»Das obere ist gewiß auch ein Motiv,« sagt Rosmarie, und sie liest. Die klare Handschrift ist ja so leicht zu lesen...
»Das Motiv, Harro:
Ein leidender Grund,
Ein schweigender Mund,
Ein Herz voll Minne,
Da ist Gott allzeit inne.
Siehst du, daß sie davon gewußt hat, Harro!«
»Es gehet die Seele durch den Garten, wo der Rasen feucht ist von Tränen, und wo die schwarzen hohen Bäume das Licht der Sonne hinweg trinken. Wo die vielen Vöglein grau und schweigend auf den Zweigen sitzen, die herabhängen. Wo die Büsche und das Gras und jede Blume, die darin blühet, ihre Perlen tragen. Darin gleitet ein dunkles Wasser, das nicht plätschert und murmelt, und beweget bei seinem stillen Ziehen das Schilfrohr, das am Ufer steht.
Und hält die Seele ihre Schleier um sich und senkt ihr Haupt und verhüllet die Wunden, die die giftigen Pfeile derer, die draußen sind, ihr angetan haben. Also gehet die Seele durch den Garten, bei den grauen Vögeln, die nicht singen, bei dem Bache, der nicht plätschert, und bei den Lilien, die an ihren goldenen Fäden den Tau der Schmerzen tragen. Und im letzten Grund des Gartens, wo die Bäume am höchsten stehen und am tiefsten ihr Leidesschatten fällt, da steht ein Rosenbaum und trägt oben eine blasse Knospe.
Da umfaßet die Seele den Rosenbaum und spricht zu ihm: O du Rose meiner Liebe, wie bist du so blaß und stehest im Düster, wo kein Strahl dich finden kann, und sollte doch auf dich fallen der Morgenglanz und die Mittagspracht und das Abendgold. Und müßte dein Duft herrlicher sein, denn aller der Blumen, die im Garten sind.
Da neiget sich die Seele über den Strauch und drückt die scharfen Dornen in ihre Brust, daß der Stamm trinkt von dem roten Blut und die warmen Wellen aufsteigen durch das Geäder und sich der blasse Kelch der Rose davon rötet.
Wenn es aber Abend wird und der Herr des Gartens kommt, so wird er fragen:
›Seele, wie fährt dein Garten, den ich dir gegeben habe, daß du die schönen Blumen darin hegest?
Und blüht dein Rosenbaum, den der Hauch meines Odems dir erweckt aus dem tiefen Grund?‹
Da spricht die Seele in großer Traurigkeit:
›Herr, mein Rasen ist feucht von Tränen, meine grauen Vögel sind ohne Lieder, meine Lilien sind zerknickt und zerbrochen von den Steinen und Pfeilen, die sie mir in den Garten geworfen haben. Und die Rose meiner Liebe stehet im Dickicht, wo die Schatten am schwärzesten liegen.‹
Und der Herr wird mit seinen goldenen Augen durch den Garten der Seele blicken.
Da fliegt das Leuchten an den dunkeln Stämmen hernieder da tropft es von jedem Ast und Gezweig herab, da blitzet der feuchte Rasen von Demanten. Da haben die grauen Vögel ihre Stimmen gefunden und sind Nachtigallen worden mit Liedern des Dankes. Da stehen die zerknickten Lilien wieder aufrecht. Da öffnet die Rose der Liebe, die von dem Blute der Seele getrunken hat, ihren Kelch und glüht in purpurner Pracht, und ihr Duft erfüllt den Garten. Und das dunkle Wasser, das zum Thron der Ewigkeit geht, hebt zu rauschen an.
Und alsdann wird die Seele genesen.
Schweigen, im Oktobre sechzehnhundertzweiundsiebenzig, da ich zwanzig Jahr bin alt worden, im vierten Monat meiner Trübsal.«
Harro faßte mit behutsamen Händen alles zusammen und trug das Buch und die andern Dinge in seinen Kasten und verschloß sie dort.
