Название: Die List der Schildkröte
Автор: Elisabetta Fortunato
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783946435860
isbn:
Per Franco
Wenn es stimmte, dass der Verlauf eines Tages gleich nach dem Erwachen zu erkennen war, dann würde der heutige eine Katastrophe: Im Ehebett lag ein Mann, der nicht der ihre war, und draußen schneite es. Sie dachte nur noch an Flucht, und diese führte sie geradewegs in die Küche.
Die Wanduhr zeigte kurz vor halb acht. Automatisch rechnete Giovanna nach. In Hongkong war es halb zwei Uhr nachmittags und Julius auf dem Weg zu wichtigen Verhandlungen. Ihr Ehemann wusste von ihren Affären, das war nicht das Problem. Er selbst hatte sie dazu gedrängt. Doch war sie immer ins Hotel gegangen, aus Respekt und Diskretion. Warum also diesmal nicht? Noch dazu mit einem solchen Mann? Im Schlafzimmer lag nicht irgendwer, sondern Sonny, ein knackiger Diamantenhändler aus Nigeria, der am Abend so viel Schmuck getragen hatte, dass dieser sich jetzt auf ihrer Kommode türmte wie die Schwester des Vesuvs. Mit anderen Worten: Wenn die Nachbarn ihn zu sehen bekamen, war ihr Ruf ruiniert. Und der ihres Ehemannes gleich mit.
Ja, sie hatte einen Fehler gemacht, und ja, sie musste ihn geradebiegen. Das war sie ihrem Mann schuldig. Aber deswegen ihre gute Erziehung vergessen? Nein ! Giovanna holte die Moka aus der Anrichte, die jeder Italiener besaß, der etwas auf sich hielt, und begann sie zu füllen. Zum Abschied würde sie ihrem Lover einen ordentlichen Espresso mit auf den Weg geben.
Die Kaffeekanne stand auf dem Herd und, eingelullt vom Zischen der Gasflammen, wartete Giovanna darauf, dass das Wasser im Tank zu brodeln begann. Da blieb ihr Blick am corno hängen, das genau vor ihr an einem Nagel hing. Das knallrote Plastikhorn konnte jedes Unglück abwenden, zumindest in Neapel. Heute hatte sie keine Zeit für geografische Befindlichkeiten; sie brauchte Hilfe, und zwar sofort. Mit einer einzigen Bewegung zog sie das Horn von der Wand, schloss die Augen und rief nach Padre Pio. Der familiären Legende nach hatte der Schutzheilige es persönlich mit seinen blutenden Händen gesegnet. Doch spätestens seit dem Ableben ihrer Oma wusste sie, dass sie nicht alles glauben durfte, was ihr einst erzählt worden war.
»Beweise dich, oder ich schmeiß dich weg«, beschwor Giovanna das Horn.
Dann sprach sie die zwei Wünsche aus, die ihre Probleme beseitigen sollten: Es musste aufhören zu schneien und ihre Nacht mit Sonny ohne Zeugen bleiben.
Zum Glück sah niemand sie in diesem Zustand. Sie, die Texte von Rosa Luxemburg, Antonio Gramsci und Karl Marx verkaufte. Aber wo waren die gescheiten Ideen, wenn sie gebraucht wurden? Dann lieber das Horn und der kampanische Aberglaube. In der Not war alles erlaubt.
Ob sie mit ihrer Beschwörung zu früh aufgehört oder etwas falsch gemacht hatte, konnte sie im Nachhinein nicht sagen. Tatsache war, dass, als sie die Augen wieder aufschlug, der Schnee noch da war, sogar dichter als zuvor. Den zweiten Wunsch konnte sie sich also wohl auch gleich abschminken. Sie warf das Horn in den Mülleimer und trat fröstelnd ans Fenster.
Es war nicht nur СКАЧАТЬ