Eine Liebe - ein ganzes Leben lang: Roman um ein Nachkriegs-Schicksal. Glenn Stirling
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      Sie wusste nicht, warum sie so reges Interesse an seinem Schicksal nahm. Viele Menschen, junge Menschen, hatten schwer verletzt in diesem oder dem benachbarten Zimmer gelegen. Manche von ihnen waren gestorben. Aber keiner hatte sie so beschäftigt wie dieser Mann, von dem der Kanadier sagte, er ginge „kaputt“. Grausames Wort.

      Sie sah es den übrigen Männern im Zimmer an, wie sie von Doyle dachten. Er war für sie schon so gut wie tot. Sie hassten den Tod. Sie wollten nicht sehen, wie der Tod kam. Vielleicht fürchteten sie sich davor, erst zu enge Bande mit Doyle zu knüpfen, um dann zu erleben, wie der Tod diese Bande zerriss. Sie scheuten es, und er war einsam, wie ausgestoßen.

      Sie ahnte nicht, welchen anderen Grund es noch gab. Doyle war Captain. Der einzige Offizier im Zimmer. Die Kluft wurde dadurch nicht leichter überbrückt.

      Doyle war am Unterkörper gelähmt. Er konnte nicht gerade liegen, sondern musste wie in einer Hängematte ruhen. Sein Oberkörper wurde durch eine Art Korsett gehalten und von einem Seilzug mit Gewichten gestreckt. Jede Bewegung, die geringfügigste, war mit furchtbaren Schmerzen verbunden.

      Tausende von Männern in diesem Haus litten Schmerzen. Und gerade bei diesem einen hier glaubte sie, den Schmerz auch am eigenen Leibe zu spüren.

      Es musste auffallen, wie sie sich um Doyle bemühte. Zuerst bemerkten es die Männer im Zimmer. Sie hänselten Renate. Der deutschsprechende Kanadier erzählte es Willy. Und der sprach mit Kameraden darüber.

      Bald wusste es die ganze Station. Renate musste zur Oberschwester. Ahnungslos betrat sie das Zimmer des resoluten Fräuleins. Oberschwester Frieda hatte den Frühling des Lebens lange hinter sich und war ob ihrer Launen berüchtigt. Der aufreibende Dienst, die Fliegeralarme und so manches andere verschlimmerten die Reizbarkeit dieser Frau.

      „So, da kommt endlich die Sünderin“, empfing sie Renate in zornigem Ton. „Scheinen ja tolle Zustände auf Ihrer Station zu herrschen, wie? Wie ist das also mit diesem Kriegsgefangenen?“

      „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Oberschwester“, sagte Renate verständnislos.

      „Von diesem Captain natürlich, diesem Ami! Sie scheinen ihm Sonderbehandlung angedeihen zu lassen. Hier gibt es keine Sonderbehandlung, erst recht nicht für Kriegsgefangene.“ Renate wurde rot. Nicht, weil sie sich schuldig fühlte, sondern aus Empörung über die Behauptung, die ihr ins Gesicht geschleudert wurde.

      Die alternde Oberschwester deutete das anders. „Sie können von Glück reden, dass der Oberstabsarzt Ihr Schutzengel ist. Wenn es auf mich ankäme, würden Sie in die Infektionsabteilung gesteckt. Aber leider Gottes dürfen sich die Ärzte alles rausnehmen. Ich will Ihnen etwas sagen, Schwester Renate: Wenn ich noch mal das geringste Tönchen höre von wegen Sonderbehandlung, sollen Sie was erleben. Sie sollten sich schämen!“

      „Ich weiß nicht, warum ich mich schämen soll. Doyle ist sehr schlimm dran. Und wenn ich es ihm leichter mache, dann nicht, weil er Amerikaner ist.“

      „Nein, etwa nicht? Sie spekulieren wohl mit dem Kriegsende, wie?“

      Es hat keinen Zweck, sagte sich Renate. Sie beschloss zu schweigen.

      Ja, dachte sie, ich spekuliere mit dem Kriegsende, aber nicht so, wie du das meinst. Ich will endlich wissen, warum ich lebe, raus aus diesem Haus, will ein Mensch sein.

      Sie konnte wieder gehen. Als sie draußen auf dem Gang stand, überlegte sie, ob sie nicht doch diesem Kriegsgefangenen eine „Sonderbehandlung“ zuteil werden ließ. Aber wenn es so war, warum tat sie das?

      Die Antwort lag so nahe, aber sie kam nicht darauf. Sie hätte es sich auch gar nicht vorstellen können.

