Morgenroths Haus. Thomas Perlick
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Morgenroths Haus - Thomas Perlick страница 4

Название: Morgenroths Haus

Автор: Thomas Perlick

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9783962851590

isbn:

СКАЧАТЬ hatte. Von entsetzlichen Strafen berichtete Martin dem erstaunten Fritz: Vom Barfußlaufen im Schnee und den Nächten, die man stehend im stillgelegten Kamin des Südflügels verbringen musste. Außerdem erzählte Martin von jenen Dingen, die der Herr Direktor mit einigen Mädchen machte, wenn sie zwar erst zwölf, aber schon erblüht waren. Fritz Teumer, der sich Kinder wünschte, spuckte dreimal aus.

      „Schiffsratten allesamt“ fluchte er laut und schwor eine Rache, die er nicht mehr vollstrecken musste. Der Herr Direktor starb wenig später an einer Pilzvergiftung. Er hatte die Todsünde begangen, eines seiner Mädchen in der Küche anzustellen, als es für seine Gelüste schon zu alt war.

      „Die Herren Großmäuler sind das schlimmste Saupack in dieser verkommenen Zeit“, fluchte der Leichtmatrose.

      Nun hatte die Erwähnung des Missbrauches in dem liebestollen Fritz aber ein heißes Begehren entfacht. Er begann, dem Schiffsjungen Martin von dem herrlichen Haus der Freuden in der Hamburger Innenstadt zu erzählen. Er pries die bildreichen Tapeten und schwärmte davon, dass die Betten immer sauber rochen.

      Außerdem fände man stets Sekt und Salziges auf den Tischchen. Am wichtigsten allerdings sei, dass die Dame eigener Wahl immer zwei geschlagene Stunden für ihren Liebhaber Zeit habe. Das alles sei in dem stolzen Preis enthalten. Drei Viertel seiner Heuer müsse man dort hinlegen, sagte Fritz mit leuchtenden Augen. Er fahre also von hundert Seemeilen fünfundsiebzig nur für diese zwei fröhlichen Stunden. Aber das sei es ihm allemal wert.

      Der jungfräuliche Martin hörte mit fiebrigem Gesicht zu.

      „Dann ist es also unmöglich vom Lohn des Schiffsjungen“, sagte er traurig. Aber sein Freund Fritz wusste eine Lösung.

      „Halt mir den Rücken frei!“, sagte er und stieg in den Laderaum hinab. Dort war eine Wache aufgestellt, Alois, ein versprengter Bayer mit Liebe zur See.

      „Alois“, sagte Fritz, „ich sing dir die Bayrische Hymne, wenn du mir ein einziges Kistchen voller Zigarren überlässt.“

      Alois, der Sehnsucht nach der See hatte, wenn er in Pasing war und Sehnsucht nach Pasing, wenn er auf den Meeren segelte, schwankte kurz in seinem Entschluss. Mit Geld war er nicht zu bestechen. Mit Musik schon.

      „Aber du nimmst eines aus der hinteren Reihe“, sagte er, „da fällt es nicht so auf.“

      Nun sang Fritz Teumer, der Ostfriese, die Hymne der Bayern, und dem träumerisch veranlagten Alois rollten die Tränen über die Wangen.

      „Da sieht man das ganze Gebirg’ vor sich stehen“, stöhnte er und winkte den Sänger nach hinten. Der griff fröhlich zu und hielt das Zigarrenkistchen Pepe in der Hand, das den Beginn unserer Geschichte bildete, weil es im Morgenrothschen Hause steht bis auf den heutigen Tag.

      Alois, den wir noch weinend vor uns sehen, hat das Gebirg’ nicht mehr erblickt. Fritz dagegen, der glücklicherweise überlebte, kam nun mit dem Kistchen nach oben und versteckte es unter einem losen Brett in seiner Kajüte.

      „Dafür bekommst du deine zwei Stunden“, sagte er zu dem Schiffsjungen Martin, der sich nun in einem Zwiespalt zwischen Vorfreude und Furcht befand, denn er hatte noch keinerlei Erfahrungen im Rätselreich sinnlicher Liebe. Also ließ er sich von dem kundigen Fritz allerlei Erklärungen geben, wobei der Leichtmatrose merkwürdigerweise ein wenig kurzatmig wurde.

