Название: Omnipotens
Автор: Thorsten Klein
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Контркультура
Серия: PSYCHE
isbn: 9783347093713
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Aber es würde wiederkommen. Hoffte er. Wenn die Weißen, so nannte man die Konterrevolutionäre, erst einmal aus dem Land gejagt wären. Hoffte er.
Die ließen sich nicht wegjagen, sondern wehrten sich mit Gewalt gegen diese Vertreibung und zwangen die Revolutionäre damit ebenfalls zur Gewalt. Es ging also nur so. Die Guten mussten böse sein, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen.
An diese Ausrede klammerte er sich. Wie der Bergsteiger an den einzigen Felsvorsprung, der an einer glatten und viel zu hohen Wand zu finden war. Unter sich einen gähnenden Abgrund. Über sich, in weiter Ferne, der Gipfel, den es zu erklimmen galt. Wenn er noch die Kraft und den Mut dazu fand. Er hatte beides verloren. Aber er hoffte auf die Frau neben ihm. Sie würde ihm neue Kraft verleihen.
Alexandra war entsetzt über das Kriegsgeschehen. „Wie lange geht das schon so?“
„Der Krieg? Schon länger als ein Jahr.“
„In dieser Stadt?“
„Nein, im ganzen Land. Es ist zerrissen zwischen denen, die noch dem Alten anhängen, und uns Revolutionären. Außerdem drängt es die Völker dieses Riesenreiches dazu, ihre Selbständigkeit zu wollen und sich von Moskau loszusagen.“
„Dann gebt ihnen ihre Selbständigkeit.“
„Du sagst das so einfach. Bolschoi musste im Friedensvertrag mit den Deutschen schon so viel Land hergeben, er will nicht noch mehr verlieren. Wer gibt schon gern ein Imperium auf?“
„Ein Imperium aufgeben? Wir sind Revolutionäre. Unser Imperium ist die ganze Welt. Ist Bolschoi jetzt ein Zar und toleriert das da?“, fragte Alexandra und wies auf die brennende Stadt.
„Es ist alles viel komplizierter, als das da. In dieser Stadt sind die Verhältnisse noch einfach. Dort kämpfen nur Russen gegen Russen. Rote gegen Weiße. Also Gute gegen Bösen und damit gibt es klare Fronten. Im Moment haben wir gewonnen. In dieser Stadt. Aber in diesem Riesenreich kämpft jeder gegen jeden und ein Sieger ist nicht in Sicht.“
„Was sagt der Hohe Rat dazu?“
„Den Hohen Rat interessiert Psyche inzwischen sehr wenig. Gerrich und Huldrich haben hier das Sagen. Sie warten auf eines jener Ereignisse, so sagten sie mir vor kurzer Zeit, welches manchmal ganz plötzlich die Geschicke der Völker verändert.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Ich musste auch erst das MindNet befragen. Es ist ein Alexandre-Dumas-Zitat. Aus den „Drei Musketieren“. Richelieu sagte das, als er Milady den Auftrag erteilte, Lord Buckingham zu ermorden.“
„Gerrich und Huldrich wollen jemanden ermorden?“
„Das können sie nicht. Dagegen steht das Innere Gesetz. Sie hoffen, einer von uns wird ermordet und den anderen bleibt nichts weiter übrig, als diesen Scheiß hier schnell zu beenden, weil sie all ihre politische Kraft benötigen, um ihre neue Macht zu festigen. Die Frage ist nur, wer wird ermordet und von wem? Potentielle Mordopfer wären: Bolschoi, Wissarew, Woronesch, Woronzow oder dieses Ekel Tscherkassow, mein ganz besonderer Feind. Irgendjemand von denen will auch mich ermorden. Versuche dazu gab es bisher ausreichend. Aber Vollbürger sterben nicht so schnell.“ Den letzten Satz spuckte er fast aus.
Alexandra sah ihn an. Er sah ausgemergelt aus, seine Haut war grau. Trotzdem wirkte er immer noch jung. Aber nicht mehr so jungenhaft wie einst. Ein schneller Scan zeigte ihr, das warme, rote Feuer der Revolution war aus seinem Inneren Ich verschwunden. Dort brannte jetzt eine kalte, blaue Flamme, die ihn verzehrte.
