Friedrich Engels. Jürgen Herres
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Название: Friedrich Engels

Автор: Jürgen Herres

Издательство: Автор

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783534272990

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      Victor Adler anlässlich einer 1. Mai Feier im Kreis von Ziegeleiarbeitern am Laaerberg.

       Der Kampf um das Wahlrecht

      In diesem Sinne war es konsequent, dass Engels Victor Adlers in der österreichischen Partei umstrittenen Kurs in der Auseinandersetzung über das allgemeine Wahlrecht voll unterstützte. Kurz vor seinem Rücktritt hatte der konservative Ministerpräsident Graf Taaffe einen Entwurf für eine Wahlrechtsreform eingebracht, dem zufolge zwei Drittel der Reichsratsabgeordneten in einer dritte Kurie gewählt werden sollte, für die eine deutliche Ausweitung des Stimmrechts für männliche Bürger vorgesehen war.28 Ziel Taaffes war die Stärkung des Reichszusammenhalts, aber auch seine Befürchtung, die österreichischen Arbeiter könnten nach dem Vorbild ihrer belgischen Genossen, die 1893 mit Massenstreikaktionen das allgemeine Wahlrecht erkämpft hatten, zu ebensolchen Aktionen schreiten („belgisch reden“). Der Entwurf wurde vom Reichsrat mit großer Mehrheit abgelehnt. Victor Adler trat allen Bestrebungen, die Taaffe’sche Wahlreform durch außerparlamentarische Aktionen zu unterstützen, entschieden entgegen, was ihm in der Partei und auch von linksliberaler Seite manche Kritik eintrug. Er stoppte sogar eine während seiner Abwesenheit zur Teilnahme am Zürcher Kongress der Internationale von den anderen Vorstandsmitgliedern in Gang gesetzte Kampagne für die Taaffe’sche Vorlage.29 Ausschlaggebend dafür war, wie Adler in einem Bericht an den Parteitag wenig später sagte, dass „wir unmöglich unser Programm einer Augenblickssituation zuliebe aufs Spiel setzen konnten; … einer Regierung zuliebe, welche den Ausnahmezustand in Wien und Prag auf dem Gewissen hat, nicht die Kastanien aus dem Feuer holen (konnten), … womit wir das Proletariat in Missverständnisse geleitet (hätten).“30

      Engels versicherte Adler in der Sache seiner vollen Zustimmung, dass es „mit den Torheiten“ (gemeint Massenstreikaktionen) ein Ende habe31. Kautsky schrieb dazu an Engels, dass ohne Adlers Einschreiten „die heißblütigen Österreicher wohl eher eine zweite Auflage des Ausnahmezustands über Wien erreicht hätten.“32 Engels begründete seine zur Zurückhaltung mahnende Position auch damit, dass „der politischer Strike entweder sofort siegen, oder in einer kolossalen Blamage endigen, oder schließlich direkt auf die Barrikaden führen (muss)“, und jedenfalls das Risiko viel zu hoch sei.33

      Mit seiner Erwartung einer baldigen Einführung des neuen, breiteren Wahlrechts war Engels allerdings zu optimistisch. Die Wahlrechtsreform von 1897 blieb klar hinter dem Taaffe’schen Entwurf zurück, und die Wahlresultate waren vor allem in Wien, wo die Sozialdemokratie in der allgemeinen Kurie kein einziges Mandat erreichte, enttäuschend. Es dauerte bis zum Jahr 1907, dass der Reichsrat erstmals nach allgemeinem, gleichem Wahlrecht für Männer gewählt wurde. Die Partei errang 87 Mandate (entspricht einem Anteil von 17 %), war jedoch von Anfang an durch ihre ethnische Heterogenität als bloßer Dachverband im Parlament empfindlich geschwächt. 1911 ging die Mandatszahl sogar auf 84 zurück – von einem „Siegeslauf“ wie in Deutschland zu Engels’ Lebzeiten konnte keine Rede sein.

