Jerusalem, du hochgebaute Stadt,
Wollt Gott, ich wär in dir...
Mein sehnlich Herz so groß Verlangen hat
Und ist nicht mehr bei mir...
Harros Augen leuchten auf, seine sehenden Augen... Oh, wie köstlich ist der Schleier der Gisela... Er sieht sie vor sich, die himmlische Stadt. Die seligen Chöre jubeln, die lieblichen Knabenstimmen, die jetzt die Melodie aufnehmen... Es grüßen über den Wällen die Bäume der himmlischen Gärten ... Seine Rose, seine geliebte Rose, sie wirft den starren, eisigen Schlummer von sich... Oh, wie ihre holden Augen leuchten, wie der Rosenschein auf ihren Wangen liegt.
Was für ein Volk, was für ein' edle Schar
Kommt dort gezogen schon?
Was in der Welt von Auserwählten war,
Seh ich, die beste Kron,
Die Jesus mir, der Herre,
Entgegen hat gesandt. – – –
Oh, darum hast du deine goldnen Schuhe angezogen, deine Freudenschuhe, du schweigende Seele. Weil du ihm entgegengingst, den du geliebt hast von deiner Kindheit an.
Wie lieblich die himmlischen Melodien nun rauschen:
Mit Jubelklang, mit Instrumenten schön,
In Chören ohne Zahl,
Daß von dem Schall und von dem süßen Ton
Sich regt der Freudensaal!
Unzerreißbar fest gehämmert ist das goldene Band von jener Christnacht im Winterwald. In ihren seligen Händen dort an den Toren hält sie sein Ende...
Nun spricht ihr Lehrer. Oh, die feinen, gütigen Worte. Welch ein holdes Bild malt er von ihr in wenig Strichen. Die das Schönste ihrer Seele in Geheimnissen verbarg... Hat er sie denn so gut gekannt? Oder weiß er noch ein Letztes von ihr, der Geheimnisträger dort? ...
Er hämmert nicht auf ihrem Schmerze herum, der weise Mann dort, die Priesterseele, er zeichnet ihnen den lichten Pfad zur Höhe, den die Rose von Brauneck gegangen.
Von der Orgel ertönt des alten Bach großartiger Choral:
In meines Herzens Grunde
Dein Nam und Kreuz allein
Funkelt all Zeit und Stunde,
Drauf kann ich fröhlich sein...
Nun ist das Goldlicht in der Kirche erloschen, die Melodien sind verklungen, die tiefe, sternlose Nacht hat sich herabgesenkt. Der Fürst sitzt, ein grauer, gebeugter Mann, in seiner Sommerstube vor dem Bilde des Seelchens. Da ertönt ein Schritt, er fährt auf: »Du bist's, Harro? Wir ängstigten uns um dich. Gott sei Dank, daß du da bist.«
Harros Augen blendet das Licht noch... es ist ein Geruch von feuchtem Herbstwald und nassem Moos um ihn... er hat seine Lodenjacke an, und in seinen grauen Haaren hängen ein paar Flöckchen von dürren Blättern. Der Ruinengraf wieder, nur älter und mit einem ganz andern Blick in den Augen. Er setzt sich auf den breiten Lederdiwan nieder und sagt freundlich:
»Ich wollte dich noch nicht allein lassen heute abend, Vater.«
»Es ist mir so sehr lieb, daß du kommst, Harro, sehr lieb, ich bin allein...« Der Fürst stockt... »Nein, das will ich nicht sagen, auch nicht in meinem Schmerz bin ich allein. Wie sie alle mit mir trauerten. Wer am allerverzweifeltsten war, am herzbrechendsten, das ahnst du nicht, Harro: Charlotte... Sie hat nichts gegessen die Tage, sie liegt nur auf ihrem Gesicht und weint. Sie warf sich heute vor mir auf den Boden. Reden konnte sie nicht vor Schluchzen.«
»Es wundert mich doch nicht, Vater, daß sie um die Rose trauert. Irgendwie muß die Rose doch endlich ihr Herz gewonnen haben. Ich sah sie noch zuletzt zusammen... Wir müssen für sie tun, was wir können, Vater, die Rose sah mich über ihren armen, jammervollen Kopf hinweg so gebietend an, wir müssen ihr da auch den Willen tun, Vater.« Harro lächelte ein wenig. »Sie ist eine Tyrannin, die Rose, und wir fahren doch am besten, wenn wir uns nicht so sehr gegen sie sträuben.«
