Eine Studie in Scharlachrot. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Eine Studie in Scharlachrot - Arthur Conan Doyle страница 4

Название: Eine Studie in Scharlachrot

Автор: Arthur Conan Doyle

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955012298

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СКАЧАТЬ mögen, irgendeinem Narkotikum zu frönen, hätte nicht die Mäßigung und Reinlichkeit seiner ganzen Lebensführung eine derartige Annahme verboten.

      So verstrichen die Wochen, und mein Interesse an ihm wie auch meine Neugier bezüglich seiner Lebensziele vertieften und mehrten sich allmählich. Seine Gestalt und Erscheinung allein genügten, die Aufmerksamkeit des oberflächlichsten Beobachters zu erregen. Er war mehr als sechs Fuß groß und so ungeheuer hager, daß er noch weit größer wirkte. Seine Augen waren scharf und durchdringend, außer in jenen Zwischenzeiten der Lähmung, die ich erwähnt habe, und seine schmale, falkenhafte Nase verlieh ihm insgesamt den Ausdruck der Wachsamkeit und Entschlossenheit. Auch sein Kinn hatte jene Prominenz und Wucht, die den entscheidungsfreudigen Mann kennzeichnen. Unweigerlich waren seine Hände mit Tinte beschmiert und von Chemikalien befleckt, und doch besaß er ein außerordentliches Fingerspitzengefühl, wie zu beobachten ich oftmals die Gelegenheit hatte, wenn ich ihn die zerbrechlichen Instrumente seiner Welterforschung handhaben sah.

      Der Leser mag mich als hoffnungslose Schnüffelnase abschreiben, wenn ich bekenne, wie sehr dieser Mann meine Neugier weckte und wie oft ich die Zurückhaltung zu durchdringen mich mühte, die er in allem an den Tag legte, was ihn betraf. Ehe man den Stab über mich bricht, bedenke man jedoch, wie ziellos mein Leben war und wie wenig es gab, das meine Aufmerksamkeit zu fesseln vermocht hätte. Meine Gesundheit erlaubte es mir nicht, das Haus zu verlassen, außer bei ungewöhnlich mildem Wetter, und ich hatte keine Freunde, die mir Besuche abstatten und die Eintönigkeit meines Alltags hätten unterbrechen können. Unter diesen Umständen begrüßte ich eifrig das kleine Mysterium, das meinen Gefährten umgab, und verwandte ein gut Teil meiner Zeit auf den Versuch, es zu erhellen.

      Medizin studierte er nicht. Was das betraf, so hatte er auf unsere Frage hin Stamfords Ansichten bestätigt. Ebenso wenig schien er Vorlesungen belegt zu haben, die ihn befähigt hätten, einen wissenschaftlichen Grad oder irgendeinen anderen anerkannten Einlaß in die Welt der Gelahrten zu erwerben. Seine Hingabe an bestimmte Studien war jedoch bemerkenswert, und innerhalb exzentrischer Grenzen waren seine Kenntnisse so ungewöhnlich weitreichend und genau, daß seine Bemerkungen mich durchaus erstaunten. Sicherlich konnte niemand so hart arbeiten oder so genaue Kenntnisse erlangen, ohne ein bestimmtes Ziel anzustreben. Oberflächliche Leser sind selten ob der Genauigkeit ihres Wissens bemerkenswert. Kein Mensch belastet seinen Geist mit Kleinkram, ohne dafür einen sehr guten Grund zu haben.

      Seine Unwissenheit war ebenso bemerkenswert wie seine Kenntnisse. Über zeitgenössische Literatur, Philosophie und Politik schien er so gut wie gar nichts zu wissen. Als ich Thomas Carlyle9 zitierte, erkundigte er sich überaus naiv, wer dieser sei und was er geleistet habe. Meine Überraschung erreichte jedoch einen Höhepunkt, als ich zufällig herausfand, daß ihm die Theorie des Kopernikus und der Aufbau des Sonnensystems unbekannt waren. Daß ein gebildeter Mensch in diesem unseren neunzehnten Jahrhundert in Unkenntnis der Bewegung der Erde um die Sonne verharrte, erschien mir als solch außerordentliche Tatsache, daß ich es kaum zu begreifen vermochte.