Und die heller leuchtete, als er weitersprach: „Bolschoi wird sicher als erster draufgehen. Er ist der Älteste von uns und hat gerade erst zwei Attentate überlebt. Negative Begleiterscheinungen seines Zarentums. In diesem Land ist der, der ganz oben steht, immer der Zar. Auch wenn er keine Krone trägt und sich anders nennt. Als Zar hat er auch das Privileg, auf der Abschussliste von Extremisten zu stehen.“
„Willst du ganz oben stehen?“, fragte Alexandra erstaunt, die in Michaels Innerem Ich solche Wünsche erkennen konnte.
„Ich? Ganz oben? … Warum eigentlich nicht? … Wenn ich dadurch diese Revolution retten kann. Siehst du eine bessere Alternative?“
„Jede Alternative ist besser, als deine Trennung vom Inneren Gesetz. Wenn du dir in Psyche Wahre Macht erkämpfst, hast du jedes Recht auf dein Vollbürgertum verloren.“
„Aber es ist für eine gute Sache!“, warf er ein.
„Seine eigene Moral über den Haufen zu werfen, nur um der Chimäre Macht hinterher zu rennen, kann niemals eine gute Sache sein. Wo ist der Michael, der auf einer friedlichen Revolution bestanden hat, und die auch gegen den Willen von Bolschoi, Wissarew und Tscherkassow durchsetzen konnte?“
„Ich glaube, der ist in den Wirren dieses Bürgerkrieges gestorben. Einer allein kann zwar Frieden wollen, aber ihn nicht durchsetzen.“ Seine Resignation war fast greifbar.
„Dann versuch es wenigstens. Rede mit denen, die in Russland Macht ausüben. Sprich mit Bolschoi. Auf ihn hören alle.“
Michaels Lachen war noch furchtbarer als sein Äußeres. „Bolschoi? Auf den hört keiner mehr. Er ist verletzt, er ist krank und alle zählen nur noch die Tage, bis zu seinem baldigen Tod. Die anderen hoffen, er möge bald sterben. Du glaubst mir nicht? Besuch ihn doch. Dann wirst du sehen, dass er bald sterben muss.“
Ort: Psyche, Bad Döttelbach, Schwarzwald
„So schnell stirbt man nicht, Herr Minister. Wir wandern auf diesen Berg. Wir lassen uns von diesem Spaziergang nicht abhalten. Sie müssen keine Angst davor haben, hinauszugehen. Hier im Schwarzwald geschieht Ihnen nichts, hier wird Sie keiner umbringen.“
„Glauben Sie mir, mein lieber Kriminalrat Renatus, die Kugel, die mich töten soll, ist schon gegossen.“
„Das mag sein, Herr Minister, aber in meiner Begleitung genießen Sie Polizeischutz. Auch wenn ich im Moment auch nur ein Urlauber bin. Ein Polizist ist immer im Dienst.“
„Ein Minister auch, Herr Kriminalrat. Trotzdem muss man ein wenig entspannen. Sie haben vollkommen recht, wir werden diese Wanderung auf den Berg machen. Ein wenig frische Luft tut immer gut. Vor allem in dieser Gegend.“
Der Minister stand auf und zog sich seine Jacke an. Mit Mühe, wie der Polizist sehen konnte. „Tut die Schulter immer noch weh?“, fragte er deshalb.
„Er muss ein erbärmlicher Schütze gewesen sein. Obwohl er ein Offizier war. Der erste Schuss ging in die Schulter, mit dem zweiten traf er die Brotbüchse in meiner Aktentasche. Dabei war noch heller Tag, als er vor dem Moabiter Amtsgericht auf mich geschossen hat.“
„Vielleicht hatten Sie einen Schutzengel?“ Der Polizist kannte sich damit aus. Er war schon seit Jahrhunderten ein Schutzengel. Nicht nur als Polizist.
„Ich hatte einfach Glück. Das hat man nicht so oft. Aber der Täter ist im Gefängnis und wird es erst in fünfzehn Jahren verlassen“, meinte der Minister.
„Man sagt, er hätte einer Geheimorganisation angehört. Die wäre noch aktiv. Sie befinden sich also durchaus noch in Gefahr, Herr Minister.“
„Gefahr besteht СКАЧАТЬ