Wie wohl dem Vater die Worte tun, wie wohl. Und er erhebt sich und setzt sich neben Harro auf den alten Diwan... »Harro, laß mich dir danken. Laß mich dir noch einmal danken. Sieh, wie das Seelchen lächelt. Das Lächeln hast du sie gelehrt. Es geht auf dich, der du vor ihr saßest und sie maltest... Es lag noch auf ihrem Antlitz, als sie auf dem Lindenstamm lag unter den gelben Blättern. Ihre Linde, als wollte die sie einhüllen... Sie glaubte ja an die Seele ihrer Linde... Harro, wenn die alte Linde im Frühjahr nicht wieder grünt, so wird es mich nicht wundern... Und dann hab ich dir noch etwas zu sagen, Harro. Die Rose hat ein Testament gemacht. In der größten Heimlichkeit. Alfred und der Herr Rat haben ihr dabei geholfen.«
Harro lächelte wieder ein wenig. Er kann sich das Testament der Rose denken... »Und hat alles mir vermacht, Vater.«
»Nicht alles, eine ziemlich große Summe hat sie ausgenommen. Sie muß sich eine schreckliche Mühe mit Rechnen gegeben haben: du weißt, sie konnte ja so schlecht rechnen. Dann hat sie gewünscht, – Hans Friedrich sagte mir das – du solltest den Winter nach Rom gehen, und er solle dich begleiten. Er hätte schon eine Wohnung für dich durch einen Freund mieten müssen.«
Harro fuhr auf. »Ich will nicht fort. Ich kann nicht. Ich muß hier bleiben, da in den alten Mauern, die Thorsteiner lieben doch ihre Heimat so sehr, ich muß... und dann... Sei nicht so tyrannisch, Rose.«
»Lieber Harro, höre sie einmal an. Ich kann dich verstehen, ich kann dich sehr gut verstehen. Ich glaube, es hängt mit ihrem Testament zusammen. Sie wünscht, du mögest ihr ein Grabmal bauen. Sie gibt Anweisungen, wie sie es sich denkt... Sie spricht von pentelischem Marmor. Ich habe keine Ahnung, was das wohl sein kann.«
Harro starrt vor sich hin, seine Augen weiten sich, auf seinen eingefallenen Wangen brennen zwei rote Flecken... dann spricht er hastig... »Aber ja, Vater, sie kann ja nicht da unten bleiben... unmöglich kann sie das. Sie muß den Wald rauschen hören. Vater, du gibst mir den Part von Lindenborn dazu; deine Hirsche, können die nicht wo anders sein ... o dann, wir machen es ... daß sie nicht stören. Die alten herrlichen Eichen und Tannen, die Allee von hundertjährigen Linden, die darauf zuführt... Die Wasserfläche, wir graben sie aus, wir leiten Quellen herein... Nun mögen die Hirsche da außen wandeln. Wir pflanzen Rosen um die Insel. Die weiße offene Halle spiegelt sich in dem Wasser. Ach, sie wollte ja nicht in dem Goldhaus wohnen, das ich für sie gebaut habe... Nun muß ich ihr doch wieder eine Stätte bereiten.«
Er reißt ein Blatt aus seinem alten Skizzenbuche, das immer in seiner Lodenjacke steckt. »Sieh, Vater, so...« er kritzelt mit dem Bleistift eilige Striche... »Sieh die Halle. Ich werde mich daran halten müssen. Ich muß wieder anfangen, ganz von vorne... Eine Riesenarbeit, Vater. Ich muß doch das meiste mit meinen eigenen Händen machen. Jetzt mögen sie ja rauh und eisern werden, ich habe über kein Goldhaar und keine rosenzarte Haut mehr zu streichen. Ich gehe morgen nach Rom. Das Kind laß ich dir, Vater. Ich kann dir nicht alles nehmen. Wenn du es vermagst und ich mich СКАЧАТЬ