Название: Sophienlust Extra 12 – Familienroman
Автор: Gert Rothberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Sophienlust Extra
isbn: 9783740965655
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Gitta lag neben ihm und starrte in die Dunkelheit. Auch wenn sie jetzt das Bild der toten Frau in der Zeitung nicht mehr sehen konnte, blieb es doch vor ihren Augen.
*
Die kleine Gritli war nun schon vierzehn Tage in Sophienlust. Alle Nachforschungen der Polizei nach der Herkunft des Kindes waren vergeblich gewesen. Niemand schien Gritli zu vermissen. Genauso wenig wie die Tote.
Inzwischen hatte kaum noch jemand Zweifel daran, dass diese Frau Gritlis Mutter gewesen war. Alles, was das Kind erzählt hatte, wies darauf hin. Auf die Frage nach dem Vater schüttelte es nur immer wieder den Kopf, bis es zu Denise von Schoenecker sagte: »Ich habe keinen Vati. Nur eine Tante Gitta. Aber die war nicht bei uns.«
Manches Widersprüchliche tauchte in Gritlis Plappereien auf. Doch man musste ihr zugute halten, dass sie noch sehr klein war und dadurch vielleicht einiges durcheinanderwarf. So sagte sie zum Beispiel, dass ihre Mutti in einer Fabrik gearbeitet habe, aber dass sie nicht in der Stadt, sondern auf einem Berg gewohnt hätten.
Dr. Anja Frey hatte darauf gedrungen, dass man das Kind zur Ruhe kommen ließ. Dafür hatte die Ärztin auch einen ganz bestimmten Grund. Sie und ihr Mann, Dr. Stefan Frey, hatten das Kind gründlich untersucht. Anfangs nur aus Vorsorgemaßnahmen, bald aber wegen bestimmter Beobachtungen. Gritli war nicht nur von Natur aus ein zartes, anfällig erscheinendes Kind, sie besaß auch einen schweren Herzschaden. Das stellte sich schon in den ersten Tagen heraus, als die Kinder von Sophienlust sich immer wieder darum bemühten, Gritli zum Spielen im Freien zu verlocken. Sie tat dann zwar ein paar Schritte, wollte so laufen wie die anderen, blieb aber stets bald stehen, rang nach Atem und wirkte durchscheinend blass. Meistens sagte sie dann: »Mutti sagt, ich darf nicht rennen.«
Anja Frey hatte einen sehr erregenden Verdacht. Deshalb bat sie Denise von Schoenecker, mit dem Kind in eine Klinik fahren zu dürfen.
Anja Frey fuhr mit Gritli nach Heidelberg. Als sie zurückkam, suchte sie sofort Denise von Schoenecker auf. Diese war sehr erschrocken über den Ernst auf dem Gesicht der jungen Ärztin.
»Sie bringen keine gute Nachricht, Frau Doktor«, sagte Denise mit schwerer Stimme. »Nicht wahr?«
»Die schlechteste. Eine, die ich befürchtet hatte. Aber bis knapp vor der Diagnose meiner Heidelberger Kollegen habe ich noch gehofft, dass mein Mann und ich uns geirrt hätten.« Anja Frey zuckte hilflos die Schultern, in ihren Augen stand Verzweiflung, als sie sagte: »Gritli hat ein Loch im Herzen.«
»Nein!« Denise neigte sich über den Tisch. In ihrem Gesicht arbeitete es. »Aber das ist doch lebensgefährlich«, murmelte sie und presste die Handflächen aneinander.
Anja Frey nickte. »Ja, das ist es. In der Klinik hat man sich sogar gewundert, dass Gritli bis jetzt durchgehalten hat. Merkwürdigerweise behauptet sie, nicht bei Ärzten gewesen zu sein. Aber ihre Mutter scheint von dem Schaden doch gewusst zu haben. Jedenfalls hat sie das Kind geschont und es immer wieder dazu angehalten, sich nicht zu übernehmen.«
Anja Frey stand auf und trat ans Fenster. Im Park unten tobten die Kinder. Gritli stand mit hängenden Schultern am Rand des Rasens und sah ihnen zu.
»Diese Ergebenheit ist mir zuerst aufgefallen, dieses traurige Gesicht, wenn die anderen Kinder spielten«, meinte die Ärztin. »Sie sagte auch jetzt, sie wolle nur zusehen. Andere Kinder wünschen sich, mitspielen zu können.«
Denise war neben die Ärztin getreten. »Ein so schwer krankes Kind hatten wir noch nie in Sophienlust«, sagte sie leise. »Ist es nicht schlimm genug, dass wir nicht wissen, wohin Gritli gehört?«
»Ja, man kommt in Versuchung, aufzubegehren.« Anja Frey strich sich über die Stirn.
