Название: Der Glöckner von Notre Dame
Автор: Victor Hugo
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Große verfilmte Geschichten
isbn: 9783955011994
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Dieser Fluch erleichterte sein Herz ein wenig, und ein gewisser röthlicher Schimmer, den er in diesem Augenblicke am Ende einer langen und engen Gasse bemerkte, weckte schließlich seine Lebensgeister wieder. »Gott sei gelobt!« sagte er, »da unten ist's! Das ist mein Strohsack, der brennt!« Und sich mit dem Steuermanne vergleichend, welcher nachts umschlägt, setzte er fromm hinzu: »Salve salve, maris stella!« Richtete er dieses Litanei-Fragment an die heilige Jungfrau oder an den Strohsack? Wir wissen es nicht sicher.
Kaum hatte er einige Schritte in der langen Straße gethan, welche sich senkte, nicht gepflastert war und immer kothiger und abschüssiger wurde, als er etwas recht Sonderbares bemerkte. Sie war nicht öde: hier und da krochen einzelne und unförmliche Klumpen der Länge der Straße nach, und richteten sich nach dem Schimmer hin, welcher am Ende derselben zitterte, gleich jenen plumpen Insecten, die nachts von Grashalm zu Grashalm auf das Feuer eines Hirten zukriechen. Nichts macht den Menschen waghalsiger, als eine leere Tasche. Gringoire ging darauf los und hatte bald dasjenige dieser Gespenster eingeholt, welches sich am langsamsten hinter den andern dreinbewegte. Als er näher herankam, sah er, daß es nichts anderes als ein elender Krüppel war, welcher auf seinen beiden Händen fortkroch, wie eine verwundete Weberspinne, welche nur noch zwei Beine hat. In dem Augenblicke als er an dieser Art Spinne mit Menschengesicht vorbeikam, erhob sie ihre klägliche Stimme: »La buona mancia, signor! la buona mancia!«
»Hole dich der Teufel!« sagte Gringoire, »und mich dazu, wenn ich verstehe, was du sagen willst!«
Und er ging weiter.
Er holte einen andern dieser wandelnden Klumpen ein und betrachtete ihn. Es war ein Lahmer, hinkend und einarmig zugleich, und zwar derartig, daß die verwickelte Zusammenfügung von Krücken und Holzbeinen, auf welche er sich stützte, ihm das Ansehen eines wandelnden Mauergerüstes gaben. Gringoire, welcher die edlen und klassischen Vergleiche liebte, verglich ihn in Gedanken mit dem lebenden Dreifuß des Vulkan.
Dieser lebende Dreifuß grüßte ihn im Vorbeigehen, wobei er seinen Hut wie ein Barbierbecken unter Gringoire's Kinn hielt und ihm in die Ohren schrie: »Señor caballero, para comprar un pedazo de pan!«
»Es scheint,« sagte Gringoire, »daß der auch spricht; aber es ist eine rohe Sprache, und er ist glücklicher als ich, wenn er sie versteht.«
Dann griff er sich, infolge eines plötzlichen Ideentausches, an die Stirn: »Da fällt mir ein – was der Teufel wollten die heute Morgen mit ihrer ›Esmeralda‹ sagen?«
Er wollte seine Schritte verdoppeln, aber zum dritten Male versperrte ihm wieder etwas den Weg. Dieses Etwas, oder vielmehr dieser Jemand, war ein kleiner Blinder mit jüdischem, bärtigen Gesichte, welcher den Ort rings um sich her mit einem Stocke betastete und von einem großen Hunde gezogen, ihm mit ungarischem Accente zunäselte: »Facitote caritatem!«
»Gott sei Dank!« sagte Peter Gringoire, »da ist doch endlich jemand, der eine christliche Sprache spricht. Ich muß wohl recht wie Almosengeben aussehen, daß man mich bei dem magern Zustande, in dem sich meine Börse befindet, so um ein Almosen bittet.«
»Mein Freund (er wandte sich an den Blinden), ich habe vergangene Woche mein letztes Hemd verkauft; das heißt, weil Ihr nur die Sprache Cicero's versteht: Vendidi hebdomade nuper transita meam ultimam chemisam.«
Nach diesen Worten kehrte er dem Blinden den Rücken zu und setzte seinen Weg fort. Aber der Blinde begann zu gleicher Zeit, wie er, seine Schritte zu verdoppeln; und auch der Lahme und der Krüppel machten sich ihrerseits mit großer Hast und lautem Napf- und Krückengeklapper auf dem Pflaster hinter ihm her. Dann schrien alle drei zugleich hinter dem armen Gringoire her, jeder sein Lamento.
