Название: Kampagne in Frankreich
Автор: Johann Wolfgang von Goethe
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 4064066110611
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Es war den 1. September früh um acht Uhr, als das Bombardement aufhörte, ob man gleich noch immerfort Kugeln hinüber und herüber wechselte. Besonders hatten die belagerten einen Vierundzwanzig-Pfünder gegen uns gekehrt, dessen sparsame Schüsse sie mehr zum Scherz als Ernst verwendeten.
Auf der freien Höhe zur Seite der Weinberge, grad' im Angesicht dieses gröbsten Geschützes, waren zwei Husaren zu Pferd aufgestellt, um Stadt und Zwischenraum aufmerksam zu beobachten. Diese blieben die Zeit ihrer Postierung über unangefochten. Weil aber bei der Ablösung sich nicht allein die Zahl der Mannschaft vermehrte, sondern auch manche Zuschauer grad' in diesem Augenblick herbeiliefen und ein tüchtiger Klump Menschen zusammenkam, so hielten jene ihre Ladung bereit. Ich stand in diesem Augenblick mit dem Rücken dem ungefähr hundert Schritt entfernten Husaren- und Volkstrupp zugekehrt, mich mit einem Freund besprechend, als auf einmal der grimmige, pfeifend-schmetternde Ton hinter mir hersauste, so dass ich mich auf dem Absatz herumdrehte, ohne sagen zu können, ob der Ton, die bewegte Luft, eine innere psychische, sittliche Anregung dieses Umkehren hervorgebracht. Ich sah die Kugel, weit hinter der auseinander gestobenen Menge, noch durch einige Zäune rikoschettieren. Mit großem Geschrei lief man ihr nach, als sie aufgehört hatte, furchtbar zu sein; niemand war getroffen, und die Glücklichen, die sich dieser runden Eisenmasse bemächtigt, trugen sie im Triumph umher.
Gegen Mittag wurde die Stadt zum zweiten Mal aufgefordert und erbat sich vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Diese nutzten auch wir, uns etwas bequemer einzurichten, um zu proviantieren, die Gegend umher zu bereiten, wobei ich denn nicht unterließ, mehrmals zu der unterrichtenden Quelle zurückzukehren, wo ich meine Beobachtungen ruhiger und besonnener anstellen konnte; denn das Wasser war rein ausgefischt und hatte sich vollkommen klar und ruhig gesetzt, um das Spiel der niedersinkenden Flämmchen nach Lust zu wiederholen, und ich befand mich in der angenehmsten Gemütsstimmung. Einige Unglücksfälle versetzten uns wieder bald in Kriegszustand.
Ein Offizier von der Artillerie suchte sein Pferd zu tränken, der Wassermangel in der Gegend war allgemein; meine Quelle, an der er vorbei ritt, lag nicht flach genug, er begab sich nach der nahe fließenden Maas, wo er an einem abhängigen Ufer versank: das Pferd hatte sich gerettet, ihn trug man tot vorbei.
Kurz darauf sah und hörte man eine starke Explosion im österreichischen Lager, an dem Hügel, zu dem wir hinaufsehen konnten; Knall und Dampf wiederholte sich einige Mal. Bei einer Bombenfüllung war durch Unvorsichtigkeit Feuer entstanden, das höchste Gefahr drohte; es teilte sich schon gefüllten Bomben mit, und man hatte zu fürchten, der ganze Vorrat möcht ein die Luft gehen. Bald aber war die Sorge gestillt durch rühmliche Tat kaiserlicher Soldaten, welche, die bedrohende Gefahr verachtend, Pulver und gefüllte Bomben aus dem Zeltraum eilig hinaustrugen.
So ging auch dieser Tag hin. Am andern Morgen ergab sich die Stadt und ward in Besitz genommen; sogleich aber sollte uns ein republikanischer Charakterzug begegnen. Der Kommandant Beaurepaire, bedrängt von der bedrängten Bürgerschaft, die bei fortdauerndem Bombardement ihre ganze Stadt verbrannt und zerstört sah, konnte die Übergabe nicht länger verweigern; als er aber auf dem Rathaus in voller Sitzung seine Zustimmung gegeben hatte, zog er ein Pistole hervor und erschoss sich, um abermals ein Beispiel höchster patriotischer Aufopferung darzustellen.
Nach dieser so schnellen Eroberung von Verdun zweifelte niemand mehr, dass wir bald darüber hinausgelangen und in Chalons und Epernay uns von den bisherigen Leiden an gutem Weine bestens erholen sollten. Ich ließ daher ungesäumt die Jägerischen Karten, welche den Weg nach Paris bezeichneten, zerschneiden und sorgfältig aufziehen, auch auf die Rückseite weißes Papier kleben, wie ich es schon bei der ersten getan, um kurze Tagesbemerkungen flüchtig aufzuzeichnen.
Den 3. September.
