Die Netflix-Revolution. Oliver Schütte
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      Die Fernbedienung förderte allein durch ihre Existenz die Ungeduld des Fernsehpublikums. Zudem verführte das zunehmende Angebot der immer mehr werdenden Sender zum schnellen Wechsel. Hierin unterschied sich das Fernsehen erstmals deutlich vom Kino. Wer sich im Lichtspielhaus einmal für einen Film entschieden und den Eintrittspreis gezahlt hatte, brach nicht so einfach ab, sondern ließ sich auf den von ihm gewählten Streifen ein.

      Die Fernsehsender wurden damit gezwungen ihr Publikum auf neue Weise an sich zu binden. Komplexe Geschichten sowie reizarme Sendungen verschwanden deshalb zunehmend von den Bildschirmen. So wurde zum Beispiel die 1955 zum ersten Mal ausgestrahlte Show Was bin ich? in den 80er Jahren eingestellt. Ein Format, bei dem vier Menschen an einem Tisch sitzen und einen Beruf erraten müssen, war mit der Einführung der Fernbedienung zum Quotenverlust verdammt.

      Die neue Ära der Privatsender wurde in der Bundesrepublik am 1. Januar 1984 eingeläutet. Die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk (PKS) aus Ludwigshafen nahm an diesem Tag ihren Betrieb auf. Kaum mehr als 1000 Haushalte in der Region konnten das erste private Angebot aus Deutschland schauen. Der Kanal war schon wenig später auch über Satellit zu empfangen und nannte sich ein Jahr danach in Sat1 um. Nur einen Tag nach der PKS ging mit RTLplus ein weiterer Privatsender an den Start. Dieser wurde zwar von Beginn an per Antenne übertragen, kam aber trotzdem ebenfalls nur auf eine kleine Zahl von Zuschauern.

      Was so unbedeutend begann, sollte die Fernsehlandschaft in Deutschland radikal verändern, denn es dauerte nicht lange, dann hatte sich das private Fernsehen etabliert.

      Neben der technischen Verbreitung mussten sich Sat1 und RTLplus auch inhaltlich bei den Zuschauern durchsetzen. Allen voran RTLplus versuchte dabei nicht, die öffentlich-rechtlichen Sender frontal anzugreifen, sondern bot ab Ende der 80er Jahre eine Alternative zu den von den Gesetzgebern mit einem Bildungs- und Kulturauftrag versehenen ARD und ZDF. Aus diesem Grund entstand die erotische Spielshow Tutti Frutti, und spätabends wurden »Lederhosenfilme« (also Erotikfilme) ausgestrahlt.

      Wenig mehr als zehn Jahre nach der Gründung erreichte RTL (wie sich der Sender nun nannte) 1993 mit 18,3 % seinen höchsten Marktanteil. Bald darauf war es bei Sat1 soweit, mit 14,9 % war hier der Höhepunkt erklommen. Es war die Zeit, in der die Privaten mit Fernsehspielen und anspruchsvolleren Serien den Zuschauermarkt eroberten. Die Neuen waren erwachsen geworden. Dabei konnten sie durch einige originelle Sendungen punkten. So kopierte Sat1 mit der Harald Schmidt Show erfolgreich das amerikanische Format der Late-Night-Talker.

      Dass es ab den 90er Jahren mit den Marktanteilen der privaten Sender bergab ging, hatte sicherlich auch mit einer weiteren Fragmentierung des Angebots zu tun. Und dies hing wiederum mit neuen technischen Verbreitungswegen zusammen, denn das Fernsehen kam nicht nur über die Antennen zu den Haushalten, sondern immer öfter durch Satellit oder den Kabelanschluss. Sowohl zusätzliche Privatsender, die oft Ableger von RTL und Sat1 waren, als Ausgründungen der Öffentlich-rechtlichen (wie 3Sat, Arte etc.) erweiterten das Angebot und sorgten dafür, dass die Zuschauer zwischen über 30 Sendern wählen konnten.

      Das alte Lagerfeuer wurde damit Geschichte. Es gab keine Straßenfeger mehr, von Fußballweltmeisterschaften abgesehen, die die Nation wie zuvor vereinten.

       Der Geschmack der Freiheit (Video, Festplatten und DVD )

      Wer sich Ende der 70er Jahre vom Diktat des linearen Fernsehens befreien und sich einen Videorekorder zulegte, musste sich zwischen drei sehr unterschiedlichen Anbietern entscheiden. Wie so viele andere technologische Formate begann der Siegeszug in einem Wettstreit der Systeme. Dadurch wurde die Einführung massiv erschwert, weil die Verunsicherung groß war, auf das falsche Pferd zu setzen.

