Название: Du bist ok, so wie du bist
Автор: Katharina Saalfrank
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Современная зарубежная литература
isbn: 9783833874574
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Wenn ich nun von einem neuen Umgang und einer veränderten Haltung Kindern gegenüber spreche, dann geht es nicht darum, festzustellen, dass die Generationen vorher alles »falsch« gemacht haben, sondern darum, auf der Basis heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse darüber, wie sich Kinder gut entwickeln, ein ganz neues Verhältnis zu ihnen herzustellen.
Alte Pfade verlassen, neue Wege gehen
Für dieses neue Verhältnis braucht es bestimmt kein Studium oder einen »Elternführerschein«, um auf die Bedürfnisse von Kindern eingehen zu können. Erforderlich wäre zunächst ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass Kinder nicht im herkömmlichen Sinne erzogen werden müssen. Dass Respekt und Gehorsam keine kindgerechten Kategorien sind. Dass Kinder stören dürfen. Genauso wie es auch einer GESELLSCHAFTLICHEN AKZEPTANZ bedurfte, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind oder dass die sexuelle Orientierung kein Werturteil über Menschen bedingen darf.
Zwar haben sich gerade im Lauf der Zeit neue Tendenzen herausgebildet, haben sich die Formen und Modelle der Erziehung immer wieder gewandelt. Letztendlich jedoch ist es immer das eine geblieben: Erziehung. Die Modelle haben sich verändert, die grundsätzliche Haltung zu Kindern nur wenig.
Viel Input, wenig Handlungskonsequenz
Denker wie Jean-Jacques Rousseau, der sich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts des Themas Erziehung angenommen hat, haben unser Wissen über »Kindheit« entscheidend erweitert. Johann Heinrich Pestalozzi an der Schwelle zum 19. Jahrhundert oder Maria Montessori in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts haben wesentliche Beiträge zu einer den Kindern zugewandten Pädagogik geleistet. Inspiriert unter anderem von Sigmund Freud haben Pädagogen, Psychologen und Psychoanalytiker die Fragen nach frühkindlichen Erfahrungen, Traumata und Prägungen zu ihrem Anliegen gemacht. Alice Miller, eine Gewährsfrau auch meiner Arbeit, beschrieb eindrucksvoll die vielen Hemmnisse und Hindernisse der Erwachsenen beim Verstehen von Kindern. Entwicklungspsychologen begreifen und beschreiben heute gut, was Kinder in welchen Stadien ihrer Entwicklung brauchen, wie ihre Bedürfnisse erkannt und beantwortet werden können. Viel angekommen in den Familien und in der allgemeinen gesellschaftlichen Diskussion darüber ist davon jedoch nicht.
Wenn wir uns also auf ein neues Ziel verständigen und Kindern ein gesundes Aufwachsen ermöglichen sowie eine KINDGERECHTE ENTWICKLUNG zugestehen wollen, dann, so bin ich überzeugt, müssen wir ganz neue Wege finden, um das zu gewährleisten. Ich weiß, dass eine solche Situation, ein scheinbares Vakuum, vorübergehend unsicher macht. Noch unsicherer, als wir ohnehin schon sind. Diese Situation bietet andererseits auch Chancen. Denn sie gibt Raum zum Nachdenken. In einer so beschleunigten Welt wie der heutigen, in der jedermann jederzeit auf neueste Informationen zurückgreifen kann, in der jedermann jederzeit möglichst schnelle, richtige und effiziente Entscheidungen treffen soll, können und dürfen wir uns an dieser Stelle Entschleunigung erlauben.
Ich erlebe Eltern immer wieder als sehr offen für Neues und glaube mit ihnen an die Möglichkeit einer grundlegenden Veränderung. Allerdings gibt es wenig, an dem wir uns orientieren können. Nur in einem scheinen wir uns sicher: Das Autoritäre, das uns geprägt hat, haben wir überwunden. Ob das tatsächlich so ist? Ich bin mir da nicht so sicher.
In meiner Arbeit mit Familien begegnen mir viele verschiedene Einstellungen und Erziehungsansätze – zwei unterschiedliche möchte ich näher beschreiben.
Zwei »beliebte« Irrtümer – Schmerz- und Konfliktvermeidung
Es gibt zum einen die Eltern, die ihren Kindern (scheinbar) negative Erfahrungen ersparen wollen und sie von jeglichem Schmerz fernzuhalten trachten.
