Название: Der Klosterjaeger
Автор: Ludwig Ganghofer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066114039
isbn:
„Wer ist dein Vater?“
„Mein Vater ist tot, und meine Mutter auch. Ich hause bei meinem Bruder, der heißt Wolfrat und ist Sudmann im Salzhaus des Klosters.“
Das hatte Gittli scheu hervorgestottert, wie ein Kind die Litanei in der Schule stammelt, wenn der Kaplan die Haselrute schwingt. Nun stand sie schweigend, das Körbchen mit den Schneerosen an ihren jungen Busen drückend, ein Bild, so hold, daß Haymo von diesem Anblick sein Herz zum Springen schwellen fühlte. Es zuckte in seinen Fäusten, und es war ihm, als müßt’ er auf den unheimlichen Wegelagerer losstürzen und ihm zuschreien: Was willst du von dem Kind? Laß das Kind in Ruh! Oder du hast es mit mir zu tun!
In wachsender Verstörtheit war der Blick des Mönches auf das Mädchen gerichtet. Röte und Blässe wechselten auf seinen Zügen, seine Augen waren wie zwei Flammen, heiß und verzehrend. „Wer gab dir dieses Gesicht?“ so brach es fast wie ein Schrei von seinen Lippen; nun streckte er die Arme, als wollte er das Mädchen umschlingen — und da wich Gittli erbleichend vor ihm zurück; einen Augenblick stand sie ratlos, dann schwang sie sich mit einem herzhaften Sprung über den steilen Rand des Pfades auf den moosigen Waldboden und flog mit flatterndem Rock an Haymo vorüber, um zwischen den Bäumen zu verschwinden.
Wie man lange nach der dunklen Stelle des Himmels starrt, an der ein fallender Stern erloschen ist, so starrte Haymo in den Waldschatten, in dem die Gestalt des Mädchens sich verloren hatte. Langsam wandte er das Gesicht und blickte wieder zum Pfad hinauf. Dort oben stand noch immer der Mönch mit gestreckten Armen, als wollte er die Luft umschlingen, in der das Mädchen geatmet. Jetzt kam ein Zittern über ihn, seine Arme fielen, stöhnend sank er auf einen Stein und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Haymo wußte nicht, wie ihm geschah. Er hätte gern diesem Priester gezürnt, und dennoch fühlte er, wie das Mitleid sein Herz gefangen nahm. Eine Weile noch stand er wie gebannt; dann schlich er davon, und je weiter er sich entfernte, desto rascher wurde sein Schritt.
Vielleicht gelang es ihm noch, das Mädchen einzuholen? In seinem Geleit wäre Gittli sicher und hätte einen gefahrlosen Heimweg. Er begann zu laufen. Was war das? Diese zornige Stimme, die von der offenen Seelände durch die Lichtung der Bäume klang? War das nicht Gittlis Stimme? Ja! Und nun verstand er auch ihre Worte: „So laßt mich doch! Was wollt ihr von mir? Was hab ich euch denn getan? So laßt mich doch in Ruh!“
Haymo hatte den Waldsaum erreicht; draußen lag eine breite Wiese, halb überspült von dem weißen Sand, den der schäumende See über das Ufer warf; an Stangen hingen Fischnetze zum Trocknen aufgespannt; unter weitästigen, im Föhnwind rauschenden Ulmen, zu Füßen eines Hügels, standen die beiden Hütten der dem Kloster hörigen Fischerknechte. Zwei der struppigen, an Gesicht und Kleidung derb verwitterten Gesellen hatten inmitten der Wiese das Mädchen mit einem Stück Netz umfangen, und der eine lachte: „Hilft dir nichts! Wer so ein feines Fischl im Garn hat, der hält es fest.“
„Aber so laßt mich doch, laßt mich!“ flehte Gittli und suchte sich dem Netz zu entwinden.
„Zappel nur!“ lachte der andere. „Weißt du, was einem Ferch geschieht, wenn er ins Netz gegangen ist? Wir geben ihm eins auf den Schnabel!“
Gittli kreischte, und während sie mit dem einen Arm ihr Körbchen in die Höhe hielt, schlug sie mit dem andern zornig um sich.
„Geh, hab keine Sorg!“ tröstete der jüngere der beiden Knechte. „Wir machen’s bei dir nit gar zu grob! Komm her, wirst sehen, es tut nit weh!“ Er faßte mit derber Hand ihr Kinn und wollte sie küssen. Da flog er unsanft zur Seite. Haymo hatte ihn beim Kragen gepackt, und der Griff hatte ausgegeben. Ein Dutzend Schritte von der Stelle saß der Bursch im Gras und machte ein dummes Gesicht. Dem anderen versetzte Haymo mit dem Bergstock eins über die Hand, daß er das Netz gutwillig fallen ließ. Gittli, die sich so plötzlich befreit sah, warf dem Jäger einen dankbaren Blick zu, streifte hurtig das Netz von den Füßen und huschte kichernd davon.
