beruhigen.

      Lechat stoppte unvermittelt, baute sich vor mir auf und fixierte meine Augen. »Ich fürchte, ich muss Ihnen was erklären.«

      Sosehr ich Lechat in der kurzen Zeit auch schätzen gelernt hatte, nach einer Standpauke von einem pensionierten Kleinstadtpolizisten stand mir wirklich nicht der Sinn. Mein Blick wanderte unweigerlich wieder zu seinen orangegelben Barthaaren, die sich mit seinen Lippen auf und ab bewegten.

      »Was glauben Sie, warum wir hier sind? Weil wir so tolle Ermittler sind? Kann sein. Aber das ist nicht der Hauptgrund. Ich sag Ihnen, warum wir hier sind: weil den Job sonst niemand machen wollte. Wir sollen in dem Fall ermitteln, klar. Aber in erster Linie sollen wir hier kein Trara machen. Damit hier nicht wieder zwanzig Pressewagen antanzen. So wie das alle paar Jahre geschieht, wenn die Haarspange eines Opfers gefunden wird.«

      Das war deutlich.

      Was ich befürchtet hatte, war also tatsächlich wahr: Der Fall war gar kein Fall.

      Danke, Ron, du Penner!

      Mir blieb nur Galgenhumor.

      »Wir sind also die Trottel vom Dienst«, resümierte ich.

      »Wenn Sie mir einen Vergleich mit der Tierwelt erlauben, Herr Donker: Raaffburg ist eine ausgeschlachtete Sau, zu der die Aasgeier auf ihrer Sommerlochroute immer wieder gern zurückkommen. Die Einwohner Raaffburgs sind so oder so die Leidtragenden.«

      Die Skepsis gegenüber Fremden hatte ich im Bistro ja bereits am eigenen Leib erfahren dürfen.

      »Was hat Karls Ihnen erzählt? Dass das ein großer Fall ist? Es ist ein großer Fall. Aber nur, wenn wir den Jungen finden. Tot oder lebendig.«

      Ich war also mehr Krisenmanager als Kriminalermittler.

      Der Krisenmanager von Raaffburg.

      Wäre ich nicht selbst betroffen gewesen, ich hätte laut aufgelacht. Stattdessen setzte ich mich auf eine Bank und starrte benommen auf den Boden. Die kleinen rauen Kieselsteine waren ein Abbild meines Seelenzustands. Zerbrochen in kleine Stücke.

      Ich, der ehemalige Fels in der Brandung.

      Zuerst die Trennung auf Zeit von Elise. Dann, inmitten des Auszugs und des ständigen Auf und Abs zwischen Verlustangst und Hoffnung, starb mein Kollege Tim. Und die Zerschlagung des algerischen Clans gleich mit ihm. Den Gipfel der Enttäuschung und Bitternis bescherte mir dann aber wieder Elise. Sie vögelte mit einem wildfremden Typen, unsere Ehe war kaputt. Und wenn es ganz schlecht für mich lief, würde ich auch noch meine Tochter verlieren.

      Als wäre das alles nicht genug, schickten meine tollen Chefs mich ins Sankt Obernimmerland, wo ich den Parkplatzwächter spielen durfte.

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