Название: Gehen, um zu bleiben
Автор: Klaus Muller
Издательство: Автор
Жанр: Биографии и Мемуары
isbn: 9783954623822
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Wieder in Dresden, besuchten wir beide das Albertinum, wo damals gerade die Kunstausstellung der DDR mit einigen durchaus bedeutenden Werken stattfand. Ich erinnere mich noch eines beeindruckenden Ganzkörperporträts eines jungen Kohlenträgers, der den gesamten Oberkörper voller Knasttätowierungen hatte und der, unter seinem Kohlensack, selbstbewusst aus dem Bild blickte. In diesem Repräsentationsbau waren aber auch die „Neuen Meister“ (Gemälde des 19. und frühen 20. Jahrhunderts) der Dresdener Gemäldegalerie untergebracht, besonders die Romantiker der Dresdener Schule, die mich bereits als Kind tief beeindruckt hatten, als sie noch im Schloss Pillnitz ausgestellt waren.
Romantiker heißt ja „Romfahrer“ – genau das, was ich auch werden wollte. Einer ihrer wichtigsten Vertreter, Ludwig Richter, ist hier mit seinem Monumentalgemälde „Überfahrt am Schreckenstein“ vertreten. Eine Gruppe, drei Generationen und ein Wandergeselle, überqueren in einem Fährkahn die Elbe bei Aussig, über ihnen im Hintergrund ist die Burg Schreckenstein zu sehen, wie ich sie nun auch oft schon vom Zugfester aus gesehen hatte, auf dem Weg nach Prag. Ich war aber noch nie oben auf der Burg. Nun wollte ich das nachholen und schlug Penelope vor, mit mir diesen Kurztrip zu machen, sie hatte ja noch einige Tage Urlaub. Penelope wies diesen meinen Vorschlag aber mit Nachdruck zurück, sie wollte auf keinen Fall noch einmal mit dem DDR-Grenzsystem zu tun haben, auch wenn es nur in die sozialistische ČSSR ging.
Wir kamen überein, dass Penelope mit dem Škoda zurück nach Rostock fahren sollte und ich meinen Schreckenstein-Trip allein durchführen würde, um dann einige Tage später mit der Eisenbahn nach Hause zu kommen.
Als sich Penelope mit dem neuen Auto in Richtung Norden entfernt hatte, beging ich einen zweiten Denkfehler in diesem Herbsturlaub. Schon die eigene Romreise und deren Finanzierung im Hinterkopf, hatte ich in den nächsten Tagen mein sicheres Valutadepot aus seinem unterirdischen Platz geholt, um es dann mit nach Rostock zu bringen. Glücklicherweise ließ ich die Valutasumme, immerhin 4.000 DM in eingewachsten 100-DM-Scheinen, in meiner Reisetasche in der Dresdener Wohnung stehen, als ich mich, mit Reisegeld und Zahnbürste in der Jackentasche, auf den Weg zum Hauptbahnhof machte, um nach Aussig zu fahren.
Die große Gefahr
Für mich war eine Zugfahrt durch den Dresdener Elbkessel und durch das obere Elbtal immer eine große Freude, wobei ich mir natürlich einen Sitzplatz auf der linken Zugseite suchte, um das Panorama des Dresdener Umlandes besser genießen zu können. So auch bei diesigem Herbstwetter wie an jenem 1. November 1982, als ich am späten Vormittag nach Aussig fahren wollte.
Hinter Pirna war ich in meinem Personenzugwaggon der Deutschen Reichsbahn völlig allein, kein Mensch teilte meine Freude an der herbstlichen Sächsischen Schweiz. Vielleicht hatten die Leute auch noch nicht aus den Betten gefunden, denn es war ein Sonntag, wie ich mich erinnere. In den Kurorten auf der anderen Elbseite, in Wehlen und Rathen, zeigte sich gegen elf Uhr ebenfalls noch keine Lebendigkeit, kein Mensch stieg an den Haltepunkten ein oder aus.
Nur in Bad Schandau stieg die Zolltruppe der DDR in Begleitung von zwei bewaffneten Grenzpolizisten zu. Gewöhnlich kontrollierten und durchleuchteten sie auf der Strecke bis Děčín die Fahrgäste. Wenn sie bis zur ersten Station in der ČSSR, Děčín, nicht fertig wurden damit, dann musste eben der Zug im Bahnhof warten, an diesem Tag ging es aber schnell, nach wenigen Minuten waren sie bei mir.
Personalausweiskontrolle und Abgleich mit einer Fahndungsliste war das Erste, dann folgte die Frage nach meinem Reisegepäck. Ich zeigte meine Zahnbürste in der Innentasche der Jacke und zuckte nur mit den Schultern, wollte ja nur einen, maximal zwei Tage in Aussig bleiben, wohin auch die Fahrkarte lautete.