»Caritatem!« heulte der Blinde.
»La buona mancia!« heulte der Krüppel.
Und der Lahme vollendete den Singsang, indem er wiederholte:
»Un pedazo de pan!«
Gringoire hielt sich die Ohren zu: »O Thurm zu Babel!« rief er.
Er fing an zu laufen. Der Blinde, der Lahme, der Krüppel jagten hinter ihm her. Und je weiter er in die Straße hineindrang, vermehrten sich Krüppel, Blinde, Lahme um ihn her, und Einarmige, Einäugige, Aussätzige mit ihren Wunden kamen aus den Häusern, aus den kleinen Straßen nebenan, aus den Kellerthüren, heulend, brüllend, kreischend, alle humpelnd, ungern, nach dem Lichte zu eilend und im Kothe sich wälzend wie Schnecken nach dem Regen.
Gringoire, immer von seinen drei Verfolgern begleitet, wußte nicht recht, was daraus werden sollte, und lief bestürzt mitten unter den andern, stieß die Lahmen bei Seite, stolperte über die Krüppel, die Füße in den Haufen der Hinkenden verwickelt, wie jener englische Kapitän, der in einen Haufen Seekrabben hineingerieth.
Er kam auf den Gedanken, den Versuch zu machen, wieder umzukehren. Aber es war zu spät. Das ganze Heer hatte sich hinter ihm geschlossen, und seine drei Bettler hielten ihn fest. Er ging also vorwärts, zugleich von dieser unwiderstehlichen Flut, von der Furcht und von einem Schwindel getrieben, der ihm alles ringsum wie einen entsetzlichen Traum darstellte.
Endlich erreichte er das Ende der Straße. Sie mündete auf einen ungeheuern Platz, wo zahllose zerstreute Lichter im wankenden Nachtnebel zitterten. Gringoire warf sich dorthin, in der Hoffnung, durch die Schnelligkeit seiner Beine den drei gebrechlichen Gespenstern zu entgehen, die sich an ihn geklammert hatten.
»Onde vas, hombre?« schrie der Lahme, indem er dabei seine Krücken wegwarf und mit den zwei gesundesten Beinen, die jemals einen festen Schritt über das Pariser Pflaster gemacht haben, hinter ihm herlief.
Währenddessen deckte der Krüppel, der kerzengerade auf seinen Beinen stand, Gringoire seinen großen eisernen Napf über den Kopf, und der Blinde sah ihm mit flammenden Augen in das Gesicht.
»Wo bin ich?« sagte der entsetzte Dichter.
»Im Wunderhofe,« erwiderte ein viertes Gespenst, welches sich zu ihnen gesellt hatte.
»Bei meiner Seele,« entgegnete Gringoire, »ich sehe wohl, daß die Blinden sehen und die Lahmen gehen; aber wo ist der Heiland?«
Sie antworteten mit lautem, unheimlichen Gelächter.
Der arme Dichter warf die Blicke um sich her. Er war in der That in diesem furchtbaren Wunderhofe, wohin niemals ein rechtschaffener Mensch zu solcher Stunde gedrungen war; im Zauberkreise, wo die Diener des Obergerichtes und Polizeisergeanten, welche sich hineinwagten, spurlos verschwanden; in der Stadt der Diebe; im Schandflecke des Antlitzes von Paris; in der Kloake, wo diese Woge von Lastern, Bettler-und Vagabundenthum, wie sie immer in den Straßen der Hauptstädte überschäumt, am Morgen herausströmte und abends pesthauchend zurückfloß; es war der ungeheuerliche Bienenstock, wohin abends alle Drohnen der menschlichen Gesellschaft mit ihrer Beute heimkehrten; das verfängliche Spital, wo der Zigeuner, der entsprungene Mönch, der verdorbene Student, die Taugenichtse aller Nationen: Spanier, Italiener, Deutsche, aller Glaubensbekenntnisse: Juden, Christen, Muhamedaner, Heiden, mit falschen Wunden Bedeckte, am Tage Bettler, sich nachts in Raubmörder verwandelten; – mit einem Worte: es war das ungeheure Garderobezimmer, wo sich in jener Zeit alle Darsteller des ewigen Schauspieles an-und auskleideten, welches СКАЧАТЬ