Название: Deutsche Geschichten
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Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783954623525
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Aber ebenso wie Deutschland mit vollem Rechte sich dagegen auflehnt, daß seine friedliche Arbeit von der Entente nicht mit friedlichen, sondern mit kriegerischen Mitteln bekämpft wurde, so kann und muß Deutschland auch (wie es in Publikationen schon versucht wird) gegen den amerikanischen Rechtsbruch bei dem Abschluß des Weltkrieges immer wieder protestieren. Ich persönlich bin nicht der Auffassung, daß das amerikanische Volk sich dazu hergegeben hätte; besonders die amerikanische Frauenwelt hätte das Verleugnen der 14 Punkte des Präsidenten Wilson nicht mitgemacht, wenn sie damals hätte aufgeklärt werden können. Amerika stand mehr als andere Länder unter dem falschen Eindruck der englischen Propaganda und hat deshalb den mit unerhörten Vollmachten ausgestatteten Präsidenten Wilson in Paris selbstherrlich handeln, d. h. seine 14 Punkte sich abhandeln lassen. Ebenso wie Herr Wilson die englische Blockade, gegen die er vorher protestiert hatte, nachher nicht mehr erwähnte, hat er es auch mit seinen 14 Punkten getan.
Die deutsche Regierung hatte die 14 Punkte Wilsons akzeptiert, obwohl sie schwer genug waren. Die Alliierten hatten die 14 Punkte ebenfalls angenommen, mit Ausnahme der Freiheit der Meere. Wilson hatte die 14 Punkte garantiert. Ich finde die wichtigsten von ihnen nicht im Versailler Instrument, sondern nur diejenigen, die dem Machtwillen der Entente entsprachen, und auch diese zum Teil noch stark verfälscht. Auf die Garantie Wilsons hin hat Deutschland die von ihm besetzten feindlichen Gebiete geräumt und seine Waffen abgegeben, sich also wehrlos gemacht. In dieser Vertrauensseligkeit und dem Fallenlassen der 14 Punkte durch Wilson auf der einen Seite und in dem Ausbruch der deutschen Revolution auf der andern liegt der Schlüssel zu unserer jetzigen Lage. Nach Turner sind die 14 Punkte schon bei Aufstellung der Waffenstillstandsbedingungen für Wilson nur noch ein Mittel gewesen, um Deutschland zur Waffenstreckung zu bringen. Sobald dieses Ziel erreicht war, habe er sie fallen lassen.
Ein sehr großer Teil des amerikanischen Volkes hat sich bereits gegen Herrn Wilson gestellt und wünscht nicht gleichzeitig mit ihm diskreditiert zu sein. Ich träume nicht etwa von einer spontanen Hilfe Amerikas für Deutschland, ich rechne nur mit der nüchternen Erkenntnis des amerikanischen Volkes, daß es die Riesenschuld seines damaligen Präsidenten an Deutschland wieder gutzumachen hat. Denn die Atmosphäre eines Sieges währt nicht ewig, und später wird man sich nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo in großen politischen Fragen an die Unzuverlässigkeit des amerikanischen Präsidenten erinnern und sie als amerikanische Unzuverlässigkeit in Rechnung stellen. Das liegt aber nicht im Interesse des amerikanischen Volkes. Die Belastung einer Staatspolitik mit dem Makel der Unzuverlässigkeit ist nicht vorteilhaft. Bei der späteren Beurteilung der amerikanischen Politik wird vergessen werden, daß der weltfremde Herr Wilson von Lloyd George und Clemenceau eingefangen worden ist. Ich habe, besonders bei den Kieler Wochen, viele Amerikaner und Amerikanerinnen kennen gelernt, deren politische Einsicht und Weitsicht eine derartig flagrante Vertrauensverletzung wie sie Herr Wilson beging, in Rücksicht auf das politische Ansehen Amerikas unmöglich billigen kann. Von diesen staatsegoistischen, nicht von irgendwie sentimentalen Rücksichten aus erhoffe ich von jenseits des Ozeans Erleichterung für unser Vaterland.
