Название: Solo für Schneidermann
Автор: Joshua Cohen
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783731761006
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war es doch nicht so, als wäre dieses Werk, das mir gewidmet ist, auch für mich komponiert worden, meinen Fingern angepasst, war eine Expresswidmung, um’s so zu sagen, nein, mein Ego sollte der Nachwelt nicht in die Quere kommen – und ja, es gab andere:
Kohn war der erste, Schneidermanns virtuoser Berater in Sachen Violine und Urheber der ersten Kadenz dieses ersten und letzten Konzerts in einer früheren, zurückhaltenderen, aber eben auch unabgeschlosseneren Version – und unabgeschlossen wird es vielleicht immer bleiben –, Kohn war ein allzu gesetzter, superseriöser Mann, ein Möchtegernmoderner, den Schneidermann, er kannte ihn noch gut aus Budapester Konservatoriumstagen, und er versorgte Schneidermann mithilfe seines Arztbruders nicht nur mit den vielen Phiolen höchstreinen Morphiums, sondern auch mit einer sechs-siebenminütigen pyrotechnischen Persiflage auf das damals noch, immer noch und vielleicht immerwährend unvollendete Werk, das Schneidermann gleichwohl seit spätestens 1929 jedem Menschen in Hörweite angekündigt hatte.
auf Kohn folgte ein Raubitschek (später Roubíček), ein didaktischer, praxisfremder Geiger, der sich in der Rolle des Komponisten gefiel, ein Dilettant, von dem sich bei Patel & Son’s mit etwas Glück noch zwei oder drei Bände Etüden auftreiben lassen (und sei’s nur der geschichtlichen Vollständigkeit halber),
Raubitschek war sowohl als Künstler Kohns Rivale als auch im Buhlen um eine salonselige bourgeoise Blasspritsche mit schweren Lidern, deren Erwähnung hier und jetzt eigentlich gar nicht lohnt (eine stille Masturbine mit abgekauten Nägeln, die Tochter eines Korrektors des lokalen Salonblatts),
Raubitscheks Kadenz hatte Kohns weidlich ausgeweidet, aber rundgelutscht, war eine pedantische und trockene Erläuterung, aber wenn Sie mich fragen – was Sie nicht tun –, würde ich sagen, beide Kadenzen sind zu süßlich für den heute gängigen Sinn für Ironie; Anachronismen aus Samt und Spitze, die das Ego des Modernisten Kohn ebenso wie das des Sentimentalisten Raubitschek weniger vermitteln als schamlos zur Schau stellen und dadurch Schneidermann oder Schneidermanns Kunst keinerlei Respekt entgegenbringen, nicht den geringsten,
und wenn Sie sie fragen würden – was Sie nicht können, weil beide gestorben sind, einer am Herzen und einer am Krieg –, würde die Kunst als solche eine verschwindend geringe Rolle spielen im Vergleich zu ihrem! kompositorischen Talent, nur der Zimtschnaps spielte wirklich eine Rolle, Schachfreundschaften mit dem Mann, Schneidermann, dessen Talent sie nur misstrauen konnten, bevor das Talent ihnen misstraute.
