Leopold Figl. Birgit Mosser-Schuöcker
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Название: Leopold Figl

Автор: Birgit Mosser-Schuöcker

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

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isbn: 9783902998651

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СКАЧАТЬ sich Unruhe unter den Gefangenen breit. Sie werden rasiert, Fingerabdrücke werden genommen. Die Männer werden nach Buchstaben sortiert in Transportzellen verlegt. Manche meinen gar, die Entlassung stünde bevor, und versuchen, sich den Wachmannschaften anzubiedern. Franz Olah, als Sozialdemokrat ebenfalls verhaftet, erinnert sich: »Einige haben sich demonstrativ den ›Völkischen Beobachter‹ eingesteckt, ein anderer hat sich ein Hakenkreuz angeheftet, das er noch von draußen gehabt hat. Der mit dem Hakenkreuz hat eine ordentliche Watschen von einem SS-Mann bekommen.«16

      Der spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky hat an diesem Tag Glück: Er wird für den Transport nach Dachau aufgerufen, aber im »allgemeinen Durcheinander« vergessen und später dank Intervention eines Polizeibeamten nicht mehr dafür eingeteilt.17

      Leopold Figl und 150 Leidensgenossen haben kein Glück. Am Abend des 1. April 1938 werden die Gefangenen in sogenannte Überfallsautos gepfercht und über die Ringstraße gefahren. Immer noch wissen sie nicht, wohin. »Da biegen die Wagen in die Mariahilfer Straße ein und nehmen Kurs zum Westbahnhof. […] Da plötzlich schreit einer mit Wahnsinnsstimme: ›Nach Dachau! Ins Konzentrationslager!‹«18 Auch vielen Uniformierten wird dieser Abend in Erinnerung bleiben. So heißt es im Bericht der Kriminalpolizeistelle Wien vom 1. April 1938, der Transport »hinterließ bei allen Sicherheitswachebeamten einen gewissen psychologischen Eindruck, hervorgerufen durch das Dabeisein der eigenen ehemaligen hohen und höchsten Vorgesetzten.«

      Am Westbahnhof angekommen, ist Schluss mit der »ostmärkischen Gefühlsduselei«. Die Dachauer SS-Wachmannschaft übernimmt die »Herren Österreicher«, weit weg von den Blicken anderer Reisender, am Frachtenbahnhof. »Lauter junge Burschen, grobe Hunde, die uns gleich mit Gewehrkolben empfangen haben, mit Stiefeltritten usw., mit Faustschlägen ins Gesicht. Wir waren der erste Transport. […] Und da mussten wir dann zu sechst in Coupés sitzen, wo sonst vier sitzen, also ganz eng gedrängt. Das war in der Nacht, und wir mussten ständig ins Licht schauen. Bei der Tür stand ein SS-Mann mit einem Gewehrkolben; wenn einem die Augen zugefallen sind, hat man eine gekriegt.«19

      Die Fahrt von Wien nach München dauert zehn Stunden. So lange haben die jungen SS-Männer Zeit, die Gefangenen zu brechen. Aus nationalsozialistischer Sicht macht das nicht nur Spaß, sondern auch Sinn: Die »Schutzhäftlinge« gehören zu einem großen Teil der geistigen und politischen Elite des gerade untergegangen Staates an. Leopold Figl ist Häftling Nummer 143 des »Prominententransportes«, wie die Nazis höhnisch sagen.

      Was mag ihm während jener zehn Stunden durch den Kopf gegangen sein? Nach der Ankunft in Bayern bewahrheiten sich alle Befürchtungen, die der spätere Bundeskanzler gehabt haben mag. »Als wir in Dachau ankamen«, schreibt sein Mitgefangener Rudolf Kalmar, »von der Bahn ins Lager geschleift und dort in irgendeine Ecke geprügelt, begann so etwas wie ein öffentliches Verhör vor einer ganzen Gruppe von sogenannten Offizieren. Jeder einzelne von uns wurde vorgerufen und verhöhnt. Jeder schmutzige Witz fand seinen begeisterten Beifall.«20

      Einige Stunden später neigt sich der erste Tag, den Leopold Figl im Konzentrationslager überlebt hat, dem Ende zu. 151 Österreicher sind auf dem Dachauer Appellplatz angetreten. Sie haben eine schlaflose Zugfahrt, ein demütigendes Verhör, eine anstrengende Registrierung und jede Menge Prügel hinter sich. Zu essen oder trinken gibt es nichts. Hans Loritz, der Kommandant, mustert die in Doppelreihen angetretenen Häftlinge. »Wir werden jetzt essen gehen und ein gutes Glas Bier auf die Ankunft der Herren Österreicher trinken. Und ihr lasst euch in der Zwischenzeit ein bisschen Sonne in den Bauch scheinen. Das ist gut für den Hunger!«21

      Während sich Hans Loritz bei einem Glas Bier von dem anstrengenden Tag erholt, kommt der Friseur auf den Appellplatz. Den Neuzugängen werden die Köpfe kahl geschoren. Dann heißt es weiter stehen. Die Männer starren sich gegenseitig verschämt und entsetzt an. Ohne Haare und in der schäbigen blau-weiß-gestreiften KZ-Montur gleichen sie Zuchthäuslern. Minister stehen neben Kommunisten, jüdische Kaufleute neben jungen Sozialisten. Die erbitterten Gegner von gestern sind jetzt die Opfer eines gemeinsamen Feindes. Irgendwo auf dem Appellplatz steht auch Leopold Figl. In den letzten 24 Stunden hat er erfahren, was es heißt, ein »Schutzhäftling« des sogenannten »Dritten Reiches« zu sein.