Der ins Gras Gesetzte hatte sich inzwischen erhoben. Mit kirschrotem Gesicht kam er auf den Jäger zugestürmt.
Haymo machte eine Faust und hob sie ein wenig. „Komm nur!“ sagte er lächelnd.
Da war der Zorn des Burschen verraucht. Und der andere, der noch immer seine Hand rieb, brummte: „So ein Wildling! Gleich zuhauen! Da schau, ganz blau sind alle Finger!“ Und scheltend ging er dem Ufer zu und steckte die Hand ins kalte Wasser.
Lachend schulterte Haymo den Bergstock und folgte der Straße. Er wäre gern rascher gegangen; aber das wollte er den beiden Gesellen nicht zuliebe tun; die hätten ihm sonst wohl nachgerufen: „Schau, wie er sich tummelt, daß er davon kommt!“ Als er um die Ecke lenkte und den Blicken der beiden entschwand, beschleunigte er seinen Gang; aber von Gittli war nichts mehr zu sehen und zu hören.
Auf schmaler, von den Rädern der Bauernkarren übel zerrissener Straße schritt Haymo durch das frühlingsblühende Tal. Wenn auch droben auf den Bergen der Lenz noch eine harte, zähe Schlacht gegen den Winter schlug, so hatte doch im Tal der Frühling sich schon häuslich eingerichtet. Auf den Wiesen lag es schon wie grüner Sammet, in dem sich die zahllos blühenden Primeln ausnahmen wie goldene Stickerei. Veilchenduft wehte aus den Hecken, in denen die kleinen Meisen zwitscherten. Aus den Zweigen der Fichten spitzten schon die jungen Triebe, und über den Buchen und Ahornbäumen lag’s von den sprossenden Blättchen wie lichtgrüner Schimmer. Die wilde Kraft des Föhns, der droben auf den Bergen allen Grund der Felsen zittern machte und die donnernden Lawinen löste, war hier im Tal verwandelt in ein frisches Wehen, das in alle Büsche griff, in alle Wipfel der Bäume, als wollt’ es ihnen sagen: Nur frisch, nur munter! Jetzt nach dem Winterschlaf kein Gähnen mehr! Jetzt heißt es wachsen, treiben, blühen, Früchte tragen und für Samen sorgen! Die schöne Zeit ist kurz. Und eh ihr euch’s verseht, ist wieder der Winter da. Munter! Munter!
Jetzt stieg die Morgensonne hinter den Bergen empor, Wald und Feld überspinnend mit ihrem Gold. Ein Funkeln und Leuchten überall. Sogar der Schatten, den Haymo auf die Straße warf, war Schimmer und Farbe.
Blaue Rauchsäulen stiegen aus den hölzernen Bauernhäusern, die zerstreut lagen zwischen kleinen Gehölzen, zwischen Wiesen und brachen Feldern; in den umhegten Gärten weidete das Vieh mit läutenden Glocken, und in steinigem Bette rauschte die dem See entströmende Ache ihr eintöniges Lied.
Die Straße begann zu steigen; nun trat sie unter den Bäumen hervor, und Haymo sah zu oberst auf der sonnigen Höhe des Weges das Mädchen schreiten.
„Gittli! Gittli!“ rief er mit hallender Stimme.
Sie hörte ihn, blieb stehen, wandte das Gesicht, schwang wie zum Gruß ihr Körbchen und lief davon, in der Senkung der Straße verschwindend.
Haymo seufzte zuerst, dann lachte er und wanderte weiter. Eine halbe Stunde noch, und er hatte das Klosterdorf erreicht. An beiden Ufern der Ache reihte sich Haus an Haus, und von der Höhe nieder winkte der schlanke Münsterturm und der mächtige, weit ausgedehnte Bau des Stiftes, mit hundert funkelnden Fenstern. Haymo überschritt auf hölzerner Brücke die Ache und gelangte zu einem riesigen Holzgebäude. Es war das Salzhaus, die Goldschmiede des Klosters, welche die Dukaten in so schöner Menge lieferte, daß in kaum zweihundert Jahren die arme Martinsklause zu Berchtesgaden das reichste Kloster weit und breit geworden war. Alle Fürsten zankten sich um die Hoheitsrechte über die reiche Propstei, und die Erzbischöfe von Salzburg machten scheele Augen.
In langer Reihe standen die Frachtwagen und Saumpferde aus aller Herren Länder vor dem Salzhaus, und ein Frater СКАЧАТЬ