„… dass die Welt zwischen den Liebenden verbrannt ist“. Richard A. Huthmacher
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СКАЧАТЬ „Diktat der Menschenverachtung: Der Nürnberger Ärzteprozeß und seine Quellen“. Mitscherlich war über die Verbrechen deutschen Ärzte in den KZs, über deren schier unvorstellbare Grausamkeiten derart entsetzt, dass er nicht daran dachte, die Wahrheit zu schönen. Die Ärzteschaft schwieg die Publikation daraufhin tot, in keiner Fachzeitschrift (und auch sonst nirgendwo) durfte die Dokumentation, die schon in einer Auflage von 25.000 Exemplaren gedruckt worden war, erscheinen, auch in der Presse fand sie so gut wie keine Erwähnung.

      Über die NS-Ärzteprozesse veröffentlichte Mitscherlich drei Jahre später die Dokumentation „Wissenschaft ohne Menschlichkeit: Medizinische und eugenische Irrwege unter Diktatur, Bürokratie und Krieg“. Gedruckt wurden 10.000 Exemplare des Buches, die aber kurz nach dessen Erscheinen aus sämtlichen Buchläden verschwanden – nicht nur Mitscherlich selbst vermutete, dass die Exemplare in toto von den Ärztekammern aufgekauft und aus dem Verkehr gezogen wurden.

      Jedenfalls wurde Mitscherlich von nun an systematisch aus sämtlichen medizinischen Fakultäten ausgegrenzt. Von 1967-76 war er Inhaber einer Professur – wohlgemerkt der Philosophischen Fakultät – in Frankfurt, dort auch (von 1960-1976) Leiter des Sigmund-Freud-Instituts (vormals „Institut und Ausbildungszentrum für Psychoanalyse und Psychosomatik“, mittlerweile reines Forschungszentrum).

      Vorgenannte Veröffentlichung Mitscherlichs über die Nürnberger Ärzteprozesse erschien 1960 erneut (jetzt unter dem Titel „Medizin ohne Menschlichkeit“). Dieses Buch nun wurde insgesamt weit über hunderttausendmal (gedruckt und auch) verkauft. Summa summarum geht Mitscherlich von 350 Ärzten aus, die an Menschenversuchen sowie an sonstigen Verbrechen von KZ-Ärzten und anderen ärztlichen Schergen in Diensten des NS-Regimes beteiligt waren.

      In der ZEIT vom 25. April 2007 schreibt der Psychoanalytiker Bernd Nitzschke zum Menschen Mitscherlich, und zwar als Rezensent der Mitscherlich-Biographie des Historikers Martin Dehli:

      „Die Mutter war ´ewig unzufrieden´; der Vater, ein ´Koloß an Leib und Zorn´, ´die große Angstquelle meiner Kindheit´ – und ´dazwischen ich, ein einziges, einsames Kind´. So steht es in einer um 1937/38 entstandenen Aufzeichnung. In dieser Zeit sitzt der dreißigjährige Sohn in einem Gestapo-Gefängnis. Nach dem Krieg veröffentlicht er einen Aufsatz mit dem Titel Ödipus und Kaspar Hauser. Da ist er noch immer einsam – und immer noch auf der Suche nach einer Frau, die ihm Mutter, nach einem Mann, der ihm Vater hätte sein können. Von einer Frau, die er zur Mutter gemacht und bei der [er] einen Sohn und zwei Töchter vaterlos zurückgelassen hat, ist er bereits geschieden. Jetzt, 1953, wiederholt sich das Drama: Wieder wird er geschieden; diesmal kommen zwei Söhne in ein Schweizer Internat.

      Für ihn aber beginnt nun eine Karriere, an deren Ende aus dem ewigen Sohn einer der geistigen Väter der 68er-Generation geworden ist. Die Bücher, die er publiziert, verdichten kollektives Schicksal und individuell Erlebtes. Sie tragen Titel, die zu Schlag-Worten werden: Die vaterlose Gesellschaft (1963); Die Unfähigkeit zu trauern (1967). Ja, von Alexander Mitscherlich ist die Rede. Das zuletzt genannte Buch hat er mit seiner dritten Ehefrau Margarete Nielsen [Margarete Mitscherlich – e. A.] verfasst – die in seiner 1980 erschienenen Autobiografie Ein Leben für die Psychoanalyse ebenso wenig beim Namen genannt wird wie ihre Vorgängerinnen, Melitta Behr und Georgia Wiedemann. Auch seine sieben Kinder bleiben darin ... ohne Namen.“

      Fast ist man ob solcher Ausführungen zu sagen geneigt, dass offensichtlich theoretischer Anspruch und konkrete Lebenswirklichkeit auch bei denen (oft) weit auseinanderklaffen, die seinerzeit unsere „Ikonen“ waren – als wir, die Nachkriegsgeneration, die Generation der Söhne und Töchter, nach Vorbildern suchten, die uns unsere eigenen Väter und Mütter, nicht zuletzt wegen ihrer Verstrickungen in der Nazi-Zeit, nicht geben konnten. Gleichwohl: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“ (Faust II).

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