      In jene etwas schwüle Unterrichtsstunde krachte die erste Kugel aus der Kanone eines portugiesischen Piratenschiffes. Sie riss den Leichmatrosen Bernhard Polt vom Mast und trennte seinen Kopf vom Rumpf, wobei nur letzterer auf die Planken stürzte. Als man an die eigenen Geschütze eilte, war es im Grunde schon zu spät. Der zweite Treffer führte innerhalb weniger Minuten zu einer ordentlichen Schlagseite. Backbord ließ der feige Kapitän gemeinsam mit dem betrunkenen Steuermann ein Boot zu Wasser. Während die Besatzung in Panik durcheinander rannte, sagte der schlaue Fritz zu seinem jungen Freund Martin: „Es ist Zeit, zu gehen.“

      Er holte seinen Schiffssack und verstaute das Kistchen Pepe fachgerecht darin. Dann ließen sich Fritz und Martin an Seilen herab ins Boot. Der Kapitän war zu dick, sie abzuwehren, der Steuermann zu besoffen. Fritz und Martin kämpften sich ans Ruder. Bald jagten sie durch Pulverdampf und aufkommenden Abendnebel aus Sichtweite der Piraten und nahmen Kurs auf ein Eiland, von dem sie nur hoffen konnten, dass es nicht das Zuhause der Seeräuber war. Der betrunkene Steuermann war inzwischen rittlings über Bord gegangen und sofort gesunken.

      Pepe, das Zigarrenkistchen, spürte die Gefahr der Stunde, denn bei Nässe stirbt jede gute Zigarre einen grausamen Tod. Mehrere hundert Kameraden, deren Umladen in das Piratenschiff nicht mehr gelungen war, erlitten gerade dieses entsetzliche Schicksal. Aber Pepe wurde durch die erotischen Sehnsüchte eines hübschen, aber noch unerweckten Schiffsjungen gerettet.

      Als sich das Gemisch aus Nebel und Pulverdampf lichtete, sehen sie die Insel, ein tellerflaches Ding ohne Vegetation.

      „Grundgütiger!“, rief Fritz, „Nicht mal Wasser wird man dort finden.“

      Nun war der Kapitän zwar feige und ohne jedes Pflichtgefühl, hatte aber eine ganze Seekarte im Kopf, was sich jetzt als höchst nützlich erwies. Mit etwas Glück navigierte er die kleine Besatzung tatsächlich in einen sicheren Hafen. Hier erzählte er einem Kollegen die furchtbar erlogene Geschichte seines heldenhaften Kampfes gegen das elende Seeräuberpack. Fritz Teumer spuckte dreimal aus, beschloss aber ansonsten, sich nicht weiter darum zu kümmern und heuerte zwölf Tage später gemeinsam mit dem Schiffsjungen Martin bei einem englischen Frachter an, der seine Ladung im Hamburger Hafen löschte.

      Dort kamen die beiden Freunde am 11. Mai 1921 glücklich an. Im Gepäck hatten sie die Heuer eines Leichtmatrosen und Pepe, das Zigarrenkistchen. Der Schiffsjunge Martin sah den Hamburger Hafen zum ersten Mal. Er zählte die Zwölfmaster und die gewaltigen Dampfschiffe. Er sah den Männern bei ihrer schweren Arbeit zu und entdeckte die ersten leichten Damen, hochbeinig und mit bemalten Augenwimpern.

      „Davon lass die Finger und was du sonst noch so hast!“, knurrte Fritz.

      Dann warf er sich den Seesack über die Schulter und lief davon. Martin, der Schiffsjunge, hätte sich gern noch ein bisschen umgesehen. Die Bierkutscher standen in langer Reihe und warteten.

      Riesige Werbeschilder prangten von den Wänden: „Schneeweiß – der Gardinenkönig: Sicher, sauber, schnell“, hieß es da. Oder, in dicken Buchstaben: „Der Motor machts – Rothstein und Söhne: Mit uns kommen Sie um die Welt!“

      Fritz saß etwas abseits und wartete. Er behielt seinen jungen Freund immer im Auge. Und da, tatsächlich, eine der knapp bekleideten Damen ging direkt auf Martin zu: „Na, Kleiner, gerade angekommen?“

      „Ja, eben in diesem Moment“, erwiderte Martin, der sie gar nicht wahrnahm, weil er den Hafen in den Augen hatte.

      „Bist du zum ersten Mal in Hamburg?“

      „Ja“, sagte er, „hier ist die ganze Welt beisammen, nicht wahr?“

      „Sicher“, sagte sie, „und alles Schöne auch. Du bist noch so jung. Für dich mache ich einen Sonderpreis.“

      Jetzt erst blickte Martin sie an, eine korpulente Dame, die seine Mutter hätte sein können.

      „Tut mir leid“, stotterte er verlegen, „mein Freund sagte ...“ Aber da war Fritz auch schon zwischen ihnen.

      „Komm, Junge, wir sind besseres gewohnt“, sagte er.

      „Elender СКАЧАТЬ