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Fremden dachte; aber als während des Diners ein jeder sich darin gefiel, an Herrn Longueville einen neuen Vorzug zu rühmen und behauptete, daß er allein ihn entdeckt hätte, blieb Fräulein von Fontaine eine Zeitlang stumm; eine kleine spöttische Bemerkung ihres Onkels weckte sie plötzlich aus ihrer Apathie und sie bemerkte ziemlich spitz, daß eine solche göttliche Vollkommenheit irgendeinen großen Fehler verdecken müsse, und daß sie sich hüte, auf den ersten Blick über einen so gewandten Menschen ein Urteil abzugeben. »Wer derart aller Welt gefällt, gefällt niemandem«, fügte sie hinzu, »und der schlimmste Fehler ist, wenn man keinen Fehler hat.« Wie alle verliebten jungen Mädchen schmeichelte sich Emilie mit der Hoffnung, sie könne ihr Fühlen im tiefsten Herzen verborgen halten und die Argusaugen ihrer Umgebung irreführen; aber nach Verlauf von vierzehn Tagen war jedes Mitglied der zahlreichen Familie in das häusliche Geheimnis eingeweiht. Beim dritten Besuche, den Herr Longueville machte, glaubte Emilie zu erkennen, daß sie der Hauptanlaß dazu sei. Diese Entdeckung verursachte ihr eine so berauschende Freude, daß sie selber in Erstaunen geriet, als sie darüber nachdachte. Denn es lag darin etwas, was ihren Stolz schmerzlich berührte. Gewöhnt, sich zum Mittelpunkte der Gesellschaft zu machen, mußte sie nun eine Macht anerkennen, die sie gegen ihren Willen an sich zog; sie versuchte, sich dagegen aufzulehnen, aber sie konnte das verführerische Bild des jungen Mannes nicht aus ihrem Herzen verbannen. Dazu kamen bald noch andere Beunruhigungen. Zwei Eigenschaften des Herrn Longueville standen der allgemeinen Neugierde und besonders der des Fräuleins von Fontaine entgegen, nämlich seine unerwartete Zurückhaltung und seine Bescheidenheit. Den geschickten Fragen, die Emilie in die Unterhaltung einfließen ließ, und den Fallen, die sie dabei stellte, um dem jungen Manne Näheres über sein Leben zu entlocken, wußte er mit der Gewandtheit eines Diplomaten, der sein Geheimnis hüten will, auszuweichen. Sprach sie über Malerei, so antwortete ihr Herr Longueville als Kenner. Machte sie Musik, so bewies ihr der junge Mann, ohne sich damit zu brüsten, daß er ein guter Klavierspieler war. An einem Abende entzückte er die ganze Gesellschaft, als er seine wundervolle Stimme mit der Emilies in einem der schönsten Duette Cimarosas vereinigte; wenn man aber versuchte, ihn auszuforschen, ob er ein Künstler wäre, so scherzte er mit solcher Gewandtheit darüber hinweg, daß er diesen Damen, die so geübt in der Kunst des Gedankenlesens waren, keine Möglichkeit gewährte, herauszubekommen, zu welcher gesellschaftlichen Sphäre er gehörte. Wie kühn auch der alte Onkel seinen Enterhaken gegen dieses Schiff schleuderte, Longueville verstand ihm auszuweichen und den Reiz des Geheimnisvollen zu bewahren; und es wurde ihm um so leichter, in der Villa Planat »der schöne Unbekannte« zu bleiben, als die Neugierde niemals die Grenzen der Höflichkeit überschritt. Emilie, die diese Zurückhaltung peinlich empfand, hoffte bei der Schwester ein besseres Resultat vertraulicher Eröffnungen zu erzielen, als bei dem Bruder. Unterstützt von dem Onkel, der sich auf derartige Manöver wie auf Schiffsmanöver verstand, versuchte sie, die bisher stumme Persönlichkeit des Fräuleins Klara Longueville auf die Szene zu bringen. Die Gesellschaft der Villa bezeugte bald den dringenden Wunsch, eine so liebenswürdige Person kennenzulernen und ihr etwas Zerstreuung zu verschaffen. Ein zwangloser Ball wurde