Gorbatschow. Ignaz Lozo
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Название: Gorbatschow

Автор: Ignaz Lozo

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783806242119

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СКАЧАТЬ geflohen war, hatte der Besuch der deutschen Regierungsspitze aber einen hohen Symbolwert, der die uneingeschränkte Versöhnungsbereitschaft der sowjetischen Führung unterstreichen sollte. Am Ehrenmal für die Kriegstoten hielten Gorbatschow und Kohl inne – umringt von Hunderten Bürgern, darunter viele Veteranen.

      Hans Klein, mitgereister Sprecher der Bundesregierung und Bundesminister für besondere Aufgaben, notierte dazu: „Ein Sprecher der Veteranen, die zu dieser Kranzniederlegung gekommen sind, appelliert an Kohl und Gorbatschow, alles zu tun, damit Deutsche und Russen Partner würden und nie wieder Leid übereinander brächten. Jetzt ist dem Kanzler die Rührung anzumerken. Die alten Kriegsteilnehmer sind ohne Jacke, im kurzärmeligen Hemd, aber mit Orden und Auszeichnungen auf der Brust erschienen.“8 Dann erklimmen Gorbatschow, sein Außenmister Eduard Schewardnadse und andere Mitglieder der sowjetischen Führung gemeinsam mit Kohl, Genscher und Waigel die Tribüne des wuchtigen Lenin-Denkmals mitten auf dem zentralen Platz von Stawropol, um von dort der Menge zu huldigen wie sonst die Parteiführung anlässlich der Paraden zum 1. Mai oder zum Jahrestag der Oktoberrevolution. Der Journalisten-Tross folgte ihnen auf Schritt und Tritt, aber inhaltlich gab es noch sehr wenig zu berichten.

      Lenin, immer wieder Lenin. Sein Porträt hing auch noch in Gorbatschows altem Büro, das er den Deutschen im Haus der Sowjets von Stawropol zeigte. „Hier hat alles angefangen“,9 erläuterte damals der Kreml-Chef. Um anschließend in Gorbatschows Heimatdorf Priwolnoje und zu den Orten seiner Kindheit und Jugend zu gelangen, hätten die Delegationen jetzt gut 160 Kilometer nördlich reisen müssen. Sie flogen aber mit mehreren Hubschraubern in die entgegengesetzte Richtung, nach Archys, rund 300 Kilometer südlich von Stawropol.

      Auf dem Weg dorthin legten sie einen kurzen Zwischenstopp auf dem Acker einer Kolchose im Dorf Iwanowskoje ein, wo die beiden Staatsmänner mit den Dorfbewohnern in Kontakt kamen, einen Mähdrescher bestiegen und ein Stück gemeinsam fuhren. Der westdeutsche Botschafter in Moskau, Klaus Blech, hielt alles mit seiner V-8-Videokamera fest und kam somit in Besitz eines einzigartigen Filmdokuments, waren die Möglichkeiten der Medienvertreter während dieser historischen Kaukasus-Reise doch äußerst eingeschränkt. Botschafter Blech erinnerte sich: „Der Flug nach Archys – ob das große Historie würde, wussten wir nicht, aber dass es spannend werden würde, das war klar.“10 Noch vor der Dämmerung an jenem Sonntag, dem 15. Juli 1990, landeten Gorbatschow, Kohl und die Delegationen schließlich auf dem Hubschrauberplatz vor der Staatsdatscha.

      Kurz nachdem sie ihre Zimmer bezogen hatten, ließ Gorbatschow anfragen, ob Kohl vor dem Abendessen noch an die frische Luft gehen wolle, was dieser zusagte. Die beiden Staatsmänner wechselten in legere Kleidung: Kohl trug nun eine dunkelblaue Strickjacke, Gorbatschow einen dunkelblauen Pullover. In Begleitung ihrer Minister, Gorbatschows Ehefrau Raissa und einer Handvoll sowjetischer und deutscher Journalisten, welche KGB-Sicherheitsleute erst nicht in die Nähe der Delegationen hatten durchlassen wollen, brachen sie auf – anders als später kolportiert jedoch nicht zu einer Wanderung mit Rast,11 sondern lediglich zum hinter dem Haus gelegenen Fluss Bolschoi Selentschuk und zu jener unweit am Ufer gelegenen Sitzgruppe aus Baumstümpfen. Als Gorbatschow recht wagemutig die steile und ungesicherte Böschung zum reißenden Fluss hinunterstieg, eilte sein persönlicher Leibwächter Wladimir Medwedew hinterher. Kohl, dem Gorbatschow bedeutete, er möge ihm folgen, schlug die helfende Hand des Leibwächters beim Hinunterklettern aus, und auch die ausgestreckte Hand Gorbatschows war an dieser Stelle nicht nötig.

      Zurück auf sicherem Boden nahmen sie Platz an der Sitzgruppe und dem Tisch aus Baumstümpfen, wohin der Gastgeber auch Genscher bat. Diese Bilder einer vertrauensvollen Zusammenkunft gingen um die Welt, vor allem auch in die ganze Sowjetunion; seinen Bürgern wollte Gorbatschow zeigen, dass das Verhältnis zu den Deutschen ein fundamental neues war, das nichts mehr mit der dunklen Vergangenheit zu tun hatte. An Letztere erinnerte Gorbatschow den Bundeskanzler nichtsdestotrotz bei den offiziellen Gesprächen dieser Reise: „Wir können unsere Vergangenheit nicht vergessen. Jede unserer Familien wurde seinerzeit vom Unheil heimgesucht. Es gilt aber heute, sich Europa zuzuwenden und den Weg der Zusammenarbeit mit der großen deutschen Nation einzuschlagen.“12 Natürlich hing der Schatten dieser Vergangenheit auch über den Verhandlungen in Archys, denn der „Große Vaterländische Krieg“, wie er in der Sowjetunion genannt wird, lag gerade einmal 45 Jahre zurück.