»Und was raten Ihre Kollegen?«, fragte Denise von Schoenecker. »Gibt es eine Möglichkeit, zu helfen?«
»Eine einzige, Frau von Schoenecker.« Anja Frey ging zu ihrem Stuhl zurück und ließ sich darauffallen. »Eine Operation in der Mayo-Klinik.«
»In den USA?«, fragte Denise.
»Ja, in den USA, in Rochester. Nur in dieser Klinik hat man bisher mit Erfolg so schwere Operationen an Kindern durchgeführt. Sie werden sich daran erinnern. Man liest manchmal davon in den Zeitungen.«
»Ja. Und jedes Mal wird dann auch geschrieben, dass eine solche Operation und der wochenlange Aufenthalt in der Mayo-Klinik ein kleines Vermögen kosten.« Denise stand noch immer am Fenster. Ihr Blick hatte sich noch nicht von der kleinen Gritli gelöst. »Aber um ein Kind zu retten, dafür sollte einem kein Betrag zu hoch sein. Ich werde mit unserem Vermögensverwalter, Rechtsanwalt Dr. Brachmann, sprechen. Aus eigenem Ermessen kann ich eine so große Summe aus dem Erbe von Nicks Urgroßmutter nicht entnehmen.« Denise kam vom Fenster zurück. »Aber wir werden Gritli in die Mayo-Klinik bringen, wenn sie das retten kann.« Das sagte Denise mit sehr entschlossener Stimme. »Ich werde gleich heute Abend mit meinem Mann sprechen. Gibt es in der Mayo-Klinik eine Warteliste, Frau Doktor? Ich meine, sicher kann man nicht zu jeder x-beliebigen Zeit dorthin fahren.«
»Nein, das ist nicht möglich. Aber die Kollegen in Heidelberg wären bereit, mit den Ärzten der Mayo-Klinik Verbindung aufzunehmen. Ich konnte jedoch noch keine Zusage machen, weil ich nicht wusste, ob das Geld für die Operation aufgebracht werden kann.« Anja Frey sah noch immer bedrückt aus. »Leider sind mein Mann und ich nicht in der Situation, finanziell entscheidend helfen zu können. Wären wir dazu in der Lage, würden wir es tun. Wenn ich daran denke, dass das Leben unserer kleinen Felicitas davon abhängen könnte, dass man Geld aufbringt, weiß ich nicht, was ich alles unternehmen würde. Ich werde mich auch jetzt bemühen, Frau von Schoenecker, vielleicht einige Spenden zusammenzukriegen, damit nicht die ganze Belastung auf Ihnen allein liegt. Unser kleines Mädchen von nirgendwoher ist ja schon im weiten Umkreis bekannt. Oder besser – man kennt sein Schicksal und bedauert es sehr. Es sollte doch möglich sein, einige Leute mit Geld zu finden, die einmal ein gutes Werk tun wollen.«
Denise von Schoenecker war der jungen Ärztin dankbar, dass sie ihr zur Seite stehen wollte. Die beiden Frauen unterhielten sich noch geraume Zeit miteinander, bis Anja Frey etwas anderes einfiel. »Ich habe ganz vergessen zu sagen, dass Gritli auf jeden Fall einige Zeit warten muss, bis sie operiert werden kann. Man wollte sie in der Klinik behandeln, aber ich habe die Erlaubnis bekommen, das hier zu tun. Es geht nur darum, dass sich Gritli etwas stärkt, sie wäre in ihrem jetzigen Zustand zu schwach, um die stundenlange Operation durchstehen zu können. Ich habe mit meinen Kollegen die Therapie genau besprochen. Jetzt brauchen wir vor allem noch Schwester Regines Hilfe, damit der Plan genau eingehalten werden kann.«
»Mit Schwester Regine können wir immer rechnen, das wissen Sie, Frau Doktor. Ich glaube, jedes Mal, wenn sie ein krankes Kind pflegt, denkt sie an ihr eigenes Kind. Vielleicht nicht mehr in dem verzehrenden Schmerz wie früher, aber doch mit dem großen Wunsch, ein fremdes Kind zu retten, wenn sie schon ihrem eigenen Kind nicht helfen konnte. Ich werde sofort mit Schwester Regine sprechen. Ist es Ihnen recht, wenn sie heute Abend auf einen Sprung ins Doktorhaus kommt?«
»Ja, das ist mir sogar sehr recht. Ich freue mich jedes Mal, mit Schwester Regine ein Stündchen beisammen sein zu können.« Anja Frey verabschiedete sich.
Kurze Zeit später rief Denise von Schoenecker die großen Kinder ins Haus. Sie hatte sich vorgenommen, mit ihnen über Gritlis Krankheit zu sprechen. Sie sollten nun noch besser als zuvor auf das Kind aufpassen und es nicht zu Anstrengungen herausfordern.
Pünktchen, Angelika und Vicky waren die ältesten Kinder in Sophienlust, seitdem Malu und Isabel das Heim verlassen hatten.
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