Rosmarie nahm er bei der Hand und führte sie in den Schmollwinkel. Dort saßen sie eine Weile stumm beieinander. Dann sagte er freundlich:
»Kehren wir ins zwanzigste Jahrhundert zurück. Vielleicht sollte man doch alte Sachen nicht anrühren. Das Geisterbeschwören ist zu keiner Zeit bekömmlich gewesen, übrigens steht auch deine Beichte noch aus. Was hast du alles ersonnen?«
»Ich habe so viel gedacht heute, Harro – und ich muß ja noch mit dir reden!«
»Das klingt gefährlich – eine Einleitung, die gewöhnlich wenig angenehmen Erörterungen vorauszugehen pflegt. Nun, ich sitze schon auf dem Armsünderstühlchen, laß hören!«
»Ach, wenn du so anfängst und mit mir spielst, wie soll ich mich trauen? Ihr spielt ja immer mit mir, du und die Tanten. Als ob ich in Ewigkeit nicht klüger werden könnte. Und ihr habt ja recht. Ich bin ein dummes Kind. So dumm, wie ich lang bin. Als ich klein war, lachten ja alle über mich. Nur du nicht! Harro, du nicht! Und darum liebte ich dich. Harro, warum stellst du dich nun zu den andern, du auch?«
Dem Thorsteiner fährt eine Röte über die Stirn, er läßt seinen Kopf hängen und steht vor ihren sanften, grauen, flehenden Augen wie ein gescholtener Junge.
»Rosmarie, es war leichter so. Die Sache ist schwer genug für mich. Das kannst du ja nicht wissen. Habe ich dir wirklich damit ein Unrecht getan? Ich dachte mir, ich lasse dich in deiner glücklichen Kindlichkeit.«
»Du mußt keine Schleier mehr darüber werfen, Harro. Sag mir, Harro, sag mir. Warum bin ich nicht deine Frau? Ist etwas an mir, daß ich es nicht sein könnte?«
Harro erschrak heftig: »Du hast doch die Gedanken nicht schon lange mit dir herumgetragen! Ich bitte dich, das wäre mir furchtbar. Meine Rose, meine arme Rose! Nein, es ist alles so einfach! Du bist noch zu jung, du sollst noch geschont werden. Wie lang ist's her, daß man dich dem Tod entrissen hat! Wie furchtbar, wenn ich dich gefährdete! Das Entsetzlichste wäre es mir. Ich kann es nicht. In manchen Dingen bin ich eine Memme. Was es mich gekostet hat, neben dir in Bordighera zu stehen, als du dalagst wie so ein armer, gequälter Schatten, das kannst du nicht ahnen! Und du wolltest ja nicht mehr in Brauneck bleiben, du hast mich doch gebeten. – Und so habe ich deinem Vater den Vorschlag gemacht, du solltest bei mir sein, wie das Seelchen bei mir gewesen wäre. Ich gab ihm mein Wort. Daß ich dir schwere Stunden damit bereite –«
»O Harro, wie muß ich mich schämen vor dir! O Harro, und ich bin so glücklich, und wie schäme ich mich. Und es ahnt mir, daß ich nicht einmal weiß, wie sehr ich mich schämen muß. Ich lebe von deiner Güte all die Zeit.« –
Er hatte seinen Arm um sie gelegt und strich ihr sanft über ihre Haare.
»Du sollst glücklich sein. Rose. Und du gabst mir so viel. Wie kannst du wissen, Schwanenjungfrau, was wir Männer fühlen. Und du hast mir doch die höchsten Stunden meines Lebens geschenkt. Du hast mir ein Opfer gebracht. Ein Sturm der Seligkeit durchbrauste mich. Sieh, für die andern ist das Gesicht der Mensch, sie sehen vielleicht noch die Hände, den Rest besorgt die Schneiderin.
Für mich hat die lieblich geneigte Schulter, der Bau deines Rückens, die wunderbare Linie von der Armhöhle über die sanftgeschwungene Hüfte herunter eben so viel Ausdruck wie dein Gesicht. Ich habe es immer geahnt, daß du herrlich sein mußtest. Aber wie sehr deine Seele sich die Behausung gebaut und bewahrt hat, das habe ich nun erlebt. Du bist mir heilig geworden. Ich habe nun, wenn deine Süßigkeit nicht gar so gefährlich wurde – und du hattest plötzlich ein feines Gefühl bekommen, was du tun dürfest und was nicht, – ganz schön neben dir leben können. СКАЧАТЬ