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Gottesnähe und außergewöhnliche Manifestationen des Heiligen Geistes. Neue Trends und religiöse Ausdrucksformen (Verhaltensweisen, Ausdrücke usw.) werden verstärkt durch Kongresse in die lokalen charismatischen Gruppen vermittelt.1 Die verhältnismäßig junge und stark erlebnisorientierte Charismatische Bewegung bietet vorwiegend Gottesdienste in Alltagssprache, mit einem dynamischen, abwechslungsreich präsentierten Programm und ausgedehntem Musikteil nach jugendlichem Geschmack. Große Bedeutung nimmt in diesen Veranstaltungen das Lob Gottes ein, als Lied, als Chorus, als Sprachengebet oder –gesang, als gesprochener Lobpreis oder als freies Gebet, auch als persönliches Glaubenszeugnis. Konkret soll das Wirken Gottes in der Praktizierung spektakulärer Charismen (Glossolalie, Prophetie, Heilung) erfahren werden. Weder die Predigt noch die Eucharistie (Abendmahl) oder Diakonie stehen im Mittelpunkt des Gottesdienstes, sondern das Wirken des Geistes und das Erleben der Kraft Gottes. Obwohl charismatische Gottesdienste von Lobpreisteams und dominanten Leitern bestimmt werden, haben sie durch die Betonung des gemeinsamen Lobpreises und der Integration gemeindlicher Geistesgaben einen stark demokratischen Zug (allgemeines Priestertum). Wenn auch in der Praxis zumeist nur die Träger spektakulärer Charismen mit der Fähigkeit einer gewissen Selbstinszenierung öffentlich zu Wort kommen. Voraussetzung für die Weitergabe persönlichster geistlicher Erfahrungen und Sehnsüchte, sowie dem körperlichen Ausdruck eigener Gefühle in der Anbetungszeit ist eine gegenseitige Akzeptanz und gegenseitiges Vertrauen. Wobei sich auch in charismatischen Gottesdiensten Stil und Formulierungen der Beiträge standardisieren, und zu neuen spezifisch charismatischen Traditionen führen (tanzen, hüpfen, Hände erheben, Fähnchen schwenken, Zwischenrufe: „Halleluja“, „Gelobt sei Gott“, „Amen“ usw.). Der charismatische Gottesdienst könnte als religiöses Fest bezeichnet werden, in das sich der Besucher mit Leib, Seele und Geist einbringt. Er wird als Ort der Gegenwart Gottes begriffen, als Gegenpol einer materiellen, verstandesmäßig geprägten Realität. Er dient der emotionalen Selbstvergewisserung, der Stillung religiöser Sehnsüchte, dem Ausdruck der im Alltag unterdrückten Gefühle und der geistlichen Aufladung für die Bewältigung der Belastungen des Lebens.2 Katholische Frömmigkeit sieht insbesondere in den Sakramenten (Taufe, Abendmahl, Beichte …) das Wirken Gottes am Gläubigen. Durch die Sakramente wiederum wird der Christ von Gott zu einem frommen Leben befähigt. Reformatorische Theologie sieht das Wirken Gottes vor allem in der Vermittlung des Wortes Gottes. Hier teilt sich Gott dem Christen mit, gibt ihm Anteil an sich selbst und befähigt ihn biblisch zu leben. Zentrum des Glaubens sind die Vergebung der Schuld und die Erkenntnis eines gnädigen Gottes. Charismatische Christen wollen den Heiligen Geist durch Lobpreis Gottes und das gemeinsame Praktizieren der Gnadengaben erfahren. Für den traditionellen Pfingstler ist die mit Zungenreden verbundene Geistestaufe dominierender Zielpunkt des Glaubens. Diese Erfahrung wird selbstvergewissernd im Gottesdienst wiederholt. Die Gegenwart Gottes muss nicht so sehr durch Sakramente oder Bibelbetrachtung erfahren werden, weil das spektakuläre Wirken des Geistes die Zuwendung Gottes eindrücklich zu bestätigen scheint. Auch in der späteren Charismatischen Bewegung treten Bibel, Sakrament und Heiligung hinter das spektakuläre Handeln des Geistes zurück. Grundlage charismatischer Gottesdienste und privater Frömmigkeit sind eigene oder in der Gemeinschaft vermittelte Erfahrungen der Geisteswirkung. Biblische Heilsereignisse, logische Überlegungen oder dogmatische Glaubensinhalte treten in ihrer Bedeutung für den charismatischen Christen hinter der subjektiven Geisteserfahrung zurück.3 Wird die Gewissheit und Faktizität des Glaubens aber vor allem an eigenen, vorzugsweise emotionalen Erfahrungen festgemacht, besteht die Gefahr, bei Ausbleiben dieser Erfahrungen oder gegenläufigen negativen Erfahrungen in eine Glaubenskrise