Das Chagrinleder. Оноре де Бальзак
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Название: Das Chagrinleder

Автор: Оноре де Бальзак

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783955013332

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СКАЧАТЬ große Lust, unsern Kapitalisten zu fragen, ob er ein anständiger Mensch ist.« »Nein, nicht jetzt!« rief Raphael, »erst wenn er volltrunken ist; dann werden wir zumindest schon gespeist haben.«

      Die beiden Freunde nahmen lachend Platz. Mit einem Blick, der dem Wort zuvorkam, entrichtete zuerst jeder Gast dem prächtigen Anblick seinen Tribut an Bewunderung; die lange Tafel war mit einem schneeweißen Tuch bedeckt, auf dem die Gedecke symmetrisch angeordnet und von goldbraunen Brötchen gekrönt waren. Die Kristallgläser spiegelten mit ihren glitzernden Reflexen die Farben des Regenbogens, die Kerzen zeichneten ein Kreuzfeuer bis ins Unendliche, die unter Silberdeckeln aufgetragenen Speisen reizten den Appetit und die Neugierde. Es wurde wenig gesprochen. Die Tischnachbarn sahen sich gegenseitig an. Der Madeira kreiste. Dann erschien der erste Gang in seiner ganzen Glorie; er hätte dem seligen Cambacérès [* Cambacérès, Jean-Jacques Régis de (1753-1824): während der Französischen Revolution Präsident des Nationalkonvents, danach Mitglied des Wohlfahrtsausschusses und Zweiter Konsul nach Napoleon; im Kaiserreich Erzkanzler und Senatspräsident] zur Ehre gereicht, und Brillat-Savarin [* Brillat-Savarin, Anthelme (1755-1826): französischer Feinschmecker, bekannt geworden durch sein Werk ›Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen‹, einer Huldigung der Gastronomie und der Tafelfreuden] hätte ihn höchlich gepriesen. Bordeaux und Burgunder, weißer und roter, wurden mit königlicher Verschwendung ausgeschenkt. Der erste Teil dieses Festmahls war in jedem Punkt der Exposition einer klassischen Tragödie vergleichbar. Der zweite Akt wurde etwas geschwätzig. Die Gäste hatten gehörig getrunken, wobei sie die Weine je nach Laune wechselten, so dass sich in dem Augenblick, als man die Reste dieses lukullischen Mahles abtrug, bereits die lebhaftesten Auseinandersetzungen entsponnen hatten. Blasse Stirnen röteten sich, Nasen färbten sich purpurn, die Gesichter flammten, die Augen funkelten. Während dieser Morgenröte der Trunkenheit überschritt die Unterhaltung noch nicht die Grenzen des Anstands, aber Neckereien und Witzeleien entfuhren nach und nach jedem Munde; dann hob die Verleumdung ganz leise ihren kleinen Schlangenkopf und sprach mit flötender Stimme; ein paar Duckmäuser horchten gespannt auf und hofften, ihre Nüchternheit wahren zu können. Der zweite Gang fand die Geister also schon ganz erhitzt. Jeder aß beim Sprechen, sprach beim Essen, jeder trank, ohne der Menge zu achten, die ihm da durch die Kehle floss, so wohlschmeckend und aromatisch war der Wein, so ansteckend wirkte das Beispiel. Taillefer setzte seinen Stolz darein, die Gäste anzufeuern, und ließ nun die schweren Rhôneweine, den feurigen Tokaier, den berauschenden alten Roussillon auftragen. Wie frisch eingespannte Postpferde ließen dann alle diese Männer, von der prickelnden Glut des ungeduldig erwarteten, nun überreichlich genossenen Champagners aufgepeitscht, ihren Geist in leeres Gerede hineingaloppieren, auf das niemand hört; sie fingen an, jene Geschichten zu erzählen, die keine Zuhörer finden; wiederholten hundertmal jene Fragen, die unerwidert bleiben. Das Gelage allein entfaltete seine laute Stimme, eine Stimme aus hundertfältigem verworrenen Geschrei, die ins Grandiose anschwillt wie ein Crescendo von Rossini. [* Rossini, Gioacchino (1792-1868): italienischer Opernkomponist, feierte während der Restauration große Erfolge in Paris] Dann kamen die verfänglichen Tischreden, die Prahlereien, die Herausforderungen. Alle begaben sich ihrer geistigen Fähigkeiten, um dafür die von Fässern, Tonnen und Zubern anzunehmen. Scheinbar hatte jeder zwei Stimmen. Es kam ein Moment, wo die Herren alle auf einmal redeten und die Diener lächelten. Aber in diesem Wirrwarr von Worten, wo paradoxe Meinungen und grotesk kostümierte Wahrheiten durch das Geschrei, durch die unbewiesenen Behauptungen und selbstherrlichen Urteile hindurch aufeinanderprallten, wie im Schlachtgetümmel Kanonen-, Gewehr- und Kartätschenkugeln sich kreuzen, hätte sicherlich einen Philosophen der ausgefallenen Gedanken wegen interessiert, hätte einen Politiker durch die bizarren Ansichten überrascht. Das war ein Buch und ein Bild zugleich. Philosophien, Religionen, Moral, so verschieden von einem Breitengrad zum anderen, Regierungen, kurz, alle großen Betätigungen der menschlichen Vernunft fielen unter einer Sense, die so scharf hieb wie die der Zeit, und es wäre schwer zu entscheiden gewesen, ob sie von trunkener Weisheit oder von weise und hellsichtig gewordener Trunkenheit geschwungen wurde. Von einem Sturm fortgerissen, schienen diese Geister, gleich dem Meer, das gegen seine felsige Küste antobt, alle Gesetze, zwischen denen die Zivilisationen wogen, erschüttern zu wollen und entsprachen so unwissentlich dem Willen Gottes, der das Gute und Böse in der Natur geschehen lässt und das Geheimnis ihres immerwährenden Kampfes für sich behält. Der Streit, so grimmig und burlesk er war, wurde zu einer Art Hexensabbat der Geister. Die ganze Kluft, die das 19. Jahrhundert vom 16. trennt, klaffte zwischen den trübseligen Späßen dieser Kinder der Revolution bei der Entstehung einer Zeitung und den Reden der lustigen Zecher bei der Geburt des Gargantua. Jenes schickte sich lachend zu einer Zerstörung an, das unsere lacht inmitten eines Trümmerhaufens.