Einer der Zöllner schraubte schon in meinem Zugabteil die Bilder von der Wand, um dahinter nach Conterbande zu suchen. Mein Zöllner untersuchte derweil meine Brieftasche, ließ sich das Bargeld vorzählen und verglich die Summe mit der Umtauschquittung von der Staatsbank der DDR. Hier stellte er fest, dass ich 180 Krčs (60 Mark) eingetauscht hatte, in meiner Brieftasche sich aber 300 Krčs (100 Mark) befänden.
„Bei Ihnen liegt ein Devisenvergehen vor!“, stellte er erfreut fest.
Ein Zivilist erschien und wies den zweiten Zöllner in das Nachbarabteil zum Bilderabschrauben. Ich wurde aufgefordert, den Zug zu verlassen und den Zöllnern in die Zollbaracke in Děčín zu folgen. Als ich mit den Zöllnern, den Grenzsoldaten und dem Zivilisten über den Bahnsteig zur Zollbaracke ging, fuhr mein Zug ab.
Im Verhörraum der Zollbaracke musste ich alle Einzelheiten aus meinen Hosen- und Jackentaschen auf den Tisch legen. Der Zöllner schaute sich nun jedes Teil, jeden Zettel und jedes Notizheft genau an. Das währte ca. eine halbe Stunde, keinerlei Anschuldigung wurde vorgebracht. Dann steckte der Mensch meine Gegenstände in einen Zollbeutel.
Nun wurde mir aber doch bange. Bisher hatte ich noch an eine gewöhnliche Schikane gedacht, wie sie in einem autoritäres Regime wie der DDR normal war und die Leute kaum erregte. Nun dachte ich aber, sie hätten etwas gegen mich, die Frage war nur: was? Ich hatte bisher noch nicht im Geringsten gegen ihre Gesetze verstoßen, wenn ich mal von meiner Valutadeponierung absehe, doch das hätten sie nicht an der Grenze zur ČSSR verfolgen müssen. Ich dachte nun an eine Retourkutsche für meine verbale Attacke gegen die Grenzpatrouille in Sonneberg. Vorsicht war also geboten, auf keinerlei Provokation durfte ich mit Aggressivität eingehen, denn ein Haftbefehl gegen mich hätte auch zwingend zu einer Wohnungsdurchsuchung geführt, und dann wäre auch mein Valutadepot, mit dem ich ja meine Italienreise finanzieren wollte, verloren gewesen und ich wäre als Devisenverbrecher zu einigen Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden, nach dem Einzug des gesamten Vermögens. Die Gefahr war also gewaltig, ängstigte mich mehr als das nun Folgende.
Nachdem der Zolltyp meine Utensilien in dem Beutel verstaut hatte, wurde ich in ein Nebenzimmer gebracht, wo die vergitterten Fenster nach der Stadt hin, ähnlich wie in Toilettenräumen, eingetrübt waren. Ich wurde angewiesen, mich nackt auszuziehen, was ich natürlich tat. Jedes einzelne Kleidungsstück, das ich ablegte, wurde von einem der beiden Zöllner akribisch durchsucht und abgetastet.
Als ich dann splitternackt dastand, musste ich mich bücken, und einer der uniformierten Ekeltypen schaute mir in den Anus. Dann nahm er einen groben Stielkamm und strich mir damit durch Bart und Schamhaar. Die Prozedur brachte natürlich keinerlei Erkenntnis zutage, war nur als Demütigung gedacht. Als ich mich wieder ankleiden durfte, kam ein bewaffneter Grenzsoldat in den Raum, den die beiden Zöllner verließen, sie gingen einfach weg. Noch immer gab es keinerlei Anschuldigung gegen mich, es gab auch niemanden, den ich hätte fragen können, der Grenzsoldat war dafür gewiss nicht kompetent.
Es waren ungefähr zwei Stunden in jedem traurigen Raum vergangen, als die beiden Zöllner wieder den Raum betraten und mich aufforderten, ihnen zu folgen. Wir stiegen nun zu dritt in den Zug Richtung Bad Schandau, wo wir in einem Dienstabteil Platz nahmen.
Meine Frage, was man mir vorwerfe und wo man mit mir nun hinwolle, beantwortete einer der beiden: „Das erfahren Sie in der Dienststelle der zuständigen Organe in Bad Schandau!“
Inzwischen fertigten die Zöllner das Konfiszierungsprotokoll meiner tschechischen Zahlungsmittel aus. Am Bahnhofsvorplatz in Bad Schandau stand schon einer jener „Lieferwagen“ bereit, mit denen die Sicherheitsorgane der DDR ihre Kunden transportierten. Nach wenigen Minuten Fahrt in dem verdeckten, fensterlosen Gefährt erreichten wir ein Gebäude auf der rechten Elbseite, das ich zwar schon kannte, dessen Schild „Dienststelle des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR“ mir bisher СКАЧАТЬ