zu geraten. Das Lob Gottes, Charismen und Zeugnisse als Garanten des Geisteswirkens stehen in unmittelbarer Abhängigkeit zu den charismatischen Begabungen einzelner. Zurecht betonten die Reformatoren demgegenüber die Unabhängigkeit des Geistes von der Befähigung oder Würdigkeit des menschlichen Vermittlers oder eigener Erfahrungen. Gottes Realität und Wahrhaftigkeit sind losgelöst von menschlichen Erfahrungen und Gefühlen. Glaubensgrundlage sind hier erfahrungsunabhängige Selbstaussagen Gottes in seinem Wort. Darüber hinaus stellt die Bibel für Christen die wichtigste Inspirationsquelle und Korrekturmöglichkeit für alle spontanen Wirkungen des Geistes dar. Damit das außergewöhnliche Wirken des Geistes nicht der Routine, der Manipulation oder der unbewussten Irreführung verfällt, muss es immer wieder am Wort Gottes, als überzeitlicher Konstante, ausgerichtet werden. Die überproportionale Betonung der Geisteswirkungen führt in der Charismatischen Bewegung immer wieder zur Uminterpretation des Heiligen Geistes als frei verfügbarer spiritual power. Kongresse und Seminare vermitteln den Eindruck, dass der einzelne die Charismen für sich beanspruchen und ausüben kann. Der Geist wird primär als übernatürliche Wirkkraft gesehen. Der Glaube mutiert dann zur Fähigkeit, diese Kraft hervorzubringen. Damit rückt anstelle des, in seinem Geist handelnden Gottes, der geistbegabte Mensch ins Zentrum des Interesses.4Lob und Anbetung dienen hier weniger der Ausrichtung auf den himmlischen Vater, sondern werden zur Methode oder zum Weg, der Erzeugung spektakulärer Geisteserfahrungen. Erst wird in entsprechenden charismatischen Veranstaltungen der Geist herbeigerufen, dann wird der Raum gegeben, dass sich der Geist in sichtbaren Phänomenen manifestieren kann. An dieser Stelle tritt eine grundlegende biblische Wahrheit in den Hintergrund: Der Heilige Geist ist eine Gabe Gottes und damit für den Menschen unverfügbar. Die Nähe des Geistes erzeugen zu wollen oder ihn für das eigene religiöse Empfinden zu manipulieren widerspricht seiner Funktion als Korrektiv und als Erinnerer an ewige Wahrheiten Gottes.5
Merkmale charismatischer Frömmigkeit im Gottesdienst
1. Gott - der Heilige Geist - wird spürbar, vernehmbar, anschaulich.
2. Statt verstandesmäßiger Vermittlung des Glaubens sollen die Besucher unmittelbar, emotional von Gott angesprochen werden.
3. Das Handeln Gottes soll spektakulär nach innen und außen hin vorgeführt werden.
4. Eine gemeinsame Erfahrung - Geistestaufe, Geistes Erneuerung - verbindet die Gottesdienstbesucher.
5. Die Gemeinschaft bildet den Rahmen für den Empfang und die Anwendung der Gaben.
6. Die erlebte Nähe Gottes bewirkt Lob und Anbetung.
7. Nicht die Bibel oder ein Glaubenssatz stehen im Mittelpunkt, sondern ein persönliches Erlebnis.
10. Wichtig sind sichtbare Zeichen des Heiligen Geistes: Geistestaufe, Zungenreden, Prophetie, Befreiung von Besessenheit, Heilung, Visionen usw.
11. Der Empfang des Heiligen Geistes macht sich durch äußere Zeichen bemerkbar: Singen im Geist, Zungenrede, Fallen im Geist, heiliges Lachen usw.
Beispiel: Unter dem Titel Tschiises, mach uns heiss! schrieb des Journalist Michael Meier für die NZZ einen lesenswerten Artikel über die charismatische Szene in der Schweiz:
„Man erkennt sie an ihren Gottesdiensten. Bis die Predigt beginnt, warten sie eine Stunde, nein, sie singen und frohlocken. Junge Erwachsene, viele mit ihren Kindern, preisen, die Arme weit offen und hüfteschwingend, den Herrn. Lobpreisleiter Bene Müller und seine Band reißen mit rockigem Sound die Mühseligen und Beladenen mit … Kein Sonntagabendgottesdienst … ohne Worshiping, ohne Anbetungszeit. Dann erst kommt Prediger Martin Bühlmann. Gut gelaunt und wortreich referiert der Gründer der Basileia über „The Power of Giving“. Seine Predigt … komprimiert er zu Slogans, die auf der Leinwand aufscheinen: „Mit Geben setzt man Fakten der Großzügigkeit.“ … „Tschiises“, betet die Gemeinde, „you are powerful.“ Ohne Basics der englischen Sprache ist man in der evangelikal-charismatischen Subkultur verloren. Die nämlich ist ganz
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