      Die hölzerne Sitzgruppe wurde Jahre später abgebaut, nach Deutschland abtransportiert und ersetzt durch eine Nachbildung. Das Original dient als Exponat im Bonner Haus der Geschichte. Auch Gorbatschows Pullover und Kohls Strickjacke sind dort ausgestellt, ebenso wie ein sowjetischer Panzer des Typs T-34, mit dem noch am 17. Juni 1953 der Aufstand der DDR-Bürger gegen das SED-Regime blutig niedergeschlagen worden war.

      Als die Film- und Fotoaufnahmen vom trauten Beisammensein am schlichten Holztisch gemacht waren, lud Gorbatschow die Deutschen zum Abendessen in die Staatsdatscha ein. Hauswirtin Valentina Schaposchnikowa hätte die Bewirtung allein nicht geschafft. Fünf Köche aus Moskau waren daher eingeflogen worden, um in der auch heute noch erstaunlich einfach eingerichteten Küche ans Werk zu gehen. Hinter dem Speisesaal und einer düsteren Kammer gelegen, unterscheidet sie sich wohl kaum von anderen Küchen in den umliegenden Bergen.

      Während des Abendessens der beiden Delegationen waren keine Verhandlungen vorgesehen. Gorbatschow erzählte die eine oder andere Anekdote und vergaß nicht, Helmut Kohl anerkennend zum Fußballweltmeistertitel zu gratulieren. Am Sonntag zuvor, dem 8. Juli, war die DFB-Elf mit ihrem Teamchef Franz Beckenbauer und Kapitän Lothar Matthäus in Rom gegen Argentinien als Final-Sieger vom Platz gegangen. Der Bundeskanzler war live dabei gewesen.

      Mit armenischem Cognac in der Hand hob Gorbatschow zu einem Trinkspruch an: ein Hoch auf Deutschland, das in jenen Tagen nicht nur politisch, sondern auch sportlich im Fokus der Weltöffentlichkeit stand. Dass Fußball etwas Völkerverbindendes hat, mag eine Binsenweisheit sein, hier in Archys diente er tatsächlich der Auflockerung und Entspannung. Kohl notierte in seinen Memoiren, Gorbatschow habe seinen Schilderungen über den Verlauf des Endspiels interessiert gelauscht und Zwischenfragen gestellt.

      Zudem erzählte Gorbatschow von seiner Kindheit während des stalinschen Terrors in den 1930er-Jahren und von der deutschen Besatzung seines Dorfes Priwolnoje. Jener Mann, der in der Bundesrepublik das „Gorbi-Fieber“ auslöste, lenkte das Tischgespräch auch auf den Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), der zwei Tage zuvor zu Ende gegangen war und noch mal offenbart hatte, dass die Sowjetunion inzwischen nicht nur ein tief zerrissenes Land war, sondern auseinanderzufallen drohte. Einen Ausweg aus der Krise sah Gorbatschow, wie er auch den kommunistischen Delegierten beim Parteitag vorgetragen hatte, im „Übergang zur Marktwirtschaft“ – eine mit der Ideologie der Kommunistischen Partei nicht zu vereinbarende Position, die dem jahrzehntelangen Wettern gegen den westlichen Klassenfeind diametral entgegenstand. Verkehrte Welt, meinten die einen, Pragmatismus, meinten die anderen.

      In Archys trafen sich Gorbatschow und Kohl nach dem Abendessen gegen 23 Uhr separat zu einem kurzen Gespräch, um die Verhandlungen des folgenden Tages vorzubereiten. Die uneingeschränkte NATO-Zugehörigkeit Gesamtdeutschlands, der Gorbatschow am Vormittag in Moskau noch zugestimmt hatte, war laut Kohl zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht final gebilligt. Als Kohl nun in Archys erneut darauf zurückkam, habe Gorbatschow jedoch nur geschwiegen.13

      Versuchte Gorbatschow den Preis hochzutreiben? War er sich seiner Position doch nicht sicher? Oder wurde er von Kohl missverstanden? Letzterer rief nach dem Gespräch mit Gorbatschow seine Leute zusammen, um die Verhandlungspunkte durchzugehen. Es sollte dabei auch um die Abzugsmodalitäten für das sowjetische Militär aus der DDR gehen – und somit nicht zuletzt um Geld. Am Ende eines sehr langen Tages zog sich der Bundeskanzler auf sein Zimmer zurück. Seine Anspannung und seine Gedanken am Vorabend der historischen Wegmarke beschrieb Kohl wie folgt: „Es war schon nach Mitternacht, als ich auf den Balkon der Datscha trat, über mir ein wunderschöner Sternenhimmel und vor mir die dunkle Silhouette des Kaukasus. Vieles ging mir durch den Kopf, vor allem fragte ich mich, was der morgige Tag wohl bringen würde. СКАЧАТЬ