      Auch als sie am nächsten Tag während ihrer dienstfreien Stunden vor dem OP-Saal stand, kannte sie die Antwort noch nicht. Sie dachte auch nicht daran, sich eine Antwort zu geben. Ihre Gedanken befassten sich mit der Operation an Frederic Doyle, Captain der US Air Force. Er lag jetzt da drinnen, und Professor Dr. Rochlitz musste einen Kampf mit dem Tod bestehen.

      Leise trat sie ein. Niemand beachtete sie. Erst nach einer Weile blickte der lange Unterarzt von Eberingen über die Köpfe der Chirurgen und Schwestern hinweg auf Renate.

      Ihre Blicke trafen sich. Sie sah, wie es in von Eberingens Augen aufblitzte. Seinen Mund konnte sie nicht erkennen. Der war vom Mundschutz verdeckt. Aber sie hatte das Gefühl, er würde lachen.

      Aus der Entfernung beobachtete sie die Operation. Ihre Hände hielt sie auf dem Rücken. Die Finger krampften sich ineinander. Gespannt verfolgte sie jeden Befehl, jeden Handgriff, soweit sie den erkennen konnte. Und selbst ein Laie hätte begriffen, dass es eine Operation auf Leben und Tod war.

      Plötzlich fuhr sie zusammen. Sirenengeheul. Noch nie hatte sie dieses nerzermürbende Geheul so gepeinigt wie gerade jetzt.

      Werden sie weitermachen? Oder müssen sie die Operation abbrechen?

      Sie sah, wie der Professor den Kopf hob, sah, wie Dr. Klein nickte und auch Dr. von Eberingen den Kopf senkte.

      Sie fürchtete schon, es werde abgebrochen, aber dann ging es weiter.

      Am Kopfende des OP-Tisches stand das Atmungsgerät. Der Beutel blähte sich auf, fiel zusammen, in rhythmischen Abständen. Immerzu beobachtete sie diesen Beutel. Solange er sich aufblähte, würde Doyle leben.

      Ich will, dass er lebt! Ich will, dass er wieder gesund wird!, schrie es in ihr. Die Knöchel ihrer Finger wurden weiß, aber sie achtete nicht darauf. Ganz fest presste sie die Finger ineinander, als könne sie so mithelfen, den Kampf gegen den Tod zu gewinnen.

      Flugzeuge brummten am Himmel. Aber es geschah nichts. Die Entwarnung kam. Und noch immer operierten die Ärzte.

      Endlich war es so weit. Der Professor drehte sich um, entdeckte Renate und nickte ihr zu.

      Der väterliche Blick seiner gütigen Augen besänftigte ihre Nervosität. Sie fühlte sich erleichtert.

      Eine Schwester zog dem Chirurgen die Gummihandschuhe herunter. Er nahm sich den Mundschutz ab und löste die Gummischürze. Lächelnd trat er vor Renate hin und gab ihr die Hand. „Ich glaube, wir haben gewonnen. Er wird ein paar Tage in die Sonderstation kommen. Sie werden ihn pflegen, Füllen.“

      „Herr Professor, die Oberschwester ...“, wandte Renate ein.

      Er legte seine Hand auf ihrem Arm. „Kind, kümmern Sie sich nicht um die Oberschwester. Sie pflegen ihn. Und damit basta! Ich hoffe, er wird in acht Wochen aus dem Gröbsten sein. Das schaffen wir nur, wenn wir ihm etwas Hilfestellung geben. Ich glaube, das könnten Sie wie kein anderer.“ Er beugte sich vor und flüsterte: „Dieser verfluchte Krieg kann nicht mehr lange dauern. Die Amerikaner sind bei Remagen über den Rhein gekommen. Und dann hat Ihnen keine Oberschwester etwas zu befehlen. Halten Sie noch solange durch! In zwei Wochen ist für uns der Krieg aus.“

      Sie spürte plötzlich Misstrauen. „Haben Sie sich deshalb so um ihn bemüht?“, fragte sie skeptisch.

      Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein, Füllen. Vielleicht Klein oder von Eberingen, aber ich nicht. Übrigens könnte ich Ihnen die gleiche Frage stellen. Na?“ Er lachte leise. „Sie sind ebenso empört wie ich, nicht wahr? Kommen Sie, Füllen, wir wollen zusammen eine gute Tasse Kaffee trinken. In einer Viertelstunde habe ich den nächsten Patienten, und an dem nehme ich das gleiche СКАЧАТЬ