Der Elternkompass. Nicola Schmidt
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Название: Der Elternkompass

Автор: Nicola Schmidt

Издательство: Readbox publishing GmbH

Жанр: Секс и семейная психология

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isbn: 9783833876608

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СКАЧАТЬ 1 Zentimeter pro Stunde, der oftmals gilt, stammt aus sechzig Jahre alten Studien,69 die die »ideale Wehentätigkeit« beschreiben sollten, aber mittlerweile durch neue Beobachtungen infrage gestellt werden. In einer Studie von 1996 hatten bis zu 20 Prozent aller Frauen nach den alten Daten »zu langsame« Eröffnungen, ohne dass dies negative Effekte für Mutter oder Kind gehabt hätte. Eine andere Studie stellte fest, dass die Eröffnung von 4 auf 6 Zentimeter bis zu neun Stunden dauern kann, ohne dass es zu Komplikationen kommt.70 Wie schnell sich ein Muttermund öffnet, scheint von Frau zu Frau völlig unterschiedlich zu sein. Eltern sollten also vorher nachfragen, ob an ihrem Geburtsort noch die alte Regel »1 Zentimeter pro Stunde« gilt. Das britische NICE (National Institute for Health and Care Excellence) hat denn auch 2017 festgehalten, dass für Erstgebärende die Eröffnungsphase der Geburt bis zu achtzehn Stunden und für Mehrgebärende bis zu zwölf Stunden dauern kann, ohne dass es nötig wäre, die Geburt künstlich zu beschleunigen.71

       Alles, was eine Frau stresst, also der Wechsel der Hebamme, helles Licht, plötzliche laute Geräusche, sollten während der Eröffnungsphase möglichst unterbleiben.

      Es kann wie gesagt klug sein, vor allem die erste Phase der Geburt weitgehend in einer vertrauten Umgebung zu verbringen, zum Beispiel zu Hause, weil das Wehenhormon sich sonst schnell zurückzieht. Wenn wir starke Mütter und starke Kinder wollen, sollten wir Frauen auch unterstützen, die Geburt aktiv zu erleben, was daheim oder in einer nichtklinischen Situation deutlich einfacher zu sein scheint. In einer kleinen Beobachtungsstudie zeigte sich, dass Frauen im Krankenhaus sich eher wie Patienten verhalten, sie reagieren passiv auf das Geschehen und das Personal. Frauen in Geburtshäusern oder zu Hause sind deutlich aktiver – besonders aktiv und entspannt sind sie übrigens unter der Dusche, wo sie sich freier bewegen als anderswo.72

      Die erste sensible Geburtsphase wird vom Oxytocin gesteuert, und Hebammen wissen, dass alles, was die gebärende Frau stresst, diesen Prozess stört. Dies könnte auch der Wechsel des Betreuungspersonals auslösen, weil die Frau anfängt, Stresshormone auszuschütten, die die körpereigenen Wehenhormone hemmen.

      Die Übergangsphase ist der Moment, in dem das Kind sich im Becken einstellt. Sie ist oft kurz und heftig, und viele Mütter haben jetzt das Gefühl, dass sie es wirklich nicht mehr aushalten können. Sie schreien und weinen, rufen nach Hilfe oder erklären, man könne jetzt getrost ohne sie weitermachen – was vollkommen okay ist, denn jetzt ist das Kind gleich da.

      In der Austrittsphase wird das Kind geboren, der Kopf ist bereits an den Eingang des Beckens gerutscht, und das Kind wird jetzt von der Kraft der Mutter herausgedrückt oder – wie der renommierte Arzt und Geburtshelfer Michel Odent sagt – per »Ausscheidungsreflex geboren«. Das Kind drückt in dieser Phase auf den Enddarm der Mutter, was sich so anfühlen kann, als müsse sie zur Toilette. Es ist gut, das vorher zu wissen, denn statt sich für ihren Darmdrang zu schämen, kann sie sich jetzt darauf freuen, dass es gleich geschafft ist.

       In der Austrittsphase drückt das Baby auf den Enddarm der Mutter. Sie sollte das vorher wissen, denn statt sich für ihren Darmdrang zu schämen, kann sie sich jetzt freuen, dass es gleich geschafft ist.

      Ist das Baby da, kommt die Nachgeburtsphase, in der die Plazenta geboren wird. Auch hier gibt es keinen Zeitdruck – es kann zehn bis zwanzig Minuten, aber manchmal auch eine Stunde dauern, bis die Plazenta da ist. Wenn die Mutter mit dem Baby jetzt sofort Haut an Haut kuscheln kann, geht es leichter und schneller mit geringen oder ohne Blutungen.