Auf dem Spielplatz ruft die Mutter sorgenvoll der zweijährigen Charlotte nach, sie solle langsam laufen, sonst falle sie noch hin. Sie folgt ihr aus Angst, sie könne abrutschen, hinunterfallen und sich wehtun, schnell zum Klettergerüst, um zu verhindern, dass sie selbstständig hinaufklettert. Charlotte macht den ersten Schritt auf die Stufe. Die eine Hand der Mutter am Bein, die andere am Rücken. Die Mutter lässt Charlotte nicht aus den Augen und aus den Händen, begleitet sie auf Schritt und Tritt.
Eltern wie die Mutter von Charlotte haben die Vorstellung, dass Kinder keine »Fehltritte« machen, dass sie immer »glücklich« sein sollen. Sie sollen keinen Schmerz empfinden, keine Tränen weinen, sie sollen nicht unglücklich sein. So verhindern sie (in gutem Glauben) jedoch wichtige Entwicklungen bei ihren Kindern. Eltern, die sich so verhalten, nehmen den Kindern die Möglichkeit, EIGENE ERFAHRUNGEN mit sich selbst und der Umwelt zu machen: zu erfahren, wie man Gleichgewicht hält, wie viel Kraft es kostet, sich hochzuziehen, und auch zu erfahren, wie sich eine Beule oder ein blauer Fleck anfühlt. Dies alles sind grundlegende Erfahrungen im Leben.
Kinder begreifen ihre Umwelt, und es ist wichtig, dass sie forschen, ausprobieren, autonom werden und ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen. Dabei geht es nicht darum, Kinder ernsthaften Gefahren auszusetzen oder sie sich selbst zu überlassen. Das wäre grob fahrlässig und natürlich nicht im Sinne des Kindes. Eine »Überbehütung« – ihnen gar keinen Raum zu geben, sie aus Furcht vor Schmerz oder Verletzung vor allem »Unglück« bewahren und ihnen jede Hürde aus dem Weg räumen zu wollen – ist aber genauso problematisch und hemmt die Entwicklung von Kindern.
Alle Gefühle sind wichtig: Ohne Schmerz keine Freude
Schmerz, Verletzung, ÄRGER UND KRISEN, das alles ist negativ belegt, es gehört jedoch genauso zum Leben wie GLÜCK UND FREUDE. Das eine kann man nur wahrnehmen, wenn das andere auch vorhanden ist. Kinder kommen mit vielen Potenzialen und Kompetenzen, talentiert, offen und klug auf die Welt – ihnen fehlt es lediglich an Erfahrungen. Diese Erfahrungen müssen sie selbst machen dürfen. Eltern, die ihren Kindern jeden Wunsch von den Augen ablesen, die ihnen alles kaufen, alle Wünsche erfüllen, rauben ihnen wesentliche positive emotionale Erfahrungen, nämlich die, sich nach etwas zu sehnen oder sich auf etwas zu freuen.
Mit Kindern im Dialog
Natürlich gibt es auch Erfahrungen, die wir selbst gemacht haben und die wir unseren Kindern ersparen wollen. Das geschieht in der vermeintlich guten elterlichen Absicht, die eigenen Kinder vor scheinbar »schlechten Erfahrungen« beschützen zu wollen, und ich kann den Wunsch auch verstehen. Trotz allem ist ein solcher Umgang nicht hilfreich und entwicklungsfördernd. Die Mär vom »immerzu glücklichen Kind« ist ein Auswuchs einer als modern empfundenen Erziehung. Dem Kind wird so nämlich suggeriert: »Du bist nicht o. k., so wie du bist – mit deinem ENTDECKERTRIEB. Ich muss auf dich aufpassen, meine elterliche Fürsorgepflicht ist es, dir alle Wege zu ebnen.« Nach meiner Erfahrung beschneidet eine solche Haltung das Kind in seiner Entwicklung und beraubt es grundsätzlich der Möglichkeit, die Welt selbstständig zu erkunden.
Kinder brauchen eigene gelebte Erfahrungen und keine von uns gewonnenen und weitergegebenen Weisheiten. Strategien im Umgang mit körperlichem Schmerz – etwa das Hinfallen auf dem Spielplatz – und seelischem Schmerz – zum Beispiel auch der Tod einer nahen Person oder die Erfahrung, dass sich ein dringender Wunsch nicht erfüllen wird – lassen sich nur durch EIGENES СКАЧАТЬ