Die Frau des schönen Mannes. Mario Schneider
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Название: Die Frau des schönen Mannes

Автор: Mario Schneider

Издательство: Автор

Жанр: Современная зарубежная литература

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isbn: 9783954622825

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СКАЧАТЬ habe in einer Wasserspenderfirma gearbeitet, weißt du, die Dinger, die beim Arzt stehen, mit einem rosa und einem blauen Knopf, für normales und gekühltes Wasser. Ich war fürs Controlling der Firma zuständig. Zweihundert Angestellte. Sechzig Stunden Arbeit die Woche. Ich habe das gebraucht. Ich war immer ansprechbar. Mein Handy war die ganze Nacht an. Es kam vor, dass mein Chef vier Uhr morgens aus China angerufen hat, und ich bin rangegangen. Ich habe immer alles bis zur Erschöpfung gemacht. Eines Abends kam ich nach Hause. Mein Freund, wir waren schon getrennt, hat mir die Füße massiert, wir verstehen uns immer noch sehr gut. Er massierte mir die Füße, und ich merkte, wie mir der linke einschläft. Es war unangenehm. Ich sagte ihm, er solle doch links mal etwas mehr machen. Ich spürte nichts. ›Weiter oben und kräftiger‹, sagte ich. Er schaute mich komisch an. Ich sagte, dass er kräftiger zudrücken soll, denn ich hab’ gar nichts gespürt. Er drückte voll zu. Wir hatten gerade gegessen, und die Teller standen noch rum. ›Nimm die Gabel da!‹, sagte ich zu ihm. Er wollte erst nicht. Dann nahm er sie und stach leicht in meinen Oberschenkel. Ich spürte nichts. Es war beängstigend. Ich hab’ die Gabel genommen und so lange gedrückt, bis es zu bluten anfing. Er schaute mich an. So hatte ich ihn noch nie gesehen. So ängstlich. Ich fragte, was los ist. Er sagte nur, dass mit meinem Gesicht etwas nicht stimmt. Ich bin sofort ins Bad und schaute in den Spiegel. Meine linke Gesichtshälfte hing nach unten, wie geschmolzen, wie geschmolzenes Wachs. Es war so eine Art Schlaganfall. Es hat vier Wochen gedauert, bis ich meinen Mundwinkel wieder bewegen konnte. Mit der Arbeit war es erstmal vorbei. Ich dachte, es geht nie wieder weg. Jetzt ist es einigermaßen okay. Bis auf das hier.« Sie deutete auf ihr linkes Auge, das sich nicht bewegte und mich stumm anschaute.

      Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit so einer Geschichte. Aber es sind wohl immer solche Geschichten. Dann sagte ich so etwas wie »Krass« oder »Das ist schlimm.« Was soll man da sagen.

      »Du bist der Erste, dem ich das erzähle«, sagte sie, und ich dachte: ›Das muss sie jetzt sagen. Wie gemein das ist, dass ich so etwas denke, wie gemein und niederträchtig, so etwas zu denken.‹ Vielleicht war ich ja wirklich der Erste.

      Sie wusste nichts über mich, und ich kannte diese Geschichte. Ich fragte sie, warum sie es nicht ihren Eltern erzählt hat; und dies war die zweite Frage, die sie an diesem Abend nicht beantwortete. Sie blickte mir nur fest in die Augen.

      Ich ruderte sie schweigend über den See, in seichteres Gewässer, zu einer Insel, auf der man durchatmen kann, auf der man sich aufrecht hinsetzt und durchatmet. Sie holte tief Luft, und ich liebte sie dafür. Ich glaube jetzt, dass sie damals wirklich frei atmen konnte.

      Sie blieb drei Stunden bei mir und bat mich, mir ihre Nummer geben zu dürfen. Ich wunderte mich nicht und klappte mein Handy auf. Sie diktierte. »Null, eins, sieben, eins, fünf, fünf, drei, sieben, zwei, fünf. Hast du’s?« Ich tippte auf ›Nummer speichern‹. »Ja, ich hab’s.« Das Handy forderte mich auf, den Namen einzutippen. Ich schaute sie an, und was ich jetzt tat, war schlimm. Ich sagte es langsam und laut, während ich es eintippte: »Lena.«

      Sie reagierte sofort und lächelte noch: »Nein, nein, Lea.«

      Es schmerzte mich. Erst jetzt fiel ihr auf, was ich getan hatte. Sie wurde wütend. »Wolltest du mich gerade testen? War das ein Test, ja? Du wusstest genau, dass ich Lea heiße. Du wolltest wissen, ob ich das erfunden habe, oder?« Ich schaute ihr in die Augen, die leicht schielten, schwarz und tief waren und in die sich eine Trauer mischte.

      »Entschuldige«, sagte ich und dachte: ›Ich wollte dir nicht wehtun, aber ich kann das alles nicht glauben.‹ Doch ich sagte es ihr nicht.

