Dann hob er den Kopf: »Vater,« sagte er fast kindlich. »Ich mache gar nicht den wilden Thorsteiner, den Harro, wie er sich hier so ungeduldig gebärdet. Ich nehme den über und über vergoldeten Harro, wie ihn die Rose in ihrer Seele trug. Den Gedanken Gottes in mir. Sonst wäre er ja nicht wert, die Rose zu tragen. Ich suche nach dem Bild... Du darfst mich nicht loben, Vater, daß ich gut gegen sie gewesen bin... aber mochte ich sein wie ich wollte, die Rose malte weiter an ihrem Bild.«
»Harro, mein Sohn,« schluchzte der Fürst. »Wie dank ich Gott dafür, daß ich dich noch habe. Ich komme auch nach Rom mit dem Kind ... Ich störe dich nicht... Wie hab' ich mich gefürchtet vor deinem wilden Schmerz. Und nun all die Tage, heute in der Kirche, Harro. Ich sah dich an, du hast uns hinübergetragen ... Wie hast du's gekonnt?«
Er hob sein Haupt, und seine herrlichen Augen hingen an dem Bilde des Seelchens. »Vater,« flüsterte er, »die Rose hatte Geheimnisse. Hörtest du nicht, wie ihr Lehrer sagte... Vielleicht war sie noch schöner, als wir wissen. Ihr Vermächtnis... Es war ihr letztes Wort... Ich verstand es nur nicht... ihr ganzes Leben ist darunter gegangen, unter dem Schleier der Gisela.«
Ende
Der kleine Lord
(Frances Hodgson Burnett)
Erstes Kapitel. Eine große Ueberraschung
Zweites Kapitel. Cedriks Freunde
Drittes Kapitel. Abschied von der Heimat
Sechstes Kapitel. Der Graf und sein Erbe
Siebentes Kapitel. In der Kirche
Neuntes Kapitel. Schwere Sorgen
Zehntes Kapitel. Amerika in Aengsten
Elftes Kapitel. Die Nebenbuhler
Zwölftes Kapitel. Der Retter in der Not
Dreizehntes Kapitel. Unliebsame Ueberraschungen
Vierzehntes Kapitel. Der achte Geburtstag
Erstes Kapitel.
Eine große Ueberraschung
Cedrik selbst wußte kein Sterbenswörtchen davon, nie war etwas Derartiges in seiner Gegenwart auch nur erwähnt worden. Daß sein Papa ein Engländer gewesen, wußte er, weil seine Mama ihm das gesagt hatte, aber dann war dieser Papa gestorben, als er noch ein ganz kleiner Junge gewesen, und ihm war von demselben nicht viel mehr in Erinnerung geblieben, als daß er eine hohe Gestalt und blaue Augen und einen langen, schönen Schnurrbart gehabt und daß es herrlich gewesen, auf seinen Schultern in der Stube herumzureiten. Nach des Vaters Tode hatte Cedrik dann die Entdeckung gemacht, daß es am allerbesten sei, mit der Mama gar nicht von ihm zu sprechen. Als der Papa erkrankte, war Cedrik fortgebracht worden, und als er wieder nach Hause kam, war alles vorüber gewesen, und sein Mütterchen, das auch eine schwere Krankheit durchgemacht, fing eben wieder an, in ihrem Lehnstuhle am Fenster zu sitzen; allein sie war bleich und mager und all die lustigen Grübchen waren aus ihrem hübschen Gesichte verschwunden; die Augen sahen so groß aus und so traurig, und ihr Kleid war ganz schwarz.
»Herzlieb,« sagte Cedrik – so hatte sein Papa sie immer genannt, und der kleine Junge machte es ihm nach – »Herzlieb, geht's Papa besser?«
Er fühlte, wie ihr Arm zitterte, wandte plötzlich sein lockiges Köpfchen und sah ihr ins Gesicht, und als er sie so ansah, war's ihm, als ob er selbst bald zu weinen anfangen müsse.
»Herzlieb,« fragte er noch einmal, »ist Papa wohl?«
Dann gab ihm sein kleines zärtliches Herz plötzlich ein, beide Aermchen um den Hals der Mutter zu schlingen und sie wieder und wieder zu küssen und seine weiche, warme Wange fest an die ihrige zu schmiegen, und sie drückte ihr Gesicht an seine Schulter und hielt ihn umschlungen, als ob sie ihn nie mehr von sich lassen wollte, und weinte bitterlich.
»Ja, ihm ist wohl,« schluchzte sie; »ihm ist ganz, ganz wohl, aber wir – wir haben nichts mehr auf der Welt als einander. Keine Menschenseele sonst.«
So klein er war, hatte er doch begriffen, daß sein großer, schöner, junger Papa nicht mehr wiederkommen werde, daß er tot sei, wie er es von andern Leuten auch schon hatte sagen hören, obwohl er nicht recht wußte, was das für ein seltsames Ding war, das so viel Herzeleid in seinem Gefolge hatte, und weil sein Mütterchen immer weinte, wenn er von dem Papa sprach, kam er ganz in aller Stille auf den Gedanken, daß es besser sei, nicht von ihm zu sprechen, und allmählich fand er auch, daß es besser sei, sie nicht ganz ruhig dasitzen und zum Fenster hinaus oder ins Feuer starren zu lassen. Bekannte hatten er und seine Mama nicht viele, und man konnte ihr Leben sehr einsam nennen, obgleich Cedrik davon keine Ahnung hatte, bis er älter wurde und man ihm dann sagte, weshalb sie keine Besuche erhielten. Er erfuhr dann, daß seine Mama eine Waise war und ganz allein in der Welt gestanden hatte, ehe sie Papas Frau geworden. Sie war sehr hübsch und hatte als Gesellschafterin bei einer reichen alten Frau СКАЧАТЬ