      Am 17. April schreibt er die erste Karte nach Hause: »Es geht mir gut und ich bin gesund!« Diese barmherzige Lüge wird sich in jedem der Briefe, die der Gefangene in den nächsten fünf Jahren schreiben darf, wiederholen. Seine Frau Hilde kann auch in ihren schlimmsten Befürchtungen nicht ahnen, wie die KZ-Häftlinge tatsächlich behandelt werden. In knappen Worten fragt der Verhaftete nach dem Befinden der Familie. Er verliert kein Wort über seine eigenen Gefühle. Rund zwei Wochen nach seiner Ankunft in Dachau sitzt der Schock über das Geschehene vermutlich noch zu tief. In der kurzen Karte schöpft Figl nicht einmal die zehn vom Lagerkommandanten zugestandenen Zeilen aus; er schreibt nur sechs. In den kommenden Monaten und Jahren wird Leopold Figl lernen, seine Frau mit Worten aufzumuntern, die er sich selbst vermutlich nur schwer abringen kann. Nur hin und wieder wird er sich einen Hinweis auf seine Gefühle erlauben: »Ich kann dir nicht schreiben, was mein Innerstes empfindet«, heißt es in einem Brief aus dem Jahr 1939.22 Selbst wenn es keine Zensur gäbe, würde es der Gefangene kaum über sich bringen, seiner Frau den wahren KZ-Alltag zu schildern. Das Regime, das ihn gefangen hält, zeigt ihm mit allen Mitteln, dass einer wie er nichts mehr zu hoffen hat.

      Die Bestrafung: Frühling 1938

      Auf dem Appellplatz herrscht völlige Stille. Vergessen sind Erschöpfung und Hunger. Die Gefangenen starren auf den verhassten Prügelbock. Es ist wieder so weit. Wen es wohl heute treffen wird? Sie stehen und stehen. Endlich erscheint der Kommandant. Hans Loritz ist guter Dinge. Er wirft einen kurzen Blick auf seine Unterlagen. „Schutzhäftling Nr. 13.897, vortreten!“ Eine hagere Gestalt löst sich aus der Menge. „Jessas, der Figl!“, raunt einer der Österreicher.

      Hans Loritz hat es nicht eilig. Eingehend mustert er den Verurteilten. Ein schmächtiger Mann, noch relativ jung. Brillenträger. Vermutlich ein Intellektueller. Wird er schreien? Wird er es schaffen, sich den Schmerz zu verbeißen? Man darf sich von der Statur eines Mannes nicht täuschen lassen, das weiß der KZ-Kommandant längst. Manchmal sind gerade die kleinen Drahtigen besonders zäh. Der Gefangene steht vorschriftsmäßig vor ihm; die Hände an der Hosennaht, die Mütze in der Hand. Er lässt keine Gemütsbewegung erkennen. Hans Loritz macht einige Schritte vorwärts, bis er dem Verurteilten ganz nahe ist. Ihre Blicke treffen sich. Der SS-Mann sucht die Angst in den Augen seines Opfers.

      Leopold Figl spürt das Lauern des Lagerkommandanten fast körperlich. Keine Schwäche zeigen. Wenn es nur nicht so schwer wäre. Der Gefangene weiß genau, was ihm bevorsteht. Die SS zwingt die Häftlinge nicht ohne Grund, die Bestrafung ihrer Kameraden mitanzusehen. Das Prügeln eines Mannes wird für Hunderte seiner Mitgefangenen zur seelischen Qual. Er sieht den armen Teufel noch vor sich, gefesselt und wehrlos. Er hört die Schreie, sieht das Blut. Fast wäre er bei dem Anblick umgekippt, wenn ihn nicht zwei Kameraden aufgefangen hätten. Und jetzt ist er selbst dran. Leopold Figl wird „über den Bock gehen“, wie die Häftlinge sagen.

      Hans Loritz hat genug gesehen. Verstockt, wie die meisten Politischen. Eine kleine Abreibung wird dem Mann gut tun. Wer nicht hören will, muss eben fühlen. Der SS-Mann verliest den „Straftenor“. Schließlich muss alles seine Ordnung haben.

      Die Worte prasseln auf den Gefangenen ein. Ein Schauspiel, um den Anschein der Rechtmäßigkeit zu wahren. Um das demütigende Spektakel in die Länge zu ziehen. Die schnarrende Stimme des Kommandanten scheint von weit her zu kommen. Er sieht, wie sich der Mund des SS-Mannes bewegt, aber er kann die Worte kaum unterscheiden. Leopold Figl kennt die Strafe auch so: 25 Schläge, weil er bei der Arbeit gesprochen hat. Über die Heimat, über Österreich. Worüber sie geredet hätten, hat ihn der Posten angeherrscht. Er hätte ausweichen können, lügen können. Aber alles in Leopold Figl hat sich dagegen gesträubt, aus Angst, den Namen seiner Heimat zu verleugnen. Jetzt wird er dafür büßen.

      „Blockführer, СКАЧАТЬ