Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 245

СКАЧАТЬ dieser Franzl nur immer mit seinen Quarkkuchen hat!« sagte ich.

      »Ist auch mir ein Rätsel,« behauptete der Busenfreund in sehr gleichgültigem Tone, wobei aber eine holde Röte auf den Stellen erschien, wo die Schnurrbartspitzen später auf den Backenbart zu treffen hatten.

      »Gestern,« fuhr ich fort, »erwähnte er ihn mehrmals, und zwar, wie ich mich erinnere, mit ganz besonderer Betonung. Sollte vielleicht der Umstand damit zusammenhängen, daß gestern abend der Kuchenschragen verschwunden war?«

      »Ich bin ganz ohne alle Ahnung!«

      »Wirklich?«

      »Ja. Doch, um von etwas anderem zu reden, was sagst du zu dieser halben Magenwurst? Mir kommt sie außerordentlich bekannt vor.«

      »So? Ah – ja – es ist möglich, daß es die Hälfte von der ist, von welcher ich dir heruntergeholfen habe. Wahrhaftig, der vortreffliche Franzl hat unsertwegen seine schönste Wurst zerschnitten! Oh Carpio, oh Carpio, wie wären wir nun blamiert, wenn du deinen Vorsatz ausgeführt hättest!«

      »Welches Unglück!« stimmte er tief aufatmend bei. »Denke dir – – die Federn!«

      »Ja, die – – – Federn! Mensch, wir wären wahrscheinlich deinetwegen alle beide zur Thür hinausgeworfen worden! Solche Schande kann man erleben, wenn man einen Spitzbuben zum Busenfreund hat!«

      »Schweig! Es ist ja alles noch gut abgelaufen. Es war nur eine Absicht; die kann dem ehrlichsten Menschen kommen; aber zur wirklichen Ausführung würde so etwas bei mir niemals kommen!«

      »Na, na!«

      »Niemals!« beteuerte er. »Du wirst mir doch zutrauen, daß ich den Unterschied zwischen Mein und Dein zu respektieren weiß!«

      »Schon gut! Jetzt wissen wir, was das Paket enthalten hat; nun wollen wir den Reim lesen!«

      »Können wir nicht noch warten, lieber Sappho?«

      Dieses »lieber Sappho« klang diesmal so zuckersüß, daß es mir auffiel. Darum erkundigte ich mich:

      »Warum sollen wir noch warten? Hast du etwa einen besondern Grund?«

      »Einen besondern nicht, aber unsere Spannung würde größer.«

      »Ich bin kein Freund von übermäßiger Spannung. Sehen wir also nach!«

      Ich zog den Umschlag hervor und öffnete ihn. Da legte er seine Hand auf die meinige und fragte:

      »Sappho, du bist mein bester, mein allerbester Freund. Willst du mir einen großen, sehr großen Gefallen thun?«

      »Welchen?«

      »Lies den Reim heut nicht!«

      »Wann denn?«

      »Später, später, meinetwegen zu Ostern oder zu Pfingsten, nur nicht heut!«

      »Höre, Carpio, mit dir ist etwas nicht richtig; du hast kein reines Gewissen. Ich werde lesen.«

      »Da sage – ich dir – – die Freundschaft auf!«

      »Gut! Betrachten wir sie schon jetzt als vorüber, denn wenn du zu diesem verzweifelten Mittel greifst, muß ich erst recht wissen, was Franzl geschrieben hat.«

      Ich zog den Zettel hervor und las ihn. Oh, nun wurde mir freilich alles, alles klar. Armer Carpio! Ich hätte laut auflachen mögen, bezwang mich aber, zeigte meine ernsteste Miene, schob ihm den Reim hin und sagte:

      »Hier – – lies!«

      Er las und wurde leichenblaß dabei.

      »Das – das – – hätte er nicht – – nicht dichten sollen!« stammelte er.

      »Wer sagte denn soeben noch, daß so ein schlechter Gedanke bei ihm niemals zur Ausführung kommen könne? Wer behauptete, den Unterschied zwischen Mein und Dein stets zu respektieren? Wer hat sich verstellt, mich getäuscht, belogen und betrogen? Lies mir den Reim laut vor!«

      »Das – – das kann ich nicht!«

      »Lies! Zur Strafe! Dann verfahre ich vielleicht gelinder mit dir, du – – du – – du Quarkkuchendieb, du!«

      »Versprichst du mir wirklich, nachsichtig zu sein?« fragte er so kleinlaut wie noch nie.

      »Ja.«

      Da las er, und ich hörte ihn an, wie er sich zwingen mußte:

      »Hat Carpio mitten in der Nacht

       Einen Kuchen ganz zu Quark gemacht,

       So stöhnt er unter Angst und Bangen:

       ›Ich hab den Hunger übergangen!‹«

      »Du hast also, als ich schlief, einen ganzen Quarkkuchen aufgegessen?«

      »Ja,« gestand er mit einer wahren Armensündermiene. »Ich habe es dir doch vorhergesagt!«

      »Nein! Du hast nur gesagt, daß der Verlust schwerer zu entdecken sei, wenn man ihn ganz aufißt. Einen ganzen, ganzen Quarkkuchen von vier Vierteln und acht Achteln! Das bringt doch höchstens nur ein Elefant fertig! Wie ist es dir denn darauf geworden?«

      »Schauderhaft, sage ich dir, schauderhaft! Ich werde noch auf Jahre hinaus zittern, wenn ich das Wort Quark nur höre! Übriglassen durfte ich nichts, und als ich mit Ach und Weh fertig war, begann der hinterlistige Teig in mir aufzuquellen!«

      »Da dauerst nicht etwa du mich, sondern der edle Löwe, der elend hat ersticken müssen! Du konntest dir doch denken, daß die Wirtin ihre Kuchen gezählt hatte!«

      »Das dachte ich natürlich wohl; aber daß sie dann nachzählen würde, dachte ich nicht. Du kannst es mir glauben, lieber Sappho: Wenn du das Quadrat der längsten Hypothenuse samt den Quadraten ihrer beiden Katheten mit einem ganzen Topf voll Gurkensalat und saurer Sahne verzehrst, wird das, was du dann fühlst, gegen das, was ich empfunden habe, als grenzenlose Behaglichkeit bezeichnet werden müssen.«

      »Und,« fuhr er nach einer Weile fort, »der körperliche Jammer war nicht der einzige, den ich empfand, denn wie, wie habe ich auch geistig, seelisch leiden müssen! Dich zum Beispiele die herrlichen großen Klöße essen sehen zu müssen, ohne mitthun zu können, das war eine wahrhaft teuflische Grausamkeit, mit welcher mein Schicksal mich strafte. Dann die Schlittenfahrt! Deine Fröhlichkeit, deine lachenden Augen, während ich wie ein in der Magengegend harpuniertes Walroß dick und angeschwollen hinter dir im Schlitten hockte! Es war mir, als hätte ich hunderttausend Zähne verschluckt, welche alle mit Zahnschmerzen behaftet waren, die nun in meinem Innern zu wüten begannen. Ich gebe dir mein Wort, daß – –«

      »Halt ein, halt ein!« mußte ich jetzt laut auflachen. »Die Schmerzen von hunderttausend kariösen Zähnen! Dieser Vergleich ist so pompös, so genial und dabei doch so Mitleid erweckend und nach Erbarmen schreiend, daß ich, ich mag nun wollen oder nicht, dem armen, harpunierten Walroß meine Gnade wieder zuwenden muß.«

      »Was!« rief er da, vor Freude aufspringend. »Du wolltest – –? du wolltest wirklich СКАЧАТЬ