       Der Nationalitätenkonflikt 34

      Trotz mancher warnender Indizien hielt Engels – und zunächst auch mit ihm Adler – in dieser für die Habsburgermonarchie wie für die österreichische Sozialdemokratie gleichermaßen wichtigen Frage an der von Otto Bauer später so genannten Haltung des „naiven Kosmopolitismus“35 fest: Die nationale Zugehörigkeit wird als „bürgerlicher Vorurteil“ gesehen, das mit dem siegreichen Klassenkampf von selbst verschwindet. In einer Grußadresse an die tschechischen Genossen zu ihrer Maifeier 1893 bekräftigte Engels seine Ansicht, „dass der ganze Nationalitätenhader nur möglich ist unter der Herrschaft der großen grundbesitzenden Feudalherren und der Kapitalisten … und dass, sobald die Arbeiterklasse zur politischen Herrschaft kommt, aller Vorwand zu nationalem Zwist beseitigt ist.“36

      Wenn im Hainfelder Parteiprogramm auf das Nationalitätenproblem mit der Aussage, dass die Sozialdemokratische Partei als internationale Partei „die Vorrechte der Nation“ – immerhin an erster Stelle genannt –, „der Geburt“37 etc. verurteile, nur pauschal Bezug genommen hatte, so musste man bald danach erkennen, dass der „naive Kosmopolitismus“ keine tragfähige Grundlage für ein Lösung bot. Kautsky konnte bereits 1896, ein Jahr nach Engels’ Tod, nicht umhin einzugestehen, „dass die alte Marxsche Haltung unhaltbar geworden ist – wie auch seine Haltung gegenüber den Tschechen. Es wäre ganz unmarxistisch, seine Augen den Tatsachen zu verschließen und am alten Marxschen Standpunkt zu beharren.“38

      Das Nationalitätenproblem wurde am stärksten virulent in den hochindustrialisierten gemischtsprachigen Gebieten Böhmens und Mährens, aber auch in den südlichen Kronländern mit slowenischer und italienischer Bevölkerung. Konflikte entstanden insbesondere im Bereich der Gewerkschaften, wo lokale tschechische Gewerkschaften gegen den Zentralismus der von deutschsprachigen Arbeitervertretern kontrollierten Branchenverbände und der zentralen Gewerkschaftskommission aufbegehrten. Für die tschechischen Sozialdemokraten war „das Streben nach Aufrechterhaltung einer einheitlichen Bewegung nicht immer nur Ausdruck des Internationalismus, sondern kann auch den Tendenzen eines bestimmten Großmachtnationalismus dienen.“39

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      Karl Kautsky (1854–1938), um 1915/1920.

      Eine Grundsatzdiskussion des Nationalitätenproblems fand 1899 auf dem Parteitag in Brünn (Brno) statt. Das sog. „Brünner Nationalitätenprogramm“ sah vor, die historischen Kronländer aufzulösen und an ihrer Stelle demokratisch organisierte „national abgegrenzte Selbstverwaltungskörper“ zu bilden („Territorialprinzip“, entspricht den von Engels angedeuteten Vorstellungen), was allerdings von Anfang an unrealistisch war, weil eine territoriale Entflechtung von Deutschen und Tschechen oft kaum möglich war. Karl Renner hatte in der kurz zuvor erschienenen Broschüre „Nation und Staat“40 das „Personalitätsprinzip“ als alternativen Lösungsansatz vorgeschlagen. Auf staatsrechtlichem Gebiet war das Brünner Programm Ausdruck „einer weitgehenden Integration und Identifikation der Sozialdemokratie mit dem Staat.“41

      Die Lösung der Nationalitätenfrage inspirierte die jüngere Generation von sozialdemokratischen Theoretikern zu den ersten Höchstleistungen des seit 1907 so bezeichneten Austromarxismus: Renners Der Kampf der österreichischen Nationen um den Staat (1902),42 und Otto Bauers Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie (1907).43

       Engels’ Wohlgefallen an der österreichischen Sozialdemokratie

      Zu keiner anderen Partei hatte Engels ein so ungetrübtes Verhältnis wie zur österreichischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Im Briefwechsel findet sich kein Hinweis auf Meinungsdifferenzen in Bezug auf theoretische Grundlagen oder die Strategie in der politischen Alltagsauseinandersetzung. Auffallend ist der Kontrast vor allem zur deutschen Partei, deren Entwicklung Engels die größte Aufmerksamkeit widmete.

      Einerseits entsprach die politische Strategie der SPD seit dem Einigungsparteitag von 1875 in ihrer grundlegenden Ausrichtung seinen Vorstellungen über den Weg zum Sozialismus, und in den Erfolgen, welche die Partei danach erzielen konnte, sah er eine Bestätigung für seine Ansichten und ein Modell für die Parteien in den anderen kontinentaleuropäischen Ländern und letztlich auch im nachhinkenden England. Andererseits hatte Engels immer wieder Ärger mit internen Konflikten in der Partei, in denen er seine Gesinnungsfreunde – allen voran August Bebel – im Kampf gegen „kleinbürgerliche“ СКАЧАТЬ