      »Wie heißt der junge Mann, den ich da unten sehe?« fragte der Notar und deutete auf Raphael. »Ich glaubte ihn Valentin nennen zu hören?« »Was reden Sie da kurzweg von Valentin?« rief Émile lachend. »Raphael de Valentin, wenn ich bitten darf! Wir tragen einen goldenen Adler im schwarzen Feld, mit einer silbernen Krone, Schnabel und Krallen rot, mit der schönen Devise: Non cecidit animus! [* Non cecidit animus!: lat., Der Geist ist nicht gesunken] Wir sind kein Findelkind, sondern der Abkömmling des Kaisers Valens, des Stammvaters der Valentinois, des Gründers der Städte Valencia in Spanien und Valence in Frankreich, rechtmäßiger Erbe des Oströmischen Reiches. Wenn wir Mahmud in Konstantinopel herrschen lassen, so aus reiner Gutmütigkeit und aus Mangel an Geld und Soldaten.«

      Émile beschrieb mit seiner Gabel in der Luft eine Krone über dem Kopf Raphaels. Der Notar besann sich eine Weile und machte sich dann wieder ans Trinken, indem er durch eine bezeichnende Gebärde andeutete, dass es ihm unmöglich sei, die Städte Valence und Valencia, Konstantinopel, Mahmud, Kaiser Valens und die Familie der Valentinois unter seine Klientel zu bringen.

      »Ist die Zerstörung dieser Ameisenhaufen, namens Babylon, Tyrus, Karthago oder Venedig, die unter den Füßen eines darüber hinwegschreitenden Riesen zertreten worden sind, nicht eine dem Menschen von einer spottliebenden Macht erteilte Mahnung?« fragte Claude Vignon, eine Art gekaufter Sklave, der für zehn Sous die Zeile Weisheiten à la Bossuet [* Bossuet, Jacques-Bénigne (1627-1704): französischer Prälat, Schriftsteller und berühmter Prediger; Bischof von Condom (1669) und Meaux (1681); Erzieher des Dauphin; hatte maßgeblichen Einfluss auf die Kirchenpolitik Ludwigs XIV] verzapfte.

      »Moses, Sulla, Ludwig XI., Richelieu, Robespierre und Napoleon sind vielleicht ein und derselbe Mann, der in verschiedenen Epochen wie ein Komet am Himmel wieder erscheint«, antwortete ein Anhänger von Ballanche. [* Ballanche, Pierre-Simon (1776-1847): französischer Schriftsteller, war einer mystisch-christlichen Vorstellungskraft verhaftet] und sah in dem konstitutionellen Regime der Restauration den endgültigen Gipfelpunkt der historischen Entwicklung

      »Wozu die Vorsehung ergründen wollen?« versetzte Canalis, ein Balladenfabrikant.

      »Oh, was die Vorsehung angeht!« unterbrach ihn der Nörgler; »ich kenne in der Welt keinen Begriff, der dehnbarer ist.«

      »Was wollen Sie, Monsieur! Ludwig XIV. hat, um die Wasserleitungen [* die Wasserleitungen von Maintenon: unter Ludwig XIV. begonnener aber unvollendeter Bau] zu bauen mehr Menschen ums Leben gebracht als der Konvent, [* Konvent: die französische Nationalversammlung von 1792 – 1795, vereinigte die legislative und exekutive Gewalt] um die Steuern gerecht zu verteilen, die Vereinheitlichung der Gesetze herzustellen, Frankreich zu nationalisieren und die Erbschaften gleichmäßig zu verteilen sagte Massol, der Republikaner geworden war, weil ihm ein Wörtchen vor seinem Namen fehlte.

      »Monsieur«, wandte sich Moreau de l'Oise, ein Großgrundbesitzer, an ihn, »da Sie Blut für Wein halten, werden Sie denn diesmal jedem seinen Kopf auf den Schultern lassen?«

      »Wozu denn, mein Bester? Sind die Grundsätze der sozialen Ordnung nicht ein paar Opfer wert?«

      »Bixiou, he! Der Dingsda, der Republikaner, behauptet, dass der Kopf dieses Grundbesitzers ein Opfer wäre«, sagte ein junger Mann zu seinem Nachbarn. »Menschen und Ereignisse sind nichts«, setzte der Republikaner, von СКАЧАТЬ