      Auch wenn man bei uns immer wieder Frauen auf dem Rücken liegen und Kinder gebären sieht: Es gibt kaum eine unpraktischere Geburtsposition als diese – rein physiologisch betrachtet –, weil das Baby dann im Becken »nach oben« geboren werden muss (Geburtshelfer witzeln oft, noch unpraktischer sei eigentlich nur der Kopfstand). Bei der Geburt im Stehen, auf allen vieren oder im Hocken hilft die Schwerkraft mit, es geht dann zwar statistisch nur ein paar Minuten schneller, aber es gibt weniger Dammschnitte und Zangen- oder Saugglockengeburten.73

      ATMEN UND HECHELN – MUSS DAS SEIN?

      So mancher gestresste Zeitgenosse fragt sich vielleicht: Lohnt sich der Geburtsvorbereitungskurs? Eine randomisierte Studie untersuchte 176 Erstgebärende in Australien, von denen man per Zufall ausgesuchte Paare vor der Geburt in sechs evidenzbasiert hilfreichen Techniken unterrichtete: Akupressur, Entspannungstechniken, Atmung, Massage, Yoga und Unterstützung durch den Partner. Das Ergebnis: Die Gebärenden mit Kurs brauchten deutlich seltener Schmerzmittel, hatten seltener einen Kaiserschnitt, kürzere Geburtszeiten, und keines ihrer Neugeborenen musste in dieser Studie wiederbelebt werden.74 Das Wochenende mit der Hebamme könnte sich also lohnen.

      Auch Hypnosetechniken verringern grundsätzlich den Gebrauch von Schmerzmitteln unter der Geburt, allerdings nicht die Zahl von Periduralanästhesien, und sie sind keine Gewähr für eine vaginale Geburt. Eine vaginale Geburt wird vor allem dann wahrscheinlicher, wenn die Gebärende kontinuierlich von ein und derselben Person unterstützt wird. Das ist in der Regel die Hebamme, kann aber auch eine Geburtsbegleiterin (Doula) oder der Partner sein, stellt ein Cochrane-Review von 27 Studien fest. Kontinuierlich betreute Frauen haben schnellere Geburten und fühlen sich zufriedener während der Geburt.75

      Deutschland hat eine Kaiserschnittrate von gleichbleibend etwa 30 Prozent, doch der WHO zufolge gibt es »keine Rechtfertigung für eine Kaiserschnittrate von über 10 bis 15 %«.76 Und der Kaiserschnitt ist mitnichten so sicher und ohne Folgen, wie man jahrelang dachte. Gut belegt ist zum Beispiel die Tatsache, dass der Geburtsmodus das Mikrobiom der Kinder beeinflusst – also die Zusammensetzung seiner bis zu tausend verschiedenen Arten von Darmbakterien – und sich damit ein ganzes Leben lang auf die Gesundheit auswirken kann, denn die Mikroben agieren unter anderem auch als Teil des Immunsystems unseres Körpers.77 Kinder, die per Kaiserschnitt geboren werden, »verpassen« die Ladung Mikroben, die sie bei der vaginalen Geburt von ihrer Mutter mitbekommen hätten. Möglicherweise kann man ihnen helfen, wenn sie früh spezielle probiotische Präparate bekommen, und Stillen hilft ihnen auf jeden Fall, aber dazu später mehr.

      Aber es gibt noch weitere Effekte. Ein Team um die Forscherin Astrid Sevelsted untersuchte die Daten von 1,9 Millionen dänischen Kindern der Jahrgänge 1977 bis 2012 und deren Werdegang von der Geburt bis zu einem Alter von fünfzehn Jahren.78 Es zeigte sich: Kaiserschnittkinder haben ein größeres Risiko für Asthma, Darmerkrankungen und Allergien. Eine große deutsche Krankenkasse analysierte die Daten von über 38 000 Kindern und stellte ebenfalls mehr Allergien, Magen-Darm-Erkrankungen und Übergewicht fest.79

      All das könnte etwas mit besagtem veränderten Mikrobiom zu tun haben. Aber auch chronische Bronchitis und sogar die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) stehen im Verdacht, mit einer Kaiserschnittgeburt zusammenzuhängen.80 Natürlich gilt: Ein Kaiserschnitt kann das Leben von Mutter und Kind retten, wenn er medizinisch notwendig ist. Aber jeder medizinisch nicht notwendige Kaiserschnitt ist unbedingt zu vermeiden.

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