Название: Solo für Schneidermann
Автор: Joshua Cohen
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783731761006
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die schönsten Tage des Jahres, wird immer gesagt und gesungen,
ach, ich liebe Weihnachten im Exil!
das war der für mich zugänglichste und empfänglichste Konzertsaal, das Exil – ausgezeichnete Akustik, wenn vielleicht auch potenziell etwas zu viel Hall,
und was das Potenzial angeht:
wo ist der Brandschutzbeauftragte, wenn man ihn mal braucht? warum sind plötzlich so viele Gesetzeshüter mitten unter uns? wer hat da angerufen? praktisch ein ganzes Kommando, in meinem Refugium: na, willkommen!
wer war Ihr Kartenabreißer? Haben Sie Ihre Mäntel abgegeben?
Und Ihre Waffen?
Hinter welche Sache und nicht hinter wen genau wollen Sie sich eigentlich dienend und schützend stellen?
Hinter Schneidermann standen Sie nämlich bestimmt nicht, als letztes Purim in seine Zimmer eingebrochen wurde, aber Gott sei Dank gab es da nichts zu stehlen. Hinter Schneidermann nämlich bestimmt nicht, denn als er sich einmal hübsch für Pessach herausgeputzt hatte (in einem alten schmutzigen Mantel von mir), wurde er ausgeraubt, und als der Räuber zu seinem großen Erstaunen merkte, dass der elegant gekleidete Beraubte kein Geld dabeihatte, schlug er ihm schnurstracks noch einen Zahn aus. Hinter Schneidermann nämlich bestimmt nicht, denn dem haben Sie hundert Dollar und wer weiß wie viel Kleingeld als Buße abgeknöpft – die ich bezahlt habe, weil Schneidermann sie definitiv nicht hatte –, weil er die Hälfte einer selbstgedrehten Zigarette geraucht hat, die er ganz höflich, wie Schneidermann erzählte, von einer Aids-geplagten Prostituierten geschnorrt hatte, die an den Schlangen vor dem Arbeitsamt den lieben langen Tag anschaffen ging,
und als er Ihrem Ersuchen, sie auszumachen, nachkam, als Schneidermann sie einfach zu Boden fallen ließ und mit seinen alten schiffsgroßen Schuhen unter der Anzughose im italienischen Stil zertrat, haben Sie ihn wegen Umweltverschmutzung festgenommen!
Schneidermann zu mir: Die Cops sind hinter mir her.
Schneidermann zu mir: Die Cops sind hinter mir her, weil ich Künstler bin.
Schneidermann zu mir: Die sind nur hinter den Hervorragenden her.
Schneidermann zu mir: Die wollen mich mundtot machen.
Schneidermann zu mir: Die haben mich mundtot gemacht.
Schneidermann zu mir: Ich kann nicht mehr komponieren, denn die Cops, die wollen genau das.
Schneidermann zu mir: Wo und wie kann ich mich zur Cop-Ausbildung bewerben?
Schneidermann zu mir: Als Cop bekäme ich neue Klamotten.
Schneidermann zu mir: Ich bekäme sogar ein Auto.
Schneidermann zu mir: Sirenen sind die effektivsten Instrumente der musikalischen Wahrheit, die der moderne Urbanismus bislang hervorgebracht hat,
und es ist ihm zu verdanken, dass ich neben meinen vielen anderen Talenten auch imstande bin, sie alle zu benennen, alle Sirenen nach ihrem Klang zu identifizieren, all die Sirenen, die diesen Winter in Stücke schlagen:
letzte Nacht lag ich auf meinem Bett unter dem Baldachin als der ultimativen Zurschaustellung des 21. Jahrhunderts,
dem Talmi des zweiten Jahrtausends,
ließ Eiswürfel auf entblößter Brust und Bauch schmelzen, auf einem Beistelltischchen der flache weiße Teller vom Zimmerservice,
das Geschmolzene ausgewrungen, altes Wasser mit meinen obendrauf schwimmenden Haaren von rötestem Grau,
Löckchen wie Segel,
nackt bis zur Taille, der große Naturschwamm, der Luffa einer Exfrau, ohne den ich nie auf Reisen gehe, tröpfelte einen Nabelteich zusammen,
ja, ich habe einen Nabel, ich bin kein Gott – ich behalte ihn, um mich an meine Mutter zu erinnern, die,
der in das nackte Tal in der Mitte meiner Brust gelegte Schwamm tropfte auf die Tagesdecke, durchnässte meine Bettwäsche bis auf die Flecken,
die Hölle sollte so heiß sein wie damals meine Hotelsuite! mit allem bis zum Maximum aufgedreht, bis auf einen riesigen Deckenventilator wie ein Sternbild aus Pflaumen,
ein echtes Feuer im Pseudokamin, dessen Schalter man wie einen dunklen Nippel umlegen muss,
ein notgeiler Heizkörper, der im Akkord keucht,
ein Mini-Kühlschrank mit sirrendem Metropolenmelos in a-Moll oder um den Dreh, und die Jalousien, sie hielten alles drinnen, als der Tag über dem Eis aufging und die Sirenen ihn heulend durchschnitten!
und die gingen mir unter die Haut:
Hupen hupten! plärrende und blökende! Hupen, in meinen europäischen Tagen auf eine verminderte Terz gestimmt, sind hier in Amerika anders gestimmt, setzen höher ein, weiter und disharmonisch, diesseits des Ozeans sind Hupen fast auf einen Tritonus gestimmt! den Intervall des Satans!
und die Sirenen auch! ja, bei Gott, die Sirenen! ihr Krach! ich konnte mir nicht helfen:
die Polizeisirenen, eine positive Identifikation, die Feuerwehrsirenen, ja, die Krankenwagensirenen, na ja, die von Herzattacken kündende Sirene, die von Herzstillstand, einem Infarkt kündende Sirene, die von Schusswechseln mit Todesfolge kündende Sirene, die von vorsätzlichem Mord kündende Sirene, die von Mord mit bedingtem Vorsatz kündende Sirene, die von Totschlag kündende Sirene, die von Liebesmord kündende Sirene (Gattenmord klingt anders als Gattinnenmord), die von einem Brand-»Unglück« kündende Sirene,
die von einem Chemikalien-»Störfall« kündende Sirene,
die von einem Autounfall kündende Sirene,
von einer fünffachen Massenkarambolage auf der George Washington Bridge,
von terroristischen Aktivitäten in den Morgennachrichten,
die Luftschutzsirenen tief in meinem Gedächtnis, mit den monatlichen Übungen, die jedem die Kultur vergehen ließen, und ich kannte sie alle,
kannte sogar einen Mann, der behauptete, seine Mutter hätte mit Doppler in seiner Prager Zeit geschlafen oder bei ihm studiert,
ich kannte meinen europäischen Humanismus nun wirklich vorwärts rückwärts seitwärts ran, wie Schneidermann und ich mal in einem Matineefilm gehört und rauf und runter wiederholt hatten, Schneidermann, er liebte diese Matineefilme einfach,
liebte Amerika, weil er das primitive Leben liebte,
und daher verdanke ich wahrscheinlich dem großen Pädophilen Sokrates diese Idee, die Idee für diese Ansprache, die Idee für diese Rede, die Idee für diesen Ausbruch oder dieses Zeugnis, diese, diese, letzte Nacht, als ich,
ich konnte nicht schlafen, wollte auch nicht schlafen, schlief jedenfalls nicht, tigerte also wach und stumpf herum, im benebelten Schmerz vom Nachtflug, aus L.A. zurück, Herrgott, hatte ich einen Jetlag! diesen bitteren СКАЧАТЬ