Zu diesem Unrecht der fallengelassenen 14 Punkte kommt hinzu, daß Herr Wilson als erster die Forderung des Rücktritts an das deutsche Herrscherhaus stellte, in dem er durchblicken ließ, dem deutschen Volke werde dann ein besserer Friede gewährt werden. Bevor die Regierung des Prinzen Max sich die Forderung meiner Thronentsagung zu eigen machte mit der nämlichen Begründung wie Herr Wilson, daß Deutschland in diesem Falle bessere Bedingungen erhalten würde – die Vermeidung des Bürgerkrieges kam erst als zweites Druckmittel –, wäre es ihre Pflicht gewesen, sich irgendwie reale Garantien von seiten des Herrn Wilson zu verschaffen. Jedenfalls haben die Behauptungen, die immer dringender und drängender wurden, meinen Entschluß, außer Landes zu gehen, mit zur Reife gebracht, weil ich glauben mußte, meinem Vaterlande damit einen großen Dienst zu erweisen. Ich stellte meine und meines Hauses wahrlich nicht geringen Interessen zurück und überwand mich, allerdings unter den schwersten inneren Kämpfen, dazu, dem Wunsche der maßgebenden deutschen Stellen zu entsprechen. Es hat sich herausgestellt, daß die deutsche Regierung keinerlei reale Garantien besaß. Für mich mußte bei den damals sich überstürzenden Ereignissen die eindeutige und bestimmte Meldung des Reichskanzlers maßgebend sein. Deshalb habe ich auf eine Nachprüfung verzichtet.
Jetzt ist es klar, weshalb die Entente durch Herrn Wilson meinen Rücktritt forderte. Sie war sich vollkommen klar darüber, daß mit meiner Depossedierung militärische und politische Haltlosigkeit in Deutschland eintreten mußte, die es ermöglichte, nicht bessere, sondern härtere Bedingungen bei Deutschland durchzudrücken. Die Revolution war damals noch nicht als Helferin der Entente aufgetreten. Mein Verbleiben auf dem Throne würde also schon nach Ansicht der Entente für Deutschland vorteilhafter gewesen sein, als meine Thronentsagung. Ich selbst stimme dieser Auffassung der Entente zu, nachdem sich herausgestellt hat, daß die Regierung Max von Baden keinerlei substanziierte Unterlagen für ihre Behauptung hatte, meine Abdankung würde meinem Vaterlande vorteilhaftere Bedingungen bringen. Ich gehe noch weiter und sage, daß die Entente es überhaupt nicht gewagt hätte, einem intakten Deutschen Kaiserreiche derartige Bedingungen anzubieten. Einem Kaiserreiche gegenüber, dem nicht gerade im Endkampf um seine Existenz mit Hilfe deutscher Utopisten das parlamentarische System aufgezwungen gewesen wäre, dessen Monarchie nicht die Kommandogewalt über Heer und Flotte entwunden gewesen wäre, hätte man das nicht gewagt. Also auch in der Forderung meiner Abdankung seitens des Herrn Wilson unter Vorspiegelung besserer Bedingungen für Deutschland liegt eine schwere Schuld des amerikanischen Expräsidenten. Jedenfalls bietet sich auch hierin ein Ansatzpunkt für den gewaltigen Hebel, der den Vertrag von Versailles aus seinen Siegeln und Verschlüssen herausheben muß. In Deutschland sollte man aber niemals Herrn Wilson mit dem amerikanischen Volke verwechseln.
QUELLE: Kaiser Wilhelm II.: Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878 – 1918, Verlag K. F. Koehler, Leipzig/Berlin 1922, S. 261 – 274.
EDUARD VON KEYSERLING (1855 – 1918)
Eduard Graf von Keyserling wird am 14. Mai 1855 auf Schloss Paddern in Kurland (heute: Tasu-Padures/Lettland) als Sohn von Eduard Graf Keyserling und seiner Frau Theophile geb. von Rummel als zehntes von zwölf Kindern geboren. Nach Studien in Dorpat (heute Tartu) und Wien verwaltet er bis zum Tode seiner Mutter die heimatlichen Güter. 1895 zieht er mit drei Schwestern nach Wien. Zwei Jahre später erkrankt er an einem schweren Rückenmarksleiden und erblindet als Folge einer Syphilisinfektion.
1887 erscheint seine erste Erzählung »Fräulein Rosa Herz«. Die meisten seiner Erzählungen und Romane diktiert er – inzwischen erblindet – seinen Schwestern, mit denen er von 1900 bis zu seinem Tod 1918 eine Wohnung in München-Schwabing bewohnt, so etwa »Wellen« (1911) und »Abendliche Häuser« (1914). Hinzukommen Aufsätze zu allgemeinen kulturellen Fragen wie der Artikel vom 17. Oktober 1914 »Über die Vaterlandsliebe«. Mit seinem Œuvre gehört er zu den bedeutendsten Schriftstellern des Impressionismus.
Keyserling bleibt unverheiratet. Er stirbt kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges in München. Sein schriftlicher Nachlass wird auf seinen Wunsch hin nach seinem Tod vernichtet.
EDUARD VON KEYSERLING
ÜBER DIE VATERLANDSLIEBE
Die frühe Dämmerung des Septemberabends sinkt auf stillgewordene Dörfer herab, dunkel kauern die Häuser unter dem dunkeln Gezweige der alten Linden. Auf dem Dorfplatz СКАЧАТЬ