      »Sie scheinen sehr erstaunt zu sein«, sagte er; er lächelte über meinen verblüfften Gesichtsausdruck. »Jetzt, da ich es weiß, werde ich mich nach Kräften mühen, es zu vergessen.«

      »Es zu vergessen!«

      »Sehen Sie«, erläuterte er, »ich bin der Meinung, daß das Hirn eines Menschen ursprünglich wie eine kleine leere Dachkammer ist, die man mit dem Mobiliar versehen muß, das einem genehm ist. Ein Narr nimmt allen Plunder auf, über den er stolpert, so daß das Wissen, das ihm nützen könnte, von der übrigen Menge verdrängt oder bestenfalls von all den anderen Dingen verstellt wird, so daß er es schwerlich erfassen kann. Der geschickte Arbeiter dagegen wird sehr sorgsam mit jenen Dingen umgehen, die er in seine Hirnmansarde holt. Er nimmt nur jene Werkzeuge auf, die ihm bei seiner Arbeit helfen können, aber von diesen hat er ein großes Sortiment, und alle sind geordnet und in bestem Zustand. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, dieser kleine Raum habe elastische Wände und sei beliebig dehnbar. Verlassen Sie sich darauf: Es kommt eine Zeit, da Sie für jede neue Kenntnis etwas vergessen, das Sie vordem gewußt haben. Es ist daher von größter Wichtigkeit, daß nicht nutzlose Fakten die nützlichen verdrängen.«

      »Aber das Sonnensystem!« protestierte ich.

      »Was zum Teufel soll ich damit?« unterbrach er mich ungeduldig. »Sie sagen, wir kreisen um die Sonne. Und wenn wir um den Mond kreisten – für mich oder meine Arbeit würde das nicht den geringsten Unterschied machen.«

      Ich hätte ihn beinahe gefragt, was denn diese Arbeit sei, aber etwas in seiner Haltung zeigte mir, daß die Frage unwillkommen wäre. Ich machte mir jedoch Gedanken über unsere kurze Unterhaltung und suchte Schlüsse aus ihr zu ziehen. Er sagte, er wolle kein Wissen erwerben, das nicht zum Erreichen seiner Ziele beitrüge. Daher mußte alles Wissen, das er besaß, so beschaffen sein, daß es ihm nützte. Ich zählte im Geiste all die verschiedenen Punkte auf, über die er mir seine außerordentlich guten Kenntnisse demonstriert hatte. Ich nahm sogar einen Bleistift und schrieb sie nieder. Ich konnte nicht umhin, das Dokument zu belächeln, als ich es fertiggestellt hatte. Es lautete folgendermaßen:

      Sherlock Holmes – seine Grenzen

      1. Kenntnisse in Literatur: Null

      2. Kenntnisse in Philosophie: Null

      3. Kenntnisse in Astronomie: Null

      4. Kenntnisse in Politik: Schwach

      5. Kenntnisse in Botanik: Unterschiedlich. Gut in Belladonna, Opium und generell Gift. Er weiß nichts über praktische Gärtnerei.

      6. Kenntnisse in Geologie: Verwendbar, aber begrenzt. Er kann mit einem Blick verschiedene Böden unterscheiden. Nach Spaziergängen hat er mir Spritzer auf seiner Hose gezeigt und mir anhand ihrer Farbe und Zusammensetzung gesagt, in welcher Gegend von London sie ihm zuteil wurden.

      7. Kenntnisse in Chemie: Umfassend.

      8. Kenntnisse in Anatomie: Genau, aber unsystematisch.

      9. Kenntnisse in Sensationsliteratur: Ungeheuer. Er scheint jede Einzelheit jeder in diesem Jahrhundert begangenen Schreckenstat zu kennen.

      10. Er spielt gut Geige.

      11. Er ist ein geübter Stock- und Degenfechter sowie Boxer.

      12. Er kennt sich gut in den britischen Gesetzen aus.

      Als ich mit meiner Liste so weit gediehen war, warf ich sie voller Verzweiflung ins Feuer. ›Wenn ich das, worauf der Bursche abzielt, nur herausfinden kann, indem ich all diese Fertigkeiten unter einen Hut bringe und einen Beruf entdecke, für den sie samt und sonders nötig sind‹, sagte ich mir, ›dann kann ich den Versuch gleich aufgeben.‹

      Ich stelle fest, daß ich oben auf seine Violinkünste angespielt habe. Sie waren äußerst bemerkenswert, aber genauso exzentrisch wie all seine sonstigen Fertigkeiten. Ich wußte sehr wohl, daß er Stücke, auch schwierige, spielen konnte, hatte er mir doch auf meine Bitte hin einige Lieder von Mendelssohn und andere meiner Lieblingsstücke vorgespielt. War er jedoch allein, so machte er selten Musik und suchte keine erkennbaren Melodien zu spielen. Er pflegte sich dann abends in seinem Sessel zurückzulehnen, die Augen zu schließen und unachtsam auf der Fiedel herumzukratzen, die auf seinen Knien lag. Manchmal waren die Akkorde klangvoll und schwermütig. Gelegentlich waren sie phantastisch und fröhlich. Offenbar spiegelten sie die Gedanken wider, die von ihm Besitz ergriffen hatten; ob aber die Musik diese Gedanken förderte, oder ob das Spielen nichts war als das Ergebnis einer Schrulle oder Träumerei, dies zu bestimmen überstieg meine Fähigkeiten. Ich hätte mich wider diese nervzermürbenden Soli aufgelehnt, wenn er nicht an deren Ende jeweils in schneller Folge eine ganze Reihe meiner Lieblingsmelodien gespielt hätte, als kleine СКАЧАТЬ