Früh hatte sich eine Gesellschaft zusammengefunden, nach der Stadt zu reiten, an die ich mich anschloss. Wir fanden gleich beim Eintritt große frühere Anstalten, die auf einen längeren Widerstand hindeuteten: das Straßenpflaster war in der Mitte durchaus aufgehoben und gegen die Häuser angehäuft; das feuchte Wetter machte deshalb das Umherwandeln nicht erfreulich. Wir besuchten aber sogleich die namentlich gerühmten Läden, wo der beste Likör aller Art zu haben war. Wir probierten ihn durch und versorgten uns mit mancherlei Sorten. Unter andern war einer namens Baume humain, welcher, weniger süß, aber stärker, ganz besonders erquickte. Auch die Drageen, überzuckerte kleine Gewürzkörner in saubern, zylindrischen Deuten, wurden nicht abgewiesen. Bei so vielem Guten gedachte man nun der lieben Zurückgelassenen, denen dergleichen am friedlichen Ufer der Ilm gar wohl behagen möchte. Kistchen wurden gepackt; gefällige, wohlwollende Kuriere, das bisherige Kriegsglück in Deutschland zu melden beauftragt, waren geneigt, sich mit einigem Gepäck dieser Art zu belasten, wodurch sich denn die Freundinnen zu Hause in höchster Beruhigung überzeugen mochten, dass wir in einem Land wallfahrteten, wo Geist und Süßigkeit niemals ausgehen dürfen.
Als wir nun darauf die teilweise verletzte und verwüstete Stadt beschauten, waren wir veranlasst, die Bemerkung zu wiederholen: dass bei solchem Unglück, welches der Mensch dem Menschen bereitet, wie bei dem, was die Natur uns zuschickt, einzelne Fälle vorkommen, die auf eine Schickung, eine günstige Vorsehung hinzudeuten scheinen. Der untere Stock eines Eckhauses auf dem Markt ließ einen von vielen Fenstern wohl erleuchteten Fayence-Laden sehen; man machte uns aufmerksam, dass eine Bombe, von dem Platz aufschlagend, an den schwachen steinernen Türpfosten des Ladens gefahren, von demselben aber wieder abgewiesen, andere Richtung genommen habe. Der Türpfosten war wirklich beschädigt, aber er hatte die Pflicht eines guten Vorfechters getan: die Glanzfülle des oberflächlichen Porzellans stand in widerspiegelnder Herrlichkeit hinter den wasserhellen, wohl geputzten Fenstern.
Mittags am Wirtstisch wurden wir mit guten Schöpsenkeulen und Wein von Bar traktiert, den man, weil er nicht verfahren werden kann, im Land selbst aufsuchen und genießen muss. Nun ist aber an solchen Tischen Sitte, dass man wohl Löffel, jedoch weder Messer noch Gabel erhält, die man daher mitbringen muss. Von dieser Landesart unterrichtet, hatten wir schon solche Bestecke angeschafft, die man dort flach und zierlich gearbeitet zu kaufen findet. Muntere, resolute Mädchen warteten auf, nach derselben Art und Weise, wie sie vor einigen Tagen ihrer Garnison noch aufgewartet hatten.
Bei der Besitznehmung von Verdun ereignete sich jedoch ein Fall, der, obgleich nur einzeln, großes Aufsehen erregte und allgemeine Teilnahme heran rief. Die Preußen zogen ein, und es fiel aus der französischen Volksmasse ein Flintenschuss, der niemand verletzte, dessen Wagestück aber ein französischer Grenadier nicht verleugnen konnte und wollte. Auf der Hauptwache, wohin er gebracht wurde, hab' ich ihn selbst gesehen: es war ein sehr schöner, wohl gebildeter, junger Mann, festen Blicks und ruhigen Betragens. Bis sein Schicksal entschieden wäre, hielt man ihn lässlich. Zunächst an der Wache war eine Brücke, unter der ein Arm der Maas durchzog; er setzte sich aufs Mäuerchen, blieb eine Zeitlang ruhig, dann überschlug er sich rückwärts in die Tiefe und ward nur tot aus dem Wasser herausgebracht.
Diese zweite heroische, ahnungsvolle Tat erregte leidenschaftlichen
Hass bei den frisch Eingewanderten, und ich hörte sonst verständige
Personen behaupten, man möchte weder diesem noch dem Kommandanten
ein ehrlich Begräbnis gestatten. Freilich hatte man sich andere
Gesinnungen versprochen, und noch sah man nicht die geringste
Bewegung unter den fränkischen Truppen, zu uns überzugehen.
Größere Heiterkeit verbreitete jedoch die Erzählung, wie der König in Verdun aufgenommen worden: vierzehn der schönsten, wohl erzogensten Frauenzimmer hatten Ihro Majestät mit angenehmen Reden, Blumen und Früchten bewillkommnt. СКАЧАТЬ