      Während die japanischen Unternehmen Sony mit den Betamax Rekordern und JVC mit VHS (Video Home System) an den Start gingen, kam aus Europa Video 2000. Ich hatte mich damals für ein Gerät mit dem Betamax-System entschieden, auch weil die Qualität des Bildes eindeutig besser war, und zudem waren die Kassetten von Video 2000 gefühlt so groß wie eine Schuhschachtel. Ein weiterer Grund lag für mich darin, dass die Videothek meines Fachbereichs an der Universität ebenfalls mit Betamax von Sony arbeitete. Ich konnte die dort vorhanden Videos mit nach Hause nehmen und in Ruhe die alten Filme von Frederico Fellini studieren. Natürlich kaufte ich auch unzählige Leerkassetten und bespielte sie mit Kinofilmen, die im Fernsehen liefen. Ein paar Jahre später besaß ich eine Auswahl von über hundert Werken der Filmgeschichte. Schon bald verabschiedete sich Video 2000 vom Markt. Ich bedauerte die armen Kunden, die nun nicht mehr viel mit ihren Rekordern anfangen konnten.

      Aber Sony vergab für die Produktion keine Lizenzen an andere Firmen. Es war ein geschickter Schachzug von JVC, dass fremde Unternehmen Geräte herstellen durften und zum Teil um einiges billiger anboten als der Erfinder. Dies war einer der Gründe, warum Betamax sich in dem ungefähr fünf Jahre dauernden Kampf um die Vorherrschaft gegen VHS nicht durchsetzte. Ab ca. 1985 war das System von JVC für die nächsten zwei Jahrzehnte Standard. So besaß ich ein veraltetes Gerät und viele bespielte Kassetten, während die Welt um mich herum Filme aus den Videotheken auslieh, mit denen mein Rekorder nichts anfangen konnte.

      Videorekorder hatten zwei Funktionen: das Aufnehmen und zeitversetzte Anschauen von Sendungen des linearen Fernsehens und das Abspielen von gekauften Kassetten mit Filmen oder Serien. Durch die neue Technologie besaß der Zuschauer zum ersten Mal in der Geschichte die Möglichkeit, sich vom Programm der Sender zeitlich unabhängig zu machen. Insofern ist sie ein Vorläufer der heutigen Mediatheken. Allerdings gab es viele Einschränkungen und die Handhabung war nicht gerade einfach. Die Programmierung der Aufnahme war kompliziert, und im Allgemeinen war auf den Kassetten auch nur Platz für einen Film. Wer also während seines Urlaubs mehrere Sendungen aufnehmen wollte, der konnte nur eine oder maximal zwei davon auswählen.

      Zwar war es möglich, aufgenommenes Material dauerhaft zu archivieren – Video hat nicht lange genug überlebt, um festzustellen, wann sie ihre Daten verloren hätten – und es ähnlich wie Bücher zu sammeln, doch die Kassetten waren nicht billig und nahmen viel Platz ein.

      Eine weitere Neuerung lag darin, dass die Zuschauer ab Anfang der 80er Jahre Spielfilme auf Videokassetten kaufen konnten. Von dem neuen System profitierten auch die Filmemacher von Kinofilmen, denn während eine Zweitauswertung durch das Fernsehen meist erst nach zwei Jahren rechtlich möglich war, erschienen Filme auf Video schon nach einem halben Jahr und wurden gekauft oder gemietet und brachten so Geld in die Kasse. Für die Filmproduktionen bedeutete dieser Markt eine zusätzliche Einnahmequelle. Oft hatte das Publikum sogar zweimal dafür bezahlt. Zum ersten Mal an der Kinokasse und später erneut für das Video.

      Zudem entstand eine neue Form der Verwertung. »Straight to video« hieß sie und besagte, dass diese Werke gar nicht mehr im Kino liefen, sondern gleich auf Videokassette zum Verkauf oder in der Videothek angeboten wurden. Oftmals ließ die künstlerische Qualität der Produktionen erahnten, dass sich die Ausgaben für Werbung, Herstellung der Filmkopien und Vertriebskosten für die Verleiher und Produzenten nicht rentierten.

      Manchmal wurde aber von Anbeginn bewusst auf diese Art der Auswertung gesetzt, da es sich um spezifische Genres handelte, die nur ein kleines Publikumssegment ansprachen. Es war insbesondere bei Horrorfilmen (und auch Sexfilmen) ein profitabler Weg, um auf spezielle Zielgruppen einzugehen. Durch Video wurde also ein vollkommen neuer Markt geschaffen, der bis zu diesem Zeitpunkt nicht existiert hatte.

      Und es entstand ein eigenes Genre, das es vorher noch nicht gegeben hatte. Anleitungsvideos waren ein sehr lukratives Geschäft und zu den bekanntesten Vertretern gehörten die Yogavideos von Jane Fonda, die vor allem Frauen dazu brachten vor dem Fernsehen mehrmals in der Woche Übungen mithilfe der prominenten amerikanischen Schauspielerin durchzuführen.

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