„So ist das, wenn man zu sehr über den Dingen steht und keinen anderen neben sich dulden kann, Bronson!“, stieß John hervor.
Langsam verloschen Bronsons Augen, und John war nicht sicher, ob ihn der Mann noch verstanden hatte. Es war zu Ende.
John hob die Tasche auf. Das Blut lief ihm nun schon über die Hand, und die Schmerzen bohrten in seiner Schulter. Er wandte sich ab und lief durch den zerstörten Korral. Als er dahinter das Pferd nicht sehen konnte, ließ er die Tasche fallen, zerrte sich die Jacke hinunter und zog das Messer aus dem Stiefelschaft. Er schnitt den Ärmel unter der Schulter ab und sah eine breite Fleischwunde, die stark blutete. Er verband sich notdürftig mit dem Jackenärmel, hob die Tasche auf und ging weiter, um das Pferd zu suchen.
*
Einen Sonnenstrahl irrte durch das kleine Fenster neben der Tür und zeichnete einen hellen Fleck auf die Wand im Office.
Sechs Männer standen vor dem rohen Brettertisch und blickten auf John Slade, der in einem schäbigen Sessel saß und vom Barbier verbunden wurde.
„Auf die wären wir nicht gekommen“, brummte der Storekeeper. „Aber dem Vormann … Na ja, dem wäre so was schon zuzutrauen gewesen.“
Der Richter schob sich in den Vordergrund, räusperte sich und sagte amtlich: „Es wäre also festzustellen, dass Sie die Banditen und Bronson in Notwehr erschossen haben.“
„In Notwehr“, sagte John mit einem dünnen Lächeln. „Ich hätte Sie sicher nicht um Ihre Arbeit und die Leute der Stadt nicht um Ihre Freude betrogen, wenn es möglich gewesen wäre.“
Die Gesichter der Männer wurden lang. Ein paar gingen rückwärts und verließen das Office mit hochgezogenen Schultern.
„Da wäre noch etwas“, sagte der Richter. „Das hätte ich bald vergessen.“ „Na eben!“, rief der Büchsenmacher. „Das müssen Sie sich ansehen, Marshal. Das ist vielleicht eine tolle Erfindung!“ Der Friedensrichter brachte eine Fotografie aus der Tasche und legte sie vor John auf den Tisch. Es war ein ziemlich finsteres Bild, das sechs Männer zeigte, die auf ein Haus schossen, an dem ein großes Schild hing. Auf dem Schild stand „Wells Fargo“.
„Erkennen Sie einen, Marshal?“, fragte der Friedensrichter.
„Calling“, sagte John. „Den würde ein Blinder erkennen.“
„Das ist doch ein Ding, was?“, rief Burke. „Das ist, als ob man sich im Spiegel sieht, es ausschneiden und auf Papier kleben könnte!“
„Es ist eine Fotografie“, sagte der Richter steif. „So etwas gab es während des Krieges schon, Mr. Burke.“
„So?“ Der Büchsenmacher zwinkerte komisch und legte den Kopf schief. „Hab ich aber noch nie gesehen, Josuah.“
„Euer Ehren, wenn ich bitten darf!“, rief der Friedensrichter streng. „Ich bin dienstlich hier. Gewissermaßen als Untersuchungsrichter!“
„So, dann wäre das in Ordnung“, sagte der Barbier, knotete den Verband an Johns Arm fest und ging um den Tisch herum.
„Ich weiß noch nicht, woher Sie das Bild haben“, sagte John. „Das würde mich schließlich auch interessieren, Euer Ehren.“
„Ein US-Marshal aus Montana war hier. Er kam mitten in der Nacht und ließ das Bild da.“
„Und wo ist er jetzt?“
„Er ist sofort weitergeritten, als er hörte, dass die Kerle nach Nordwesten sind. Mit zwei frischen Pferden.“
„So. Na ja, dann kommt er sicher noch mal zurück. Ist sonst noch etwas?“
Der Friedensrichter blickte die anderen an, dann schüttelte er den Kopf.
„Nein, nichts, Marshal. Im Namen der Bürger möchte ich Ihnen noch für Ihre Mühe danken. Und natürlich auch in meinem eigenen Namen, versteht sich, Marshal. Mancher hat sich vielleicht nicht ganz richtig verhalten. Na, wir müssen eben etwas dazulernen. Sie wissen ja, man lernt dazu, solange man lebt.“
„Ja, ja“, sagte John und schloss die Augen.
„Der Marshal hat eine Menge Blut verloren“, sagte der Barbier. „Er kann sicher Ruhe vertragen.“
John hörte die Männer gehen und war gerade am Einschlafen, als Ina hereinkam. Er öffnete die Augen, sah ihren strahlenden Blick und hörte sie sagen: „Ich kann meinen Vertrag bei McDowell auf der Stelle kündigen, John.“
„Hast du ein Glück.“
„Wir nehmen die Postkutsche nach Süden. Sie kommt heute hier durch, John!“
Er stand auf, blickte an sich hinunter und vermisste den Stern an seiner Jacke.
„Na eben, wo hast du den denn?“, fragte das Mädchen.
„Den hat Bronson vielleicht noch in der Tasche. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich meinen Vertrag nicht so ohne Weiteres kündigen kann, Ina. Ich muss schon noch ein paar Jahre hier in Bighorn Springs bleiben. Tut mir leid.“
„Du willst hier nicht weg?“, fragte das Mädchen enttäuscht.
„Nein. Warum denn auch? Du weißt doch, dass es in anderen Städten nicht anders ist. Aber vielleicht hat sich hier nun etwas geändert. Es könnte doch sein – oder?“
„Ziemlich unwahrscheinlich.“ Ina setzte sich und blickte auf die ramponierte Tasche mit dem Geld, die noch immer auf dem rohen Brettertisch lag. „Das ist es also.“
„Ja, das ist es.“
Ina sah sich um. Die Tür stand offen, aber es war weder im Office noch draußen jemand zu sehen. Sie schaute John wieder an und lächelte. „Wenn wir nun die Kerle aus Montana wären, könnten wir ziemlich einfach damit verschwinden, was?“
„Sicher.“ John lächelte sie an. „Zu dumm, dass wir nicht wie diese Kerle sind.“
„Ja, das ist wirklich zu dumm“, seufzte das Mädchen. „Ich kann also jetzt machen, was ich will?“
„Was meinst du?“
„Na ja, ich meine, ich kann fortfahren – oder hierbleiben.“
„Ja. Du hast gewissermaßen die freie Auswahl, Ina. Das hat aber bestimmt nichts mit deinem Job bei McDowell zu tun. Du findest hier auch noch was anderes.“
Ina stand langsam auf. „Ein versteckter Heiratsantrag war das nicht eben John?“
John Slade schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht, Ina, das kann ich dir schwören!“
ENDE
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