An manchen Tagen waren sie seine Engel (Darlehen), an anderen seine Teufel (Zinsen), und sie hatten keine Ahnung, beide nicht, welchen Einfluss sie auf Schneidermann ausübten, Einfluss mehr im Sinne von Antieinfluss, sie hatten die Macht abzuschrecken, ihr Wirken – sie waren seine Shakespeare-Kumpane, seine Timon-Kumpel und die falschen Tröster für ihn, den Hiob,
sie brachten sich gegenseitig zur Straßenbahn, Arm in Arm vom nie im Trend liegenden Kesten-Salon, den keiner je ohne den anderen verließ (ach diese vaginabewehrte Blasspritsche …),
sie waren absolut wertlos, außer dass sie gute Beispiele für das abgaben, was unter allen Umständen verweigert, diskreditiert und vermieden werden musste (Zinswucher; sie ließen ihre Außenstände von Pests einzigem nüchternen Russen eintreiben),
sie waren Romantiker im Konzertsaal und gleichermaßen wertlose Klassizisten im Bett,
apollinisch in ihrer Konversation und dionysisch im Spiegeln,
Romantiker nach nur einem Glas Schnaps, und was mich angeht, verbindet mich so eine Hassliebe mit den beiden Polen Romantik und Klassik, aber nicht mit den Polen:
die hasse ich alle bis auf eine gewisse Jadwiga (Hedwig), die an der Endstation der Linie D wohnt, aber das ist schon fast die ganze Geschichte einer Welt, an die ich mich nur halb erinnern kann – und ich habe meine eigene Version davon, nicht hiervon, zweimal eingespielt, erst letzte Woche und für ein europäisches Label, ein deutsches Plattenlabel:
einmal privat erst letzten Donnerstag für einen bescheuerten, aber begüterten Gentleman aus Singapur, der von in Anführungszeichen moderner Musik völlig besessen ist,
und vorher einmal vor einem Monat für ein kleines europäisches, deutsches Label mit einem schauderhaften Vertrieb, praktisch inexistent, begleitet von einem auf den letzten Drücker zusammengewürfelten, überarbeiteten, aber unterbezahlten panslawischen Orchester (und fragen Sie bloß nicht nach der Qualität des Begleithefts, dessen Übersetzungen ich selber verbrechen musste),
und beide mit meiner richtigen Kadenz (nicht dieser), aber das ist noch nicht erschienen, auch wenn zwei meiner Schüler, Lohnkopisten, ihre Moderne daran wetzen, und für nähere Auskünfte,
falls es Sie interessiert,
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Kohn, der, ich studierte einst mit ihm an der Budapester Musikakademie,
und der – ich spielte für ihn einst, als ich zehn war, die Erste, Letzte und Einzige Sonate seines Vaters bei dessen Beerdigung (das Herz) – in Wirklichkeit mehr ein Romantiker war, viel mehr, er war geradezu exzessiv:
ein korpulenter Mann, der in seinen späteren Jahren sich, seine Karriere und sogar die Karrieren seiner schwächeren Schüler, seine Reputation, wenn man die so nennen kann, der Musik seines Vaters widmete (János Kohn, 1860–1917, Schneidermann zufolge einst der verheißungsvollste Schüler, der aus der Werkstatt des großen, aber inexistenten Komponisten Arkady Kitsch hervorging)
und darüber hinaus ging, sich der gigantischen Deutschen Moderne widmete oder zumindest dem, was er für Moderne hielt, denn Gott sei’s geklagt, Kohn hatte nicht das Talent – oder fehlte ihm die Disziplin, um die Klassiker zu bewältigen? – und verfälschte die Moderne, bei der keiner wusste, was er zu erwarten hatte, denn dem Bewährten, das alle Welt kannte und liebte, war er nicht gewachsen,
aber ich muss gerade reden: ehrlich gesagt, höre ich als Ehemann keine Musik, ich habe nicht einmal Musik, weder in Papierform noch in Fingerform oder in Kopfform, und wenn ich in letzter Zeit etwas höre, dann Felix Mendelssohn, ausschließlich Mendelssohn, warum, kann ich nicht sagen, ich höre ihn im Kopf, mit dem, was Leute, die es nicht besser wissen, als das innere Ohr bezeichnen,
mit dem Gehör selbst, mit der Wahrnehmung ohne die Fussel, das klebrige Zeug und das Wachs, obwohl mein Agent – Adam, bist du noch da? –, der Schmock, mir letzte Weihnachten eine Stereoanlage geschenkt hat, er nennt es zu den Feiertagen,
wie jetzt – eine riesige Stereoanlage, die wie ein Mutantenhirn aussieht oder wenigstens wie ein dreifacher Kleinhirnkrebs: ein Multifunktions-Polymodul irgendwo aus Asien, ich hab die Anlage nie eingestöpselt, hab sie lieber Schneidermann weitergereicht, noch in der Originalverpackung mit der glitzernden Schleifenzunge, und Schneidermann, er hat ein Couchtischchen draus gemacht (mit einer EL-AL-Decke, die ich für ihn habe mitgehen lassen, als Untersatz, auf dem er seine tropfende Teekanne aus Gusseisen abstellte),
was auch nicht viel lächerlicher ist als das Geschenk, das mein Sohn Noah mir letzte Chanukka überreicht hat: ein Paar asiatische Filzpuschen, die einen auch gleich wiegen, wenn man hineinschlüpft, und das Gewicht erscheint dann in LED-Ziffern an der abgeschabten Stelle über den Zehen, mein Sohn ist ein Marktkenner in Sachen technisch aufgerüstete Gesundheitsschuhe – was wird’s wohl nächstes Jahr, Noah? Mit ein bisschen Glück bin ich dann tot.
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