      Zum Abschied standen wir in der Tür zum Flur und küssten uns. Ein Kuss, in dem man noch den Schmerz schmeckt. Es war, als würden wir uns sicher wiedersehen.

      Ich habe sie nie angerufen. Ich hatte Angst vor der Wahrheit, vor der einen wie vor der anderen.

      GESPRÄCHE MIT OBEN – OLGA

      Es war an einem heißen Sommertag, als Olga, über den Patienten Baranow gebeugt, das Ende der Bauchsonde mit dem Schlauch zum Tropf verbinden wollte. Da sprang die Tür des Krankenzimmers auf, und Andrej, ein junger Pfleger, stürmte herein. Olga drehte sich erschrocken um, noch den Katheter in ihrer Hand.

      »Er ist dran! Er ist dran!« Andrej schnappte nach Luft, denn er war die fünf Treppen aus der Verwaltung, immer vier Stufen auf einmal nehmend, heruntergesprungen, und nun konnte er nur noch in kleinen Stückchen sprechen.

      »Oben! Am Telefon! Schnell!«

      Olga wusste nicht gleich, worum es ging, doch dann begriff sie.

      Sie drehte sich noch einmal zu dem Patienten um, dann wieder zu Andrej gewandt sagte sie: »Mach du das hier!« Er war schnell bei ihr und übernahm den Schlauch. Dann rannte sie los, und ohne zurückzuschauen rief sie: »Danke!«

      Andrej schrie ihr noch hinterher: »Und grüß ihn von mir! Grüß ihn!«

      Der Patient Baranow hatte seine Augen geschlossen und hörte dies alles nur durch den dichten Schleier aus Schmerzmitteln und dumpfer Erschöpfung.

      Olga musste nun diese fünf Treppen hinauf. Auf dem Gang kam ihr die Oberschwester entgegen und blieb überrascht mitten im Weg stehen. Olga lief auf sie zu und mit den Worten »Entschuldigen Sie, aber er ist dran!« knapp an ihr vorbei.

      Sie hörte noch, wie ihr die Schwester nachrief, dass sie ihn grüßen solle, dass sie ihm alles Gute wünschen solle, alles Gute.

      Als sie außer Atem oben in der Verwaltung ankam, wartete ihre Freundin Irina Andrejewna schon ungeduldig auf sie, streckte ihr den Hörer entgegen, und als Olga ihn vorsichtig an ihr Ohr hielt, war die Raumstation bereits über Europa hinweggeflogen, hatte, während Olga vom dritten in den vierten Stock gelaufen war, fünfhundert Kilometer zurückgelegt und war nun mit ihrem Mann an Bord im Erdschatten über der Mongolei verschwunden.

      Olga setzte sich enttäuscht, noch außer Atem, an den kleinen Tisch im Raucherraum neben der Personalabteilung. Einige Minuten saß sie da und konnte an nichts denken, nur fluchen konnte sie. Sie zündete sich eine von ihren dünnen weißen Zigaretten an. Das Zimmer war schäbig. An der Wand hing ein einziges verblasstes Bild von der Küste des Schwarzen Meeres. Auf der Wachstuchdecke vor ihr stand ein Aschenbecher, sonst nichts. Sie zählte die Stummel darin. Es waren vierundzwanzig. Als sie zu Ende geraucht hatte, drückte sie ihre Zigarette aus und sagte leise: »Fünfundzwanzig.«

      Sie sah aus dem offenen Fenster nach draußen. Von dort aus, wo sie saß, konnte sie ihre Wohnung im neunten Stock des gegenüberliegenden Plattenbaues sehen. Sie dachte daran, wie sie am Abend wieder allein dort drüben im Wohnzimmer sitzen und der Fernseher flimmern würde. Sie sah sich selbst dort hin- und herlaufen und dachte daran, wie schön es sein wird, wenn ihr Mann zurück ist. Sie dachte, dass sie dann unbedingt tapezieren müssten, denn oben in einer der Zimmerecken blätterte schon etwas Tapete von der Wand. Sie fegte immer mit dem Besen die Spinnweben von der Decke, aber wie lange würde sie dazu noch die Kraft haben?

      Sie ärgerte sich darüber, dass sie ihr nicht vorher Bescheid gesagt hatten, dass sie überhaupt nie vorher Bescheid sagen würden; und dann fiel ihr ein, dass Irina Andrejewna jeden Tag eineinhalb Stunden mit der Bahn quer durch die Stadt fahren musste, um auf Arbeit zu kommen, und ihr fiel wieder auf, wie groß Moskau eigentlich war. Irgendwer hatte ihr erzählt, dass wenn man diese Stadt einmal zu Fuß durchqueren wolle, es zwei Wochen dauern würde.

      Gleich darauf musste sie an den Patienten Baranow denken, dass es ihn am schlimmsten erwischt hatte, viel schlimmer als all das, was ihr bisher in ihrem Leben passiert war. СКАЧАТЬ