in Vorschlag gebracht und akzeptiert. Die Damen waren ziemlich hoffnungsvoll, daß sie ein junges Mädchen von sechzehn Jahren würden zum Reden bringen können. Trotz der kleinen Wolken, die der Verdacht zusammenzog und die Neugierde entstehen ließ, hatte doch heller Sonnenschein über Fräulein von Fontaines Seele sich ergossen, die einen köstlichen Genuß darin fand, sich mit einem anderen Wesen verbunden zu fühlen. Sie begann jetzt auch, die gesellschaftlichen Pflichten besser zu verstehen. Sei es, daß das Glück uns besser macht, sei es, daß sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um andere zu quälen, sie wurde weniger boshaft, nachgiebiger, sanfter. Über diese Wesensänderung war ihre Familie erstaunt und entzückt. Es war wohl möglich, daß ihr Egoismus sich in Liebe verwandelt hatte. Die Ankunft ihres schüchternen und geheimnisvollen Anbeters zu erwarten, bereitete ihr eine tief empfundene Freude. Ohne daß ein Wort über ihre Leidenschaft zwischen ihnen laut geworden war, wußte sie, daß sie geliebt wurde, und sie kostete den Genuß aus, alle Schätze ihres reich entwickelten Geistes vor dem jungen Unbekannten auszubreiten. Sie merkte wohl, daß auch sie eingehend geprüft wurde, und sie bemühte sich, alle Fehler, die auf ihrer Erziehung beruhten, abzulegen. Es war die Liebe, die sie veranlaßte, sich zum erstenmal zu unterwerfen und sich selbst bittere Vorwürfe zu machen. Sie wollte gefallen und sie entzückte, sie liebte und sie wurde angebetet. Da ihre Angehörigen wußten, daß ihr Stolz sie ausreichend beschützte, so ließen sie ihr genügend Freiheit, so daß sie alle die kleinen beglückenden Kindereien auskosten konnte, die der ersten Liebe so viel Reiz und so viel Kraft verleihen. Mehr als einmal gingen der junge Mann und Fräulein von Fontaine allein in den Alleen des Parks spazieren, der von der Natur geschmückt war, wie eine Frau zum Balle. Mehr als einmal erfreuten sie sich an dem ziel- und zwecklosen Geplauder, dessen Sätze, wenn sie anscheinend keinen rechten Sinn haben, um so wärmeres Empfinden in sich bergen. Gemeinsam bewunderten sie oftmals die herrlichen Farben des Sonnenuntergangs. Sie pflückten Gänseblümchen, um die Blätter abzuzupfen, und sangen die leidenschaftlichsten Duette, indem sie sich der Töne Pergoleses oder Rossinis als getreuer Dolmetscher für ihr heimliches Empfinden bedienten.
So kam der Balltag heran. Klara Longueville und ihr Bruder, den die Kammerdiener hartnäckig mit dem Adelsprädikat nannten, waren der Glanzpunkt des Abends. Zum erstenmal in ihrem Leben bereitete der Triumph eines andern jungen Mädchens Fräulein von Fontaine Freude. Sie überhäufte Klara mit ehrlich gemeinten liebevollen Zärtlichkeiten und Bemühungen, die die Frauen einander gewöhnlich nur dann erweisen, wenn sie die Männer eifersüchtig machen wollen. Emilie aber verfolgte ein bestimmtes Ziel, sie wollte Geheimnisse herausbekommen. Aber Fräulein Longueville bewies als weibliches Wesen noch mehr geistige Gewandtheit als ihr Bruder; dabei machte sie gar nicht den Eindruck, als ob sie etwas verschweigen wolle, und verstand es, die Unterhaltung auf einem Gebiet, das mit persönlichen Angelegenheiten nichts zu tun hatte, festzuhalten, und sie tat das in einer so reizenden Weise, daß Fräulein von Fontaine von einer Art Neid ergriffen wurde und sie eine »Sirene« nannte. Während Emilie geplant hatte, Klara zum Reden zu bringen, forschte Klara Emilie aus; sie wollte sich ein Urteil bilden, und sie wurde von der andern ins